Er war gerade dabei aufzustehen, als er feststellte, dass ihn etwas aus dem Fenstersims beobachtete. Er drehte den Kopf und blickte in schwarze Augen mit kreuzförmigen weißen Pupillen.
Der blaue Kater rührte sich nicht, als er zurückblickte. Mitten in der Bewegung hatte er innegehalten, eine Pfote erhoben. Raffael erkannte ihn sofort als den Djinn von gestern und sein Körper versteifte sich von dem unerwarteten Schrecken. Wahrscheinlich war dieser gerade durch das Fenster in den Raum gekommen und hatte ihn nicht erwartet. Er zumindest hatte ihn auf keinen Fall erwartet, nicht jetzt. Es war viel zu früh.
Sie blickten sich einige Sekunden lang an, bis Raffael eine Braue hob und sich entschloss, das Wort zu erheben, „So schnell seit ihr also hergekommen? Oder bist du nur die Vorhut?"
Hatte der Kater ihm aufgelauert? Schlagartig wurde Raffael bewusst, dass er nahezu nichts über dieses Wesen wusste.
Der blaue Schwanz des Katers zuckte. Doch dann setzte er sich hin und fing an sich die Pfote zu lecken, „Genau genommen hat es uns nur wenige Stunden gekostet. Etienne ist gerast wie eine Verrückte."
„Gerast?"
Der Kater schien mit den Schultern zu zucken und die Bewegung irritierte Raffael, „Sie hat ein Motorrad. Meiner Meinung nach ist sie keine gute Fahrerin."
Ein Motorrad? Er fand, dass es nicht zu ihr passte. Aber irgendwie musste sie auch an den Wald zum Schloss gekommen sein. Es gab keine Zuggleise dorthin und es würde definitiv kein Bauer oder sonstiger Mensch mit Zugang zu Pferden jemanden dorthin bringen. Zu viele düstere Geschichten kursierten um den Ort und die Menschen fürchteten sich davor. Außerdem war es nicht so, dass es andere Fortbewegungsmöglichkeiten außerhalb der Stadt gab.
Dennoch, die Nachricht, dass sie jetzt schon da waren, traf ihn unvorbereitet. Er hatte erwartet, dass es ein, zwei Tage dauern würde. Vor dem Château hatten er und seine Begleiter keine Maschinen ausmachen können. Er hatte daraufhin vermutet, dass sie zu Fuß unterwegs war.
Er lächelte, versuchte die Nervösität zu überdecken, „Wo ist sie denn?"
Der Schwanz des Katers zuckte, „Wahrscheinlich schläft sie noch. Sie ist ein Langschläfer."
„Ist das so", meinte Raffael, „Wo genau schläft sie denn? Vielleicht sollte ich ihr ein Besuch abstatten."
Es gab nicht sehr viele Hotels oder Motels in Calisteo. Die Stadt wurde selten besucht. Eigentlich hatte er vermutet, dass sie nicht sonderlich wohlhabend war. Die Kleidung schien es einfach nicht herzugeben. Aber ein Motorrad war nicht gerade leicht zu bekommen. Hatte sie es geklaut?
Hinzu kam, dass er Elias und Gilgian zuvorkommen musste. Eigentlich wollte er die Zeit nutzen, um mit Eldan das Thema zu besprechen und sich einen Plan zurechtzulegen, wie sie mit Etienne umgehen sollten. Gilgian war dabei weniger das Problem. Elias hingegen schon. Er hat sicherlich schon alles seiner Familie erzählt. Und wie Raffael sie kannte, war Etienne schon längst eine Zielscheibe. Sie würden sich wie Hyänen auf sie stürzen, sobald sie die Chance bekommen sollten.
Der Kater sprang von dem Sims auf die Küchenzeile und plötzlich fragte sich Raffael, was dieser bei Tatinne der Spinne verloren hatte.
„Sie ist nicht sonderlich weit weg. Aber sie wird gerne zum Monster, wenn man sie weckt. Zu deiner eigenen Sicherheit solltest du warten, bis sie aufwacht."
Raffael lachte, als er sie sich wütend vorstellte. Sie war nicht sehr groß, kleiner als Scarlett. Kurz spielte er in seinem Kopf die Situation durch. Würde sie ihn anschreien? Er wusste schon wie es war, von wütenden Frauen angeschrien zu werden, das würde er aushalten. Aber er wollte sich ihr nicht direkt schon aufdrängen. Sie würde sich überrumpelt, wahrscheinlich sogar bedroht fühlen. Das war nicht sein Ziel.
„Was machst du eigentlich hier?", fragte er den Djinn.
Der Schwanz des Katers zuckte und als er den Kopf zu ihm drehte, hatte Raffael das Gefühl er würde ihn angrinsen, „Wer weiß?"
Mit einem unangenehmen Gefühl im Magen runzelte er die Stirn. Plötzlich erinnerte er sich wieder daran, dass es sich hier um einen Djinn handelte, der ihm absolut keine Rechenschaft schuldig war. Selbst die Bewohner der anderen Provinzen wagten es nicht ihm eine Antwort zu verweigern und wenn, dann waren es die, die besonderen Kontakt zu Gilgian und Elias hatten. Aber was konnte er dem Djinn anhaben? Dunkel erinnerte er sich an den Namen, wusste aber nicht woher. Er müsste heute herausfinden, was es damit auf sich hat.
Sein Herz fing schneller zu schlagen an, als ihm dämmerte, dass an dieser Situation irgendetwas gar nicht stimmte. Und sein Instinkt sagte ihm, dass es mit diesem Kater zusammenhing. Er sollte ihn etwas fragen. Ihm kam aber nicht in den Sinn, was.
Plötzlich ging eine Tür auf und Raffael blickte beinahe erleichtert in der Erwartung Tatinne zu entdecken zur Seite. Doch es war nicht Tatinne, die da verschlafen in einem Pyjama an der verbotenen Tür stand. Es war Etienne und das brachte ihn tatsächlich dazu, überrascht zu blinzeln. Er vergaß den Djinn.
Sie schloss die Tür, die eigentlich für ihn zu betreten verboten war und Raffael wurde umso vorsichtiger und aufmerksamer. Welchen Kontakt hatte sie zu Tatinne? Ihre schwarzen Haare standen in alle Richtungen ab. Ihre stechenden grünen Augen waren verschlafen, als sie ihn erblickten. Sie war barfuß. Bei diesem Anblick musste er lächeln. Es war sehr ähnlich dem Bild, welches er sich vorhin erst vorgestellt hatte. Und diesmal vermerkte er in seinem Kopf, dass die Augen grün waren.
Dennoch war das bei weitem keine gute Situation für ihn. Er hatte sich noch nicht entschieden, wie er vorgehen sollte.
Ihre Augen betrachten ihn von oben bis unten. Raffael grinste ihr entgegen. Dann seufzte sie genervt und ein Blick, den er als warnend identifizierte, ging hinter ihn zum Kater. Sie setzte sich in Bewegung. Ohne weiter auf ihn zu achten, öffnete sie ein paar Schubladen, machte den schwarzen Wasserkocher an und hatte nach wenigen Sekunden eine dampfende Tasse Tee vor sich. Der Geruch nach Kräutern erfüllte das Zimmer. Raffael liebte diesen Geruch. Es waren Bergkräuter und Blumenblüten, welche hinter seiner Provinz wuchsen. Damals hatten er und Scarlett häufig den Tee von seiner Mutter bekommen. Der Gedanke an sie ließ wieder ein schmerzendes Pochen in seiner Brust entstehen.Darüber durfte er jetzt nicht denken.
Er nutzte den zunächst ruhigen Moment und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Nach wenigen Momenten hatte er sich einen groben Plan zurechtgelegt. Als Erstes würde er herausfinden, welchen Kontakt sie zu Tatinne pflegte. Dann ging es darum zu klären, wie genau sie mit der Vorhersehung zusammenhing. Und anschließend würde er sich überlegen, wie er am besten dafür sorgen konnte, dass die Stadt nicht in Chaos endete, sollte sie wirklich die Macht an sich reißen. Vor allem die letzte Frage machte ihm zu schaffen. Niemals würde sie von allen Bewohnern Calisteos einfach so akzeptiert werden.
Sie setzte sich ihm gegenüber und rieb sich mit dem Handrücken den Schlaf aus den Augen, „Was machst du hier?"
"Ich habe auf dich gewartet", erwiderte er, immer noch leicht überrumpelt. Er wollte ihr nicht zeigen, dass sie ihn Überrascht hatte.
"Hat er das?", fragte sie und ihr Blick wanderte zu dem Kater. Raffael vermied es, das Gesicht zu verziehen.
"Nein", sagte der Kater.
Ein triumphierender Blick wanderte zu ihm zurück und er spannte sich genervt an. Nur ein kleiner Fehler seinerseits.
"Gib mir den Stein wieder", sagte sie zu ihm.
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Calisteo - Stadt der Geister
FantasíaUmgeben von Meer und Wüste steht in einem Fleck von Grün die kleine Stadt Calisteo. Sie ist ein Zufluchtsort für Reisende, scheinbar friedlich und unwichtig, fernab all des Chaos der Neuen Welt. Der fragile Frieden der Stadt wird durch eine Vorhers...