A I D E N
„Verdammt nochmal, Aiden!", werde ich sicher zum fünften Mal ungemütlich aus meinem Schlaf gerissen. „Du stehst jetzt auf, oder ich kippe dieses Wasser auf deinen Kopf.", ertönt Ashleys Stimme wieder. Diesmal jedoch viel näher und bedrohlicher. Wie auf Knopfdruck drehe ich mich um und blicke in ein wütendes Augenpaar. Tatsächlich hält sie ein volles Glas in ihrer Hand, und ich zweifle keine Sekunde daran, dass sie es jeden Moment über mir entleeren könnte.
Seufzend gebe ich also nach und setze mich auf, versuche dabei mit ganzer Mühe meine Lider endlich richtig zu öffnen. Ich fahre mir einmal über das Gesicht und widme mich dann wieder meiner Schwester zu, da von ihr kein Ton mehr zu hören ist. Das Glas stellt sie ab, schaut mich dann zornig an, während sie ihre Arme vor der Brust verschränkt. „In zehn Minuten bist du unten, oder ich schwöre dir, Aiden, das nächste Mal, wenn ich hier hochlatschen muss, wird es ein ganzer Eimer sein."
Müde schaue ich ihr dabei zu, wie sie stampfend zur Tür läuft, um sich dann wieder umzudrehen. Mit zusammengekniffenen Augen wirft sie mir noch einen warnenden Blick zu, bevor sie verschwindet und die Tür so weit offen lässt, dass das ganze Zimmer beleuchtet ist.
Normalerweise würde mich spätestens jetzt die Wut ergreifen, doch das erlaube ich mir nicht. Heute ist ein großer Tag für Ashley, und sie hat ausnahmsweise recht. Ich muss mich echt beeilen, weshalb ich mich nach einigen Minuten aufrapple und mich ins Badezimmer begebe.
In letzter Zeit kann ich endlich wieder richtig schlafen. Vielleicht ist es sogar etwas zu viel Schlaf, allerdings besser als die ganzen schlaflosen Monate davor.
Nachdem ich mich frisch gemacht habe und das kalte Wasser seine Wirkung gezeigt hat, begebe ich mich ins Ankleidezimmer, wo ich mir etwas zum Anziehen heraussuche, was nicht wie meine Arbeitskleidung aussieht.
Heute ist mir einfach nicht danach. Wer will schon was sagen?
Also entscheide ich mich für eine dunkle Jeans und einen hellen Rollkragenpullover. Nachdem auch das erledigt ist, greife ich nach meinem schwarzen Mantel und latsche mühsam die Treppen runter, wobei ich die beiden schon streiten höre. Wieder einmal.
„Da ist er ja.", ruft Brain, doch sicher nur, um von sich abzulenken und somit zu verhindern, dass Ashley ihn gleich umlegt. Denn so sieht das auf jeden Fall aus. „Wir können los.", sage ich knapp und schnappe mir den Autoschlüssel, der auf dem Tisch liegt.
Weiterhin streitend folgen mir die beiden ins Auto, und so verläuft auch die Hälfte der Autofahrt. Worüber sie streiten? Dafür mache ich mir schon länger nicht mehr die Mühe, es zu verstehen. Und ebenso dröhnt mein Kopf viel zu sehr, und ich habe immer noch mit meinen Augen zu kämpfen, die sich weigern, offen zu bleiben.
Nach einer Weile tritt die Stille ein. Ich schaue in den Rückspiegel und sehe, wie Brain gebannt auf sein Handy starrt. Meine Schwester jedoch ist in ihrer eigenen Welt versunken. Das merke ich daran, dass sie angefangen hat leicht mit ihrem Bein zu wippen und ihre Unterlippe zu knabbern beginnt.
„Nervös?", frage ich sie und lege meine Hand vorsichtig auf ihr Knie. Ashley atmet kaum hörbar ein, ehe sie dann nickt. Ungewollt ziehen sich meine Mundwinkel nach oben. Denn meine Schwester hasst es, Liam oder mir das Gefühl zu geben, sie sei nicht tapfer genug. Obwohl ich ihr immer und immer wieder sage, dass es völlig okay ist. Genau wie jetzt.
„Das war ich auch damals." Das war keine Lüge, um sie aufzumuntern. „Ehrlich?", fragt sie verwundert, und ich glaube tatsächlich eine gewisse Erleichterung in ihren Augen zu erblicken, die mich neugierig mustern. Nickend blicke ich wieder auf die Straße. „Ich war bei allen ersten Malen nervös. Erster Schultag, erster Uni-Tag, erster Arbeitstag und sogar bei meinem ersten Meeting.", zähle ich auf und sehe im Spiegel, wie sich mein Freund aufrichtet, um seinen Senf dazuzugeben. „Halt die Klappe, Brain.", komme ich zuvor und signalisiere ihm damit, dass es keine gute Zeit ist, um irgendeinen seiner perversen Kommentare abzugeben.
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Strength over Fear
RomansaAchtung: diese Gesichte kann erst gelesen und verstanden werden, wenn man den ersten Teil gelesen hat. „Fear"!! Vier lange Jahre sind vergangen und Adeline konnte sich mühevoll ein neues Leben aufbauen. Mit Freunden an ihrer Seite, einem Studium und...