dreizehn //

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James beugt sich zu mir nach unten, er steht neben mir an der Bar, an seiner anderen Seite Erin. „Heute ist ja mal absolut gar nichts los" Er verzieht sein Gesicht zu einer Grimasse, sein Tonfall ist scherzend, trotzdem merke ich, dass auch eine Spur Ernst in seiner Stimme mitschwingt.

„Willst du nach Hause gehen?", erkundige ich mich und sehe ihn fragend an. Es ist gerade mal elf, wir sind vor nicht viel mehr als einer halben Stunde gekommen und eigentlich hoffe ich, dass er nein sagt, stelle die Frage nur aus Höflichkeit, bete innerlich dafür, dass er das antwortet, was ich mir wünsche.

„Nicht nötig", sagt er – ich atme innerlich auf – und dann: „Ich werde kurz mal Kimi suchen gehen, wenn das für euch klar geht?" Ich verkneife mir einen Kommentar darüber, dass Kimi wahrscheinlich gerade entweder irgendwo mit irgendjemandem raucht, knutscht oder beides abwechselnd und wende mich wieder zu ihm: „Alles klar, kein Ding" Auch Erin nickt ihm zu, sie lächeln, es ist eine kleine Geste, eine unschuldige, aber trotzdem fühlt es sich so an, als sollte ich ihnen besser nicht dabei zusehen. Ihre Augen flirten miteinander und ich verspüre einen kurzen Stich in der Magengrube, den ich kurzerhand mit dem Rest des Getränks in meinem Becher bekämpfe – oder es zumindest versuche.

Dann ist James weg und Erin und ich stehen nebeneinander an der Bar, inmitten von Menschen und gleichzeitig zu zweit, jetzt lächelt sie mich an und ich verstehe nicht, wie sie in dem einen Moment James mit ihrem Blick halb ausziehen und im nächsten mich so ansehen kann, als wäre nichts zwischen uns gewesen, obwohl da etwas war, mehr als nur ein bisschen. Gleichzeitig weiß ich, dass ich um kein Stück besser bin, sie genauso ansehe, wie sie es bei mir tut.

Der bisherige Abend war seltsam, nicht schlecht, im Gegenteil aber ich fühle mich seit Stunden, als müsse man mir in Erins Gegenwart am Gesicht ablesen können, was ich getan habe, was wir getan haben, was ich mir innerlich wünsche, noch einmal zu tun und wofür ich mich selbst hasse.

Wir – das sind Lena, Leo, Kimi, Erin, James und ich – waren in unserer WG bevor wir hierhergekommen sind, haben uns zuerst zusammen fertiggemacht, zusammen getrunken, zusammen gelacht, geredet aber ich sehe Erin und mich noch vor mir, am Küchentisch sitzend und jeden Blickkontakt vermeidend, wie zwei Teenager, die sich ein Tattoo stechen haben lassen und mit ganzer Seele darauf hoffen, dass ihre Eltern es nicht bemerken.

Jetzt, mit mehr als nur ein paar Getränken intus, ist es leichter, diese Anspannung zwischen uns beiden, die wahrscheinlich nur von mir ausgeht, scheint sich verringert zu haben, dennoch ist da etwas, was vor dem Tag in der Therme nicht war, etwas, das sich früher oder später zwischen mich und James, Erin und James, mich und Erin oder uns alle stellen wird, auch, wenn ich mir wünsche und wirklich hoffe, es wäre nicht so.

„Lilith?" Ihre Stimme klingt immer gleich, wenn sie meinen Namen ausspricht, rau, mit Betonung auf der ersten Silbe und so langsam, als müsse sie jedem Buchstaben genügend Bedeutung schenken, aber das ist Quatsch, trotzdem mag ich es, wie sie ihn sagt, es klingt anders als bei allen anderen.

„Hm?"

Ich sehe zu ihr hinüber, will nicht unhöflich wirken, auch, wenn ich Angst vor dem habe, was in ihrem Blick auf mich warten könnte. „Hm?"

Sie steht neben mir, ihr Körper wird gesprenkelt von den wild umherzuckenden Lichtern und leuchtet abwechselnd rot, grün, weiß. Erin trägt eine enge schwarze Jeans, dazu ein grünes Top, das ihren Rücken freilässt und auch viel zu viel von ihrem restlichen Körper, es ist, als wäre sie angezogen nackt und als wäre ich machtlos gegen die Wirkung, die sie auf mich hat und von der ich mir wünsche, es gäbe sie nicht.

„Willst du tanzen?" Ihre Augen scheinen zu funkeln, wie Diamante im Sonnenschein, ihre Lippen glänzen, ihre Wangen sind gerötet und, verdammt, sie sieht aus wie ein Model, nur noch viel besser.

Ich sehe sie abermals an, in ihren Ohren glänzen kleine, Perlen und sie ist geschminkt, stärker als normalerweise. „Jaa", antworte ich und merke selbst, wie doof sich das anhört mit dem in die Länge gezogenen Laut, also schiebe ich noch ein schnelles „Gerne" hinterher, das sich dann aber so formell anhört, dass ich wünschte, ich hätte es nicht gesagt.

Erin nimmt mich an der Hand und zieht mich auf die Tanzfläche, unsere Finger berühren sich, es ist nichts Besonderes, eine normale Geste, etwas, das ich mit Lena schon zigtausende Mal gemacht habe, trotzdem fühlt es sich seltsam an, anders, vielleicht, weil ich weiß, wie diese Finger sich an anderen Stellen meines Körpers anfühlen.

„Kann ich dir was sagen?", rufe ich Erin über die Musik hinweg zu, deren Bässe den Boden zum vibrieren bringen und sie antwortet mit einem Daumen nach oben und grinst. „Ich kann nicht tanzen!", schreie ich. „Ich weiß!", gibt sie zurück und ihre Augen funkeln.

Und eigentlich ist es mir auch egal, dass meine Fähigkeiten im Tanz darauf beschränken, herumzuspringen und zu schreien, ich weiß nicht, ob es an am Alkohol oder an ihr liegt, wahrscheinlich ein bisschen an beidem.

Erin ergreift wieder meine Hand, Lichter tanzen über den Boden und ihren Körper, ich fühle mich seltsam unbefangen, ziehe sie näher an mich. Sie sieht mich überrascht an, so, als hätte sie mit allem gerechnet, nur nicht damit und spüre ihre Hand an meiner Hüfte. Das Lied ist zu schnell, zu laut für die Art und Weise wie wir tanzen. Eigentlich, denk ich, während mein Herz schnell und glücklich in meiner Brust pocht, tanzen wir auch gar nicht, wir bewegen uns, sehen uns an, als gäbe es ein Geheimnis, das nur wir beide kennen und genau genommen ist es auch so.

Mein Körper glüht auf eine Art und Weise, wie ich ganz vergessen hatte, dass er das kann und Erins Gesicht ist meinem kurz so nahe, dass ich kurz Angst und gleichzeitig Hoffnung habe, sie könne mich gleich küssen, doch es geschieht nichts und ich bin gleichzeitig glücklich und enttäuscht darüber.

Sie wirbelt mich herum, ich will gar nicht wissen, wie meine Locken, die ich mir davor extra noch gemacht habe, inzwischen aussehen müssen und ich muss mich immer wieder mit Gewalt daran erinnern, was wir nicht sind: Ein Paar. Stattdessen sind wir zwei Frauen, die sich benehmen, als wären sie es noch nicht, die mal zusammen waren und jetzt eigentlich nur noch ganz normale Freundinnen sind, abgesehen von der Tatsache, dass sie sich seither wieder geküsst haben – und dass eine von den beiden eigentlich vergeben ist.

the chance you got (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt