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James und ich sitzen auf meinem Bett. Ich habe uns Tee gemacht, jeder von uns hält eine Tasse in der Hand, aus der heißer Dampf hochsteigt und sich im Zimmer verbreitet, genauso wie die Stille. Normalerweise können wir zusammen schweigen, James hat mir einmal gesagt, dass ich die Einzige bin, mit der er schweigen kann, ohne das Gefühl zu haben, er müsse die unangenehme Stille durchbrechen aber jetzt ist es anders, irgendwie unruhig.

„Lilith, ist alles in Ordnung?", wiederholt James die Worte, die er auch schon am See an mich gerichtet hat. „Seit heute Nachmittag bist du irgendwie komisch"

„Nein, alles okay", sage ich und merke selbst, wie unglaubwürdig sich das anhört, vor allem, weil ich dem Blickkontakt, den er stetig sucht, die ganze Zeit ausweiche.

„Ich bin dein bester Freund", stellt James fest und drückt meine Hand. „Du weißt, dass ich merke, wenn du lügst, oder?"

Als ich nichts sage, fährt er fort: „Hängt es... hängt es mit Erin zusammen?"

„Nein!- Wie kommst du darauf?", stoße ich hervor, die Antwort kommt schnell, viel zu schnell, um glaubwürdig zu wirken und doch hoffe ich, dass es James nicht auffällt, dass er es vielleicht auf meine gerade generell seltsame Stimmung schiebt.

„Also ja", seufzt er. „Hey, Lilith, es tut mir leid, ehrlich..."

„Warte- was?", frage ich jetzt vollends verwirrt nach, die Gedanken drehen sich in meinem Kopf wie in einem Karussel. Weiß er von dem, was einmal zwischen ihr und mir war? Ist das der Grund, warum er mir ihren Namen nicht verraten wollte? Aber nein, das ist unsinnig und klingt so gar nicht nach James. Trotzdem muss ich nachhaken. „Was genau tut dir leid?"

„Dass ich sie dir nicht alleine vorgestellt habe... Ich weiß, das hatte ich dir versprochen und das wollte ich auch wirklich tun, vor allem nach dem, was du für mich – nein, für uns – getan hast, aber das war so eine spontane Aktion, ich... Weißt du, ich war bei Erin und wir haben geredet und irgendwann meinte ich, dass ich jetzt gehen muss, weil ich mich mit ein paar Freundinnen und Freunden zum Picknicken treffe und dann hat sie gefragt, ob sie mitkommen kann, weil sie euch gerne kennenlernen würde. Ich dachte, das wäre eine gute Idee und das war es nicht, ich weiß... Ich frag nächstes Mal nach, bevor ich jemanden auf ein schon ausgemachtes Treffen mitbringe, ich dachte nur, ihr würdet euch vielleicht auch freu-"

„Hey, James", unterbreche ich seinen Redeschwall, der gar nicht zu enden scheint, und mir zeigt, dass er nervös ist. „Das ist wirklich kein Problem für mich und ich wette, für die anderen auch nicht. Wir hätten Erin früher oder später ohnehin kennengelernt und es war lustig mit ihr, also echt kein Ding."

„Ehrlich? Was war dann heute Nachmittag los? Das Ding mit ,Ich habe schlecht geschlafen' brauchst du bei mir wirklich nicht bringen..."

Kurz überlege ich, ob ich ihm einfach sagen soll, was mich so durcheinander gebracht hat. Ich meine, es ist James, die Person, der ich alles sagen kann. Es ist ja wirklich nicht fair, ihn so im Unklaren darüber zu lassen, warum ich heute den ganzen Nachmittag geistig abwesender war als Martin während Vorlesungen, und schließlich kann ich ihm ja genau das sagen, was los ist: Nämlich, dass wir mal zusammen waren, aber das definitiv vorbei ist und ich einfach nur überrascht war von der Tatsache, dass sich seine Freundin und meine Ex als dieselbe Person herausgestellt haben. Es wäre wirklich kein Ding. Trotzdem habe ich Angst, dieses Geständnis könnte etwas zwischen uns verändern, ins Negative und irgendwie habe ich Angst vor seiner Reaktion.

„Ich will jetzt nicht darüber sprechen", sage ich langsam. „Aber es ist nichts Schlimmes, mach dir keine Gedanken, es hat nichts damit zu tun, dass du sie mir nicht alleine vorgestellt hast, es war wirklich nett mit Erin."

Das ist eine Lüge, vor allem war es unangenehm, aber irgendwie auch schön, sie nach all den Jahren wiederzusehen.

„Also findest du sie nett?", fragt James und ich sehe einen flehentlichen Ausdruck in meinen Augen, so, als würde er sich nichts mehr wünschen, als dass sich die zwei wichtigsten Personen in seinem Leben verstehen, vielleicht sogar anfreunden und ganz ehrlich – ich kann es ihm nicht verdenken, mir würde es genauso gehen.

„Ja, sie wirkte wirklich in Ordnung", sage ich und es kommt mir falsch vor, so über sie zu sprechen und ich fühle mich schon wieder, als würden die Worte, kaum, dass sie meinen Mund verlassen haben, einen unglaubwürdigen Laut annehmen, deshalb schiebe ich noch hinterher: „Du meintest noch, du musst mir davon erzählen, wie ihr zusammengekommen seid!", auch, wenn ich wieder ein seltsames Gefühl in meiner Magengegend spüre, als ich die Frage formuliere.

Zum Glück schöpft James keinen Verdacht – oder tut zumindest so, als täte er es nicht – sondern beginnt sofort mit einer detaillierten Erzählung dessen, wie sie sich getroffen und geredet hätten, bis er sie schließlich gefragt hätte, was das denn nun zwischen ihnen wäre.

„Und dann hat sie mich gefragt, ob ich ihr Freund sein will, ganz offiziell, weil sie mich wirklich mag" James' Stimme klingt aufgeregt, glücklich, so habe ich ihn noch nie erlebt, er hört sich an wie ein Kind am Weihnachtsabend und irgendwie erfüllt mich das mit Freude und einem schweren Gefühl in meinem Inneren zugleich.

„Wir haben noch kurz geredet und dann habe ich sie gefragt, ob ich sie küssen darf und sie meinte, das darf ich immer, und es war einfach so- Lilith, wir haben miteinander geschlafen und es war so unglaublich schön, so... ich kann es gar nicht beschreiben, aber ich... ich glaube, ich liebe sie wirklich."

Ich lächle James an und versuche, meiner Stimme einen glücklichen Klang zu geben: „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich für dich freue!" Ich grinse und er glaubt es, aber mein Inneres verklumpt sich bei dem Gedanken, wie James und Erin sich gegenseitig ihre Liebe gestehen, wie sie miteinander schlafen, wie er sie berührt.

„Jetzt suchen wir dir auch noch eine Freundin und gehen auf Doppeldates, ja?", fragt mein bester Freund begeistert, er bemerkt nicht, was in meinem Inneren vorgeht und ich bin unglaublich froh darüber.

„Gute Idee", sage ich und lächle wieder, doch es erreicht meine Augen nicht. „Das machen wir."

the chance you got (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt