Die letzte Bastion III

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»Gibt es eigentlich einen Grund, weshalb wir hier noch herumliegen?«, fragte Cyn laut und rief stumm erneut: Nilan! Ich wünsche mir, dass ich bei dir bin! Er konnte nicht sagen, ob er schrie, aber die Gedanken fühlten sich lauter an als gewöhnlich.

»Eigentlich ...«

Das Schwert verschwand von Cyns Hals. Er stand wieder, kippte jedoch zur Seite, als er seine kaputte Wade belastete.

Arme umschlossen ihn und fingen ihn auf, ehe er zu Boden stürzte.

»Ich wollte wirklich nicht lauschen«, sagte Nilan und half ihm, wieder aufrecht zu stehen.

Cyn verlagerte das Gewicht auf sein unbeschadetes Bein, stützte sich aber weiterhin an dem Mond ab.

»Doch deine Gedanken sind so laut«, fuhr Nilan fort. »Und dann war ich mir nicht sicher, ob ich dir den Wunsch erfüllen soll. Aber ich dachte mir, es wird schon einen Grund haben, wenn du mich direkt ansprichst, und ...«

»Schon gut«, unterbrach Cyn die Entschuldigungsversuche und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn. »Diesmal hatte ich gehofft, dass du zuhörst.« Er ließ seinen Kopf gegen Nilans Schulter sinken. Nur für einen Augenblick wollte er tief Luft holen. Nur einen Augenblick lang sich keine Gedanken darüber machen, wie knapp er dem Tod oder Folter entkommen war.

Doch länger durfte er nicht verweilen. Die Realität traf ihn wie ein Eimer kaltes Wasser und er hob seinen Kopf wieder an.

»Was ist geschehen?«, fragte Nilan. »Du bist verletzt.«

»Darkla«, murmelte Cyn. »Wir müssen fliehen. Irgendwohin zum Wasser, damit der Hund unsere Spur verliert.«

Er wich aus Nilans Armen und warf einen Blick nach unten. Seine Hose war zerrissen. Die Tiefe des Bisses konnte er nicht einschätzen. Blut sickerte weiterhin aus der Wunde, doch wenigstens konnte er sein Bein noch als solches erkennen.

Auf dem blutbefleckten Sand unter ihm hatte Nilan ein Kunstwerk gezeichnet, das Cyns Schritte zerstört hatten. Doch Cyn glaubte, einen Baum zu sehen, von dem sich unzählige Verästelungen abzweigten. Am Ende eines jeden Astes zeigte sich ein Bild. Mal eine Blume, mal das Gesicht einer Frau, mal ein Wolf und mal ein Herz.

Die Sonne brannte auf ihn nieder. Staub und Blut mischten sich in seinem Gesicht mit Schweiß. »Wir müssen los«, sagte er, eher um sich selbst davon zu überzeugen. Nilan war vom ersten Moment an bereit.

Cyn humpelte los. Bei jedem Schritt durchzuckte Schmerz sein Bein. Er biss die Zähne zusammen und ging schneller. Er versuchte es zumindest, doch die Bäume zogen genau so langsam an ihm vorbei wie zuvor.

»Soll ich dich tragen?«, fragte Nilan, der ihm folgte.

»Ich kann allein laufen«, zischte Cyn. Der Schatten der Baumkronen half kaum gegen die Hitze in seinem Körper. Schon jetzt wollte er sich an einem Stamm abstützen und eine Pause machen.

»Aber nicht besonders schnell«, meinte Nilan. »Und wenn wir fliehen, dann sollten wir doch schnell sein ... oder?«

Eine unbestechliche Logik, musste Cyn zugeben, selbst wenn sich alles in ihm gegen diese Realisation wehrte.

»In Ordnung«, murmelte er. »Du darfst mich tragen.«

Nie hätte er erwartet, dass er sich mit dem Kopf gegen Nilans Brust gekippt wiederfinden würde, denn der Gott trug ihn nicht etwa auf dem Rücken, wie Cyn es sich gedacht hatte. Nein, er hatte einen Arm unter Cyns Beine geschoben, den anderen um seinen Oberkörper geschlungen und ihn angehoben wie eine Prinzessin.

»Doch nicht so«, sagte Cyn. Irgendwas hielt ihn aber davon ab, sich wieder aus Nilans Armen herauszurollen.

»Wie denn sonst?«, fragte Nilan.

Der Dieb und der MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt