Das Wasser im Außenbecken dampft, heiße, weiße Wolken steigen auf in den dunklen Nachthimmel, vermischen sich mit der kalten Luft, sorgen dafür, dass ich nichts sehe, was mehr als einen knappen Meter von mir entfernt ist.
Erin und ich lassen uns auf einer im Wasser eingelassenen Bank nieder, kurze Zeit sitzen wir da ohne auch nur ein Wort zu sagen und obwohl ich das Gefühl habe, dass sie immer näher zu mir rutscht, sehe ich sie nur schemenhaft.
„Lilith?", fragt sie irgendwann und meine Gedanken sind vernebelt von der kalten Luft, vom Alkohol, von ihrer Anwesenheit. „Mhm?"
„Hast du... hast du mich damals eigentlich vermisst?"
„Was?" Ich starre sie an, habe keine Ahnung, was sie mit dieser Frage bezwecken will.
„Ob du...", jetzt wirkt sie unsicher, „ob du mich vermisst hast, nachdem das alles vorbei war?"
„Erin, meinst du das jetzt ernst? Ob ich dich vermisst habe? Natürlich habe ich das, Monate, nein, Jahre später habe ich das noch. Du warst diejenige, die danach gewirkt hat, als wäre ihr die ganze Situation völlig egal." Jetzt klingt meine Stimme traurig und vorwurfsvoll, obwohl ich das nicht wollte, obwohl ich vor gerade mal fünf Minuten noch richtig gut gelaunt war.
„Ich... Ja, habe ich- aber ich dachte immer, du mich nicht. Du... du bist ab dem Tag danach immer so rübergekommen, als hätte dir das alles nichts ausgemacht, als würde dein Leben einfach genauso weitergehen wie davor, nur eben... ohne mich"
Ich lache leise auf, es ist kein bitteres Lachen aber auch kein fröhliches, ich weiß es selbst nicht so genau. „Logischerweise weil ich so wirken wollte, als würde mein Leben genauso weitergehen. Dich nicht vermissen..." Bei den letzten Worten geht meine Stimme hoch, klingt gekünstelt und dünn und ich hasse es.
„Es war... ich war nur wenige Wochen später auf dieser Party und du hast Keindra geküsst und du hast so... so glücklich gewirkt, so zufrieden und... ach Lilith, es tut mir leid, ich weiß nicht, wieso ich dieses Gespräch gerade begonnen habe, ich-"
„Hey, es ist alles okay", sage ich und merke, wie mein Herz bei ihren Worten wieder etwas auftaut und in mir steigen Gefühle auf, die ich seit Jahren nicht mehr gefühlt habe, es ist, als hätte ich sie damals konserviert, eingefroren und aufbewahrt, nur um sie am heutigen Tag wieder hervorzuholen.
„Ich weiß, ich habe es schon mal gesagt, aber es tut mir leid, wirklich. Heute würde ich viel anders machen" Sie schluckt und rutscht noch näher zu mir bis unsere Schultern sich berühren und es ist, als würden kleine Stromschläge, von dieser Stelle ausgehend, durch meinen ganzen Körper zucken, mich mit einer Hitze fühlen, die mir zuvor unbekannt war.
„Das würde ich auch", gebe ich zu und jetzt, wo ich darüber nachdenke, merke ich, dass es stimmt. Dass ich viel falsch gemacht habe, vielleicht nicht mehr als sie aber auch nicht weniger, dass es gar nicht ihre Schuld ist, dass das mit uns zu Ende gegangen ist sondern die von uns beiden. Wir haben beide dazu beigetragen, nicht viel, nichts, was man bemerkt hätte, zumindeste nicht währenddessen, aber doch so viel, dass es da war, rückblickend eigentlich unübersehbar. Ihr Vater hat dann das Haus aus unseren Fehlern, über die wir nie gesprochen, die wir nie geklärt haben, endgültig zum Einstürzen gebracht.
„Aber ich meine, wir waren 17", füge ich noch hinzu und das ist ja auch die Wahrheit, wir waren siebzehn, übermütig und so verdammt verliebt.
„Siebzehn bedeutet nicht gleich dumm", antwortet Erin mir. „Manchmal wünsche ich mir, alles wäre anders gekommen."
Und diese Worte lösen etwas in mir aus, das ich nicht beschreiben kann, etwas Großes, das mein Inneres zum Überkochen bringt, ich fühle mich, als bräuchte es nur ein weiteres Wort ihrerseits um mich zum Explodieren zu bringen.
Auf einmal sind wir uns nahe, noch näher als davor, so unglaublich nahe, ich spüre ihren heißen Atem in meinem Gesicht, mein Blick ist mit ihrem verbunden, ich verliere mich in ihren Augen, könnte ewig so bleiben und irgendwann küssen wir uns.
Ich weiß nicht, ob es ich bin oder sie oder wir beide gemeinsam, aber ihre Lippen liegen auf meinen und zuerst denke ich, wie falsch sich das anfühlt aber gleichzeitig so richtig und dann denke ich gar nichts mehr, sondern ziehe sie nur näher zu mir, löse mich nicht von ihr, will nur so nahe bei ihr sein, wie es nur geht und nie wieder weg.
Ihre Zunge umkreist meine, ihre Hände liegen auf meiner Hüfte, mein Atem geht schneller und ich fühle diesen Kuss überall, auf meinen Lippen, an meinen Wangen, zwischen meinen Beinen, in meinem Herzen. Erin drückt sich an mich, sie keucht leise und mit einem so rauen Unterton, dass ich beinahe ohnmächtig werde und ohne auch nur einen einzigen Gedanken an die Folgen, an das ,Später' zu denken, schiebe ich meine Hand unter ihr Bikinioberteil, weiß nicht, was gerade passiert, nur, wie verdammt gut es sich anfühlt, wie verdammt gut sie sich anfühlt, so neu und gleichzeitig so vertraut.
Wir küssen uns, als wäre die jeweils andere der Sauerstoff den wir so dringend zum Überleben brauchen, wir küssen uns, als gäbe es kein Morgen, keine Konsequenzen, keinen James, nur uns beide, unsere Lippen, unsere Hände, unsere Körper. Ich spüre Erins zarte Haut unter meinen Fingern, ihr feuchtes Haar fällt mir ins Gesicht, mein ganzer Körper glüht.
Irgendwann lösen wir uns voneinander, ich sehe sie an, ihre hungrigen Augen, ihre volle Lippen, die zart geröteten Wangen, der schmale Hals, das verrutschte Bikinioberteil und alles, woran ich denken kann, ist, wie wunderschön sie ist, wie sehr ich sie vermisst habe und wie gerne ich sie noch einmal zu mir ziehen würde, sie küssen, mit ihr schlafen, ich bin wie berauscht von dem Moment.
Es dauert ein paar Gedanken, bis meine rationalen Gedanken wieder Überhand nehmen, bis mir alles einfällt, was ich gerade die ganze Zeit erfolgreich verdrängt habe, dem ich mich aber stellen muss, früher oder später, eher früher als später.
„Fuck...", murmle ich leise vor mich hin, während ich daran denke, was James sagen würde, wie es ihm gehen würde, würde er wissen, dass seine Freundin ihm eben mit seiner besten Freundin fremdgegangen ist und mein Herz pocht schnell gegen meine Brust, fühlt sich an, als würde es jederzeit herausspringen, zu Boden des Beckens sinken, untergehen.
„Alles klar?", fragt Erin sanft und irgendetwas an dieser Frage bringt das Fass aus meinen Gedanken zum Überlaufen.
Also gehe ich, ich schwimme hinein, klettere aus dem Becken, schürfe mir meinen Ellenbogen auf dabei, während ich merke, wie mir Tränen die Wangen hinabrinnen. Ich laufe, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter mir her, verzichte auf jegliches Abduschen, Föhnen, will einfach nur weg, tue so, als könne ich so meinen Taten entkommen.
Ich renne davon – schon wieder.
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the chance you got (gxg)
Romance"Ich habe keine Ahnung, wie lange ich das alles noch kann und wen ich am Ende dieser Geschichte verlieren werde - Erin, James, oder mich selbst." ... James ist kein berühmter Mensch, niemand Weltbekanntes, doch für Lilith ist er alles: Der beste Fre...