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Es ist über eine Woche vergangen seit dem Picknick und ich habe das Gefühl, dass die Freundschaft von James und mir sich langsam wieder zum Besseren wendet – oder was heißt zum Besseren, aber wir verbringen wieder mehr Zeit miteinander.

Jetzt ist es Freitag, später Nachmittag, er und ich sind gerade dabei, die letzten Vorbereitungen für die heute geplante Grillparty auf unserer Dachterasse zu treffen, als James mich noch einmal auf das Thema Erin anspricht. Inzwischen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich darum so seltsam auf das Ganze reagiere, weil ich Angst habe, die Beziehung, durch die mein bester Freund so viel glücklicher ist als davor, für ihn irgendwie unangenehm zu machen.

„Lilith...", beginnt er mit leichter Unsicherheit in der Stimme. „Du meintest ja, dass du Erin nett gefunden hast neulich?" Ich nicke, während ich einen Stapel mit Tellern auf einem der Tische abstelle und Servietten darauf platziere.

„Meinst du... du könntest heute vielleicht etwas mit ihr sprechen?"

„Wie... was?", frage ich verwirrt. „Ich werde heute einen Teil der Zeit nicht hier oben sein können, weil ich noch Sachen in der Küche zu tun habe und du, Madame, ja nicht kochen kannst, und... Erin kennt kaum jemanden aus unserem Freundeskreis und ich habe Angst, dass es für sie unangenehm wird, weil sie niemandem zum Unterhalten hat oder so..."

Ich sehe James an, wie schlecht er sich für diese Bitte fühlt. „Also, du musst dich nicht um sie kümmern oder so was und du kannst auf jeden Fall auch Nein sagen aber es wäre unglaublich nett, wenn du heute einfach ein bisschen mit ihr reden könntest? Oder sie einfach miteinbeziehen?"

Innerlich beschert mir dieser Vorschlag Schweißausbrüche und allein der Gedanke an mögliche Gesprächsthemen zwischen Erin und mir treibt mir die Röte ins Gesicht. ,Ach ja, und wie ging es dir übrigens seit du damals gemeint hast, das mit uns beiden würde nicht funktionieren?' Bestimmt...

„Nein, das ist kein Problem", höre ich mich aber plötzlich sagen und ich kann richtiggehend sehen, wie James ein Stein vom Herzen fällt. „Danke, Lilith", sagt er. „Dann komm, lass uns noch die letzten Sachen vorbereiten."

Stunden später hat die Dunkelheit die Sonne verschlungen, genauso wie wir die zwanzigtausend Kilo Essen, von denen ich James prophezeit habe, sie würden nie alle wegkommen und ich nehme mir vor, mich später bei ihm zu entschuldigen, denn natürlich hatte er Recht.

Die Lampions, die wir vorsorglich aufgehängt haben, tauchen die Dachterrasse in warmes, aber gleichzeitig nicht zu helles Licht, irgendjemand hat von irendwoher eine Gitarre hervorgezaubert, spielt und singt und unser kompletter – leider größtenteils unmusikalischer – Freundeskreis, hängt der Person an den Lippen.

Ich weiß nicht, ob es Absicht war oder nicht, aber irgendwann sind Erin und ich die einzigen, die nicht dort sind, wir stehen am Rand und beobachten die Stadt unter uns. Ich habe James den Gefallen getan und den ganzen Abend lang immer wieder ein paar Worte mit ihr gewechselt, aber es war so, wie man sich das eben vorstellen würde: Seltsam und irgendwie roboterartig.

Jetzt, wo wir beide etwas angetrunken sind – oder zumindest ich, fairerweise habe ich keine Ahnung, ob Erin es auch ist – wird das Ganze etwas lockerer, ich werde lockerer.

„Lilith?", fragt Erin und ich drehe mich zu ihr um. Sie lächelt mich an, ich sehe sie an, sehe in ihr Gesicht, kurz auf ihre Brüste in dem verdammten tiefen Ausschnitt und dann fühle ich mich schlecht deswegen und sehe ihr wieder ins Gesicht.

„Hm?"

„Ich wusste gar nicht, dass du jetzt auch in dieser Stadt bist." Ihre Stimme ist rau und klingt, als hätte sie nach etwas viel Intimerem gefragt als nur nach meinem Aufenthaltsort.

„Woher solltest du auch?", frage ich, es klingt schnippisch und ich ärgere mich, andererseits muss ich auch damit rechnen, Gedanken laut auszusprechen, wenn ich Alkohol trinke, schließlich kenne ich mich selbst gut genug.

„Also... also bist du noch sauer?", fragt sie und streicht sich unsicher eine Haarsträhne aus dem Gesicht, eine Geste, die mich fühlen lässt, als wäre ich wieder 17, ich weiß auch nicht, wieso.

Ich denke nach. Bin ich noch sauer? Ich weiß es nicht, ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, aber wenn ich es jetzt so tue, war ich eigentlich nie sauer, immer nur traurig und verletzt, so unglaublich verletzt.

„Ich... ich weiß es nicht, ich glaube nicht. Ich habe es nur nie verstanden", murmele ich leise und plötzlich fühlt sich dieses Gespräch viel zu ehrlich an. Viel zu ehrlich dafür, dass ich das Gespräch mit Erin führe, viel zu ehrlich dafür, dass ich eigentlich noch gar nicht viel getrunken habe, viel zu ehrlich dafür, dass mein bester Freund zehn Meter weiter sitzt und wahrscheinlich verliebt an sie denkt.

„Es tut mir leid, Lilith"

Vor drei Jahren hätte ich mir diese Worte gewünscht, mehr als alles andere, doch jetzt verwirren sie mich nur noch mehr. Ich sage nichts, sehe sie nur an, bis ich irgendwann merke, dass mein Blick auf ihren Lippen hängengeblieben ist und ich wende ihn schnell ab.

Trotz des Ausbleibens meiner Antwort spricht Erin jetzt weiter, sie spricht schnell, so, als wolle sie die Worte einfach nur loswerden. „Erinnerst du dich noch an Kilian Mettner?"

Durcheinander nicke ich. „Ja, der Typ aus Französisch, aber was-"

„Er hat es meinen Eltern gesagt", sagt Erin. „Er hatte das Foto von dieser einen Party, du weißt schon, bei Maria L., und er hat es ihnen gesagt, das mit uns beiden, du kannst dir nicht vorstellen, wie Papa reagiert hat. ,Meine Tochter ist keine Lesbe!', hat er gebrüllt, immer und immer wieder und-"

„Aber das warst du doch nicht mal", sage ich und fühle mich augenblicklich schlecht, dass dieser Punkt der einzige bin, auf den ich eingehe, aber mein Gehirn scheint seit diesen paar Minuten, die sie jetzt schon spricht, völlig auszusetzen. „Seit ich dich kenne hast du immer gesagt du bist bi, du hattest doch sogar schon einen Freund-" Augenblicklich fällt mir ein, dass sie auch jetzt einen Freund hat – James – doch ich verdränge den Gedanken.

„Und du denkst, das hat ihn irgendwie interessiert?", fragt Erin und lacht bitter. „Natürlich nicht. Ich war mit einem Mädchen zusammen, das hat gereicht und... Lilith, ich konnte nicht anders, wirklich nicht. Und ich weiß, das hätte ich dir zumindest sagen müssen, ich hätte dir eine Erklärung für mein Verhalten liefern müssen aber das... das ging nicht... Und es tut mir leid. Wirklich."

Ich schlucke. Ich hatte ja keine Ahnung.

„Ist okay, Erin, wirklich", sage ich und lege dann vorsichtig die Arme um sie.

So stehen wir eine Zeit lang da, so lange, bis James' Stimme uns aus unserer Umarmung reißt. „Wollt ihr beiden auch zu uns rüberkommen?"

***

Es ist spät, die Gäste sind verschwunden, abgehauen, einer nach der anderen und zurückgeblieben sind James und ich.

Gerade, als wir uns gegenseitig Gute Nacht wünschen, sagt er noch einmal meinen Namen.

„Das heute Abend bedeutet mir wirklich viel", sagt er und schluckt. „Ich hatte Angst, ihr beide würdet euch irgendwie nicht verstehen oder so und... Ich finde es wirklich toll, dass ihr es schon tut. Danke, Lilith, ehrlich"

Danke, Lilith.

Er hat ja keine Ahnung, dass ich vermutlich gerade dabei bin, mich in seine Freundin zu verlieben – Noch einmal.

the chance you got (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt