A I D E N
Meine Augen liegen auf Ashley's Gabel, die laut und nervend in dem Essen rumstochert. Die Stimmung ist angespannt, nur Brain wagt es, sie immer wieder zu durchbrechen und versucht es mit Mühe aufzulockern.
„Irgendwie ist das ganze Essen ungesalzen. Kann das sein?", fragt er schließlich, seine Augen suchend zwischen uns hin und her.
Doch keiner von uns antwortet ihm. Ashley schaut nicht einmal auf, ihre Aufmerksamkeit liegt nur darauf, weiterhin diese verdammt nervenden Geräusche zu machen. Und tatsächlich, jetzt wo Brain es erwähnt, schmeckt alles ungesalzen. Selbst die Nudeln sind fade, wie kann das sein?
Höchstwahrscheinlich hat Ashley das extra gemacht, denn vor sich hat sie selbst nur einen Salat stehen.
Oh, warte mal ab, bis ich mit essen dran bin.
Seit die zwei zu mir gezogen sind, also seit genau einem Jahr, hat jeder von uns bestimmte Tage, an denen er kochen und putzen muss. Meistens, wenn ich dran bin mit kochen, bestelle ich entweder Pizza oder kaufe Tacos auf den Rückweg von der Arbeit. So spare ich Zeit und vermeide einige Lebensmittelvergiftungen. Und dann verfluche ich Sophia dafür, dass sie sich für eine neue Familie entschieden hat und mich mit sowas alleine gelassen hat.
Plötzlich höre ich Brain neben mir seufzen und den Stuhl auf dem Boden quietschen. "Ihr müsst das echt klären, was auch immer das sein soll.", sagt er schließlich. "Danke für das Essen, Ash, aber bei so einer Stimmung kann man gar keinen Appetit haben."
Mit diesen Worten steht er auf und verlässt den Raum. Und tatsächlich hat er recht. Es kommt selten vor, aber in diesem Moment kann ich ihm nicht widersprechen.
„Okay, es tut mir leid.", seufze ich und lege mein Besteck zur Seite. Ashley hält inne, nur für einige Sekunden, ehe sie wieder gelangweilt mit ihren Salat spielt. Als hätte ich nicht geredet. Als wäre ich gerade ebenso mit Brain aus dem Raum gegangen.
Nachdem Adeline aus dem Krankenhaus verschwunden ist, habe ich Ashley zusammengeschissen. Meiner Meinung nach, hatte ich jedes Recht darauf, doch ich hätte einfach warten können. Warten, bis sie sich erholt und sich nicht bereits in einem zerbrechlichen Zustand befand.
Möglicherweise habe ich dabei Dinge gesagt, die na ja... verletzend sind.
„Ash...", sage ich mit mehr Druck und warte, bis sie mich ansieht, was sie nach einer Weile ergeben tut. „Es war nicht meine Absicht, dich so anzuschreien, aber es hat mich einfach rasend gemacht, dich wieder in so einem Zustand sehen zu müssen.", will ich ihr erklären, aber sie sieht mich weiterhin unbeeindruckt an. „Ich hoffe du weißt, dass ich mittlerweile schon zwanzig Jahre alt bin.", spricht sie und ich ziehe die Brauen zusammen.
„Das eine hat mit dem anderen nichts zutun. Selbst wenn du dreißig wärst, würde ich mir trotzdem Sorgen machen." Ashley's Gesichtszüge werden etwas weicher. „Und abgesehen davon, findest du, dass eine zwanzig jährige sich so benimmt?" Ich ignoriere mit Absicht, die kleinen Funken des Zorns in ihren grauen Augen. „Ganz unter uns? Ich nämlich nicht.", füge ich hinzu, als sie auf ihre Hände sieht.
Ashley sieht bedrückt aus, und ich weiß, dass es momentan nicht einfach für sie ist, besonders wegen unseren Eltern. Der Streit mit ihnen belastet sie sehr, das ist offensichtlich. Und dazu kommt noch die Uni, in die sie sich neu finden muss. Aber dennoch können diese Dinge keine Ausreden für ihre Gesundheit sein.
Vielleicht übertreibe ich ein Stück weit, aber manchmal gibt sie mir wirklich das Gefühl, als sei es ihr völlig egal, ob sie draufgeht. Das macht mich wütend und ängstlich zugleich.
Seufzend betrachte ich die kleine Kopie meines Bruders und unserer Mutter.
Ich muss es schaffen, wenigstens auf sie aufzupassen, wenn ich es schon bei meiner anderen Schwester nicht konnte.
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Strength over Fear
RomanceAchtung: diese Gesichte kann erst gelesen und verstanden werden, wenn man den ersten Teil gelesen hat. „Fear"!! Vier lange Jahre sind vergangen und Adeline konnte sich mühevoll ein neues Leben aufbauen. Mit Freunden an ihrer Seite, einem Studium und...