Das Lied der Nachtigall

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Die Hitze des Feuers lag auf Cyns Wangen. Nur noch eine schmale Baumreihe trennte sie von der Wüste, denn dort hatte er unter keinen Umständen nächtigen wollen. Wenn der Kriegsgott sie finden sollte, dann waren sie wahrhaft verloren.

Cyn hatte bereits in den Vorratsbeutel geschaut, den er von dem Wirt erhalten hatte, und Brot, Nüsse und gepökelten Fisch herausgezogen. Er hatte einen Teil an Nilan gereicht und auch selbst schon gegessen.

Nun versuchte er Nilans Blick auszublenden und sich stattdessen von dem Feuer hypnotisieren zu lassen. Aber die Augen bohrten sich weiterhin in seine Wange, sodass er letztlich seufzte und sich an den Gott wandte.

»Was?«

»Ich weiß, was mein Wunsch ist«, antwortete Nilan.

Cyn murrte leise. Er hatte schon verdrängt, dass er sich früher am Tag etwas gewünscht hatte. »Was denn?«

Nilan rückte an ihn heran. Die Flammen tanzten in seinen Augen. An seinen Schläfen, direkt am Haaransatz schimmerte etwas. Zunächst hielt Cyn es für den Glanz von Nilans Haut, doch als er sich zu ihm lehnte, erkannte er ... silberne Schuppen?

»Ich wünsche mir einen Kuss.«

Cyn blinzelte. Hatte er sich verhört? Er hatte sich bestimmt verhört.

In der Ferne zirpten Grillen und eine Nachtigall sang ihr Lied, einsam und beinahe vergessen.

»Was?«, fragte Cyn.

»Einen Kuss«, wiederholte Nilan.

Cyn hatte sich nicht verhört. Er hätte gern einen lockeren Spruch auf der Zunge gehabt, aber alles, was seinen Mund verließ, war: »Huh ...«

Nilan lehnte sich zurück. »Wenn du nicht möchtest, dann nicht. Ich ... ich dachte nur ...« Er sprach den Satz nicht zu Ende und fing stattdessen einen anderen an. »Ich wusste nicht, dass es für dich eine große Sache ist, weil ... ich durfte noch nie und ihr Menschen macht es doch die ganze Zeit.«

»Ich mache es aber nicht die ganze Zeit.« Hitze stieg in Cyns Wangen auf, die diesmal nicht nur das Feuer als Ursprung hatten. »Außerdem bezweifle ich, dass es dir mit mir gefallen würde.«

Nilan legte den Kopf schief. »Warum?«

»Weil ... weil ...« Cyn wedelte mit den Händen, in der Hoffnung eine Antwort aus der Luft zu fischen. »Weil dazu ein bisschen mehr gehört als nur Körperliches, damit es schön ist.« Warum musste er diese Unterhaltung führen? Vor allem, warum mit einem Gott?

»Was denn?«, hakte Nilan nach.

»Gefühle. Du solltest dir dafür jemanden suchen, den du magst.«

»Aber ich mag dich doch.«

Cyn wischte sich durch das Gesicht. Nur ein vergeblicher Versuch, die Hitze zu vertreiben, die schon bis zu seinen Ohren gewandert war.

»Und du hast mich am Anfang zwar angegrummelt«, fuhr Nilan fort, »und eigentlich reisen wir eher aus einem gemeinsamen Zweck heraus, aber ich dachte, dass du mich vielleicht auch mögen würdest.«

»Ich mag dich auch.« Cyn stockte. Hatte er das wirklich gesagt? »Aber ...«

Wusste er überhaupt, wie es nach dem ›Aber‹ weitergehen sollte? Nein. Er mochte Nilan. Er mochte diese Angewohnheit von ihm, den Kopf wie ein Welpe zu neigen, wenn er etwas nicht verstand. Das Strahlen in seinen Augen, das Cyn viel zu oft ersticken musste. Die Tatsache, dass er auf dieser Reise stets an seiner Seite war, ihn unterstützt hatte, ihn festgehalten hatte, während er in die Schrecken seiner Vergangenheit getaucht war.

Der Dieb und der MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt