13. Opfer einer falschen Welt

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Kamuras Blick war fest und zielgerichtet, doch seine Augen trugen die unauslöschlichen Spuren einer tiefen Melancholie, die selbst der entschlossenste Wille nicht ganz verbergen konnte

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Kamuras Blick war fest und zielgerichtet, doch seine Augen trugen die unauslöschlichen Spuren einer tiefen Melancholie, die selbst der entschlossenste Wille nicht ganz verbergen konnte. Seine dumpfen Schritte hallten durch die engen Korridore, bis sich schließlich eine schmale Öffnung vor ihm auftat.

Er trat hinein, erneut von völliger Dunkelheit umfangen, dieses mal ohne die Führung seiner leuchtenden Augen. Jeder seiner Schritte, sachte und zögerlich auf dem feuchten Gestein, wurde von einem Rhythmus begleitet, der unheimlich an einen Herzschlag erinnerte. Seine Hand klopfte methodisch an die Wände – mal auf Stein, mal auf morsches Holz – während er im Flüsterton zählte. Plötzlich durchschnitt eine zischende Stimme die Stille.

»Husch, komm schnell herein, mein Ärmster!«

Die Stimme hallte geheimnisvoll und dringend aus einer sich öffnenden Pforte in der Dunkelheit. Lila und tiefes Blau erleuchteten den schmalen Durchgang. Ein blasses Gesicht, gezeichnet von Schmerz und Verzweiflung, erschien. Ein schwerer Duft aus Alkohol und alten Medikamenten mischte sich mit der kühlen Luft des Ganges. »Komm, tritt ein. Setz dich«, sprach die Stimme erneut, diesmal sanft und beruhigend.

Wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, schritt Kamura über die Schwelle, sein Blick leer und abwesend. Mit der Schwere eines Körpers, der seine Bindung zur Welt verloren hatte, ließ er sich schwer auf einen Stuhl nieder. Sein Blick sank zu Boden.

»Du ... du hast es auch gesehen, nicht wahr? Du hast ... sicherlich noch viel mehr erblickt! Warum ...?« Die Worte entflohen ihm, brüchig und zitternd.

»Ich spüre deinen Schmerz, deine Verwirrung, mein Armer. Wie sehr ich mir wünschte, ich hätte eingreifen können ...«, erwiderte Yaga, ihre Stimme durchtränkt mit tiefem Mitgefühl. 

»Wie ... warum? Du besitzt die Gabe der Sicht, oder? Warst du nicht einst eine Auristin? Die Auristin? Warum hast du uns im Dunkeln gelassen?«, durchbohrte Kamura die Stille.

»Es war bereits geschehen, mein Kind. Nichts hätte es verändert. Ihr hättet lediglich mit panischer Furcht und tiefem Schmerz euren Heimweg angetreten, die Herzen schwer von Sorge. Die Vorahnung der kommenden Tragödie hätte euch keinen Trost gespendet, im Gegenteil. Wir durchschreiten wahrlich düstere Zeiten, Zeiten voller Unwägbarkeiten. Und auch der Duat birgt momentan Gefahren wie nie zuvor, mit all den finsteren Seelen, die das Tor im Chaos durchquert haben. Ihr solltet rasch und sicher nach Hause finden«, sprach Yaga, ihre Worte von beruhigender Entschlossenheit getragen.

»Das hast du einfach so beschlossen? Dass es ... nicht unser Recht ist, zu wissen ...?« Ein Funke von Zorn blitzte in Kamuras Augen auf, nur um sogleich von einer noch tieferen Ohnmacht und einem erdrückenden Schmerz verschlungen zu werden, während er instinktiv schlucken musste, als wäre seine Kehle gerade einem Würgegriff entkommen.

»Ja, das habe ich, mein Kind ... das ist eine der schwersten Bürden, die mit meiner Gabe einhergehen«, sprach Yaga bedauernd. Vor Kamura saß nun das Bild einer besorgten, mitfühlenden Großmutter, jeder Anschein von Härte und Unbeugsamkeit entwichen.

»Mein Wissen und meine Dienste gehören seit jeher den Menschen. Doch leider ist nicht jedes Wissen ein Dienst an der Menschheit ...«, fügte sie hinzu.

Kamura betrachtete sie mit einem scharfen, herausfordernden und dennoch verständnislosen Blick, seine Augenbrauen zynisch gehoben, während er sein Gegenüber eindringlich musterte:

»Was verbergt ihr Alten euch nur immer hinter euren kryptischen Formulierungen?« spottete Kamura »Ihr flüchtet euch hinter sie, wiederholt sie endlos, bis ihr selbst beginnt, ihnen Glauben zu schenken. Ihr verdreht sie so lange, bis ihr selbst den Überblick verliert, was ihr eigentlich tut und warum. Bis eure Worte letztendlich eure Taten lenken, anstatt sie zu erläutern ... genauso wie—« Er stockte, schluckte erneut schwer, als ob ein unsichtbares Band seinen Hals zuschnürte.

Yagas Augen, noch immer von tiefer Güte und Treue erfüllt, leuchteten mit tröstender Wärme, die Kamuras aufgewühlte Gefühle ein wenig zur Ruhe brachte.

»Du sagst Wahres. Aber bedenke, wenn wir umgekehrt nur sprechen, um zu erklären, was erklärt dann unsere Taten?«

Kamura fixierte sie mit einem Blick, so voller Leid und Trauer, dass sein Gesicht Bände der Antwort offenbarte. Eine Atmosphäre des Schweigens hing schwer in der Luft, während sich die beiden in einem stillen Bann des Verständnisses befanden. Ihr Blickkontakt kommunizierte jenseits der Worte. Ein Ozean stiller Emotionen pulsierte zwischen ihnen, fand seltsamen Trost in der Erkenntnis, gemeinsam durch die Dunkelheit zu navigieren.

»Wie ich sehe, trägst du die Kette noch immer?« brach Yaga schließlich die Stille.

»Ich möchte meine Kräfte nicht«, entgegnete Kamura prompt.

»Und du meinst, die Entscheidung genügt, um nicht zu sein, was du bist?« Ihre Stimme trug eine Note der Verwunderung in sich.

»Taoh ... er hat irgendwie recht. Jetzt da Aba ... es ist es nicht wert. Was ist ein freies Leben wert, ohne die Menschen, die man liebt? Was nützen Rechtschaffenheit und Heldentum, wenn die Welt von den gebrachten Opfern nichts weiß und ein Ort der Grausamkeit bleibt? Es fühlt sich an, als opferten sich die Guten für das Fortbestehen einer bösen Welt ... Aber was bleibt übrig, wenn alle Guten fort sind?« Mit Tränen in den Augen richtete Kamura seine Frage an Yaga.

»Hältst du den Jungen für böse?« 

Yagas Antwort kam mit einem Blick voller Aufrichtigkeit, der zum ersten Mal Unsicherheit offenbarte.

»Darum geht es nicht. Es geht darum, warum der Junge überhaupt erst dort lag! Und das wird es wieder geben. Und wieder. Niemand wird sich für den Jungen interessieren. Und niemand für Aba. Es geht einfach weiter!«, sagte Kamura erzürnt.

»Ich hoffe doch schwer, dass sich jemand für deinen Aba interessiert«, sprach Yaga in liebevoller Mahnung. »Und das Schicksal des Jungen bleibt ungewiss. Ihm mögen noch viele Jahre bevorstehen. Vielleicht gründet auch er eines Tages eine Familie. Vielleicht wirst gerade du dich für ihn interessieren—« Sie brach ab, getroffen von Kamuras vorwurfsvollem Blick und hielt einen Moment inne, um ihre nächsten Worte sorgfältig zu wählen.

»Ich verstehe deinen Schmerz, Kamura, und deinen Zorn«, fuhr sie fort, ihre Stimme in gewohnter Bestimmtheit. »Und ja, du hast recht über das Dunkle unserer Welt, doch etwas unterscheidet diesen Moment von allem bisher Dagewesenen. Was treibt Ghouls so dicht an die Pforten unserer Stadt? Dies ist kein gewöhnliches Werk von Kinderräubern oder Banditen. Vor den Toren habe ich sie gesehen – ganze Scharen an Ghouls, Höhlensirenen, Willensdiebe, Stimmenschlächter und Seelenbinder. Ihre Präsenz ist kein Zufall; sie agieren mit erschreckender Präzision und Taktik.«

Ihre Augen funkelten im schummrigen Licht des Raumes, als sie Kamura direkt ansah.

»Dies ist keine Zeit für Verzweiflung, Kamura. Dies ist eine Zeit, in der wir alle, die das Licht in sich tragen, zusammenstehen müssen. Es ist eine Zeit, in der deine Stärke, dein Mut und dein Herz mehr denn je benötigt werden. Vielleicht fühlst du dich nicht bereit, ein Kymist zu sein, aber deine Fähigkeiten, deine Leidenschaft für jene, die du liebst, und dein Wille, für das Gute zu kämpfen, machen dich bereits zu einem unter Hunderten. Die Höhle ist voll höriger, ignoranter und schwacher Geister und einige davon mit viel zu viel Macht, als der Welt guttut ...«

вσσк σƒ Tαммυz © [🇩🇪]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt