Calisteo bei Nacht: Ein ehrliches Lächeln

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Catjill flog durch den dunklen Gang der engen Treppe wieder nach unten und Etienne folgte ihm, bewunderte sein blaues Fell, welches in der Dunkelheit zu leuchten schien. Unten entdeckte sie Raffael, noch immer mit ihrer Jacke, am Küchentisch sitzen, sein Gesicht in die Hand gestützt. Auch er sah etwas erschöpft aus, hatte die Augen geschlossen, bis sie hineingetreten waren. Tatinnes Stimme war in der Stille umso deutlicher zu vernehmen. Wahrscheinlich der Grund, weshalb er noch nicht nach unten gegangen war.

Raffael sah zu ihr hinauf, seine Mundwinkel hoben sich leicht, „Und? Gibt es noch mehr Wunden, um die wir uns kümmern müssen?"

„Nichts, worum du dich kümmern könntest", sagte sie ausweichend.

Sie trat von einem Fuß auf den anderen, bedachte kurz Catjill, welcher um den Tisch herum schwebte. Er schien genauso unschlüssig, wie sie selbst. Etienne bezweifelte jedoch, dass ihm dasselbe zu schaffen machte, wie ihr.

Als sie wieder zu Raffael sah, entdeckte sie seinen wartenden, auffordernden Blick und zwang dann verlegen heraus, „Danke, für das Andere."

Nach einem überraschten Blinzeln lächelte er ihr entgegen und sein Gesicht schien für einen Moment regelrecht zu strahlen, erfüllt von einer Wärme, die sie bei ihm noch nicht gesehen hatte. Sie war sich nicht sicher, ob sie diese überhaupt je bei einem Menschen gesehen hatte. Etienne hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass es ehrlich und aufrichtig war und das überforderte sie.

„Gern geschehen", sagte er und schien wirklich froh darüber sein, dass sie sich bei ihm bedankt hatte.

Das ist doch keine normale Reaktion?

Sie verspürte das Bedürfnis zurück zu lächeln und stand wie versteinert da, hielt den Atem an, verwirrt und unwissend, was sie tun sollte. Ob sie weggehen sollte oder ob sie etwas sagen sollte. Catjill flog dann an ihr vorbei zu ihm auf den Tisch. An diesem lag ihr Talisman, wie sie es verlangt hatte.

Catjills Aufregung war in seinem ganzen Auftreten zu spüren, als er mit seinen Pfoten auf dem Tisch tippte. „Raffael, weißt du wo hier die Aussicht auf die Stadt am besten ist?"

Raffaels Aufmerksamkeit wanderte zu dem Kater und Etienne fühlte sich, als würde sie wieder aufatmen können.

„Die Aussicht? Was hast du denn vor?", fragte er den Djinn und Etienne bemerkte, dass er ihm tatsächlich interessiert zuhörte, während dieser ihm davon erzählte, was sie heute Abend vorhatten. Er plapperte es einfach aus, als wäre es nichts. Als Raffaels Aufmerksamkeit dann wieder auf sie fiel, spürte sie erneut die Anspannung aufsteigen.

„Ich kenne einige Orte mit guter Aussicht", sagte er.

„Catjill und ich sollten los. Wir kommen schon alleine klar", sagte sie schnell und ging an ihm vorbei zu der Treppe. Sie hörte, wie der Stuhl zurückgeschoben wurde und er folgte. Catjill flog über ihrem Kopf an ihr vorbei in das große Zimmer, steuerte direkt Meta an, welche sich vor ihm erschreckte, dann aber lächelnd seine Gegenwart annahm. Gilgian saß aufrecht an der Couch. Geschlossene Auge und die graue Haut zeigten Etienne ganz deutlich, dass es ihm nicht gut ging. Er sah schlimmer aus, als vor der Behandlung aber irgendwie auch besser.

„Sieht so aus, als könnten wir los", meinte sie, vielleicht etwas zu hastig. Tatinne schnaubte, während sie ihre Hände an einem Tuch abwischte, „Bleib morgen zu Hause Gilgian. Sag deinen Beratern Bescheid, wenn es sein muss. Und siehe zu, dass keiner die Situation ausnutzt."

Etienne bedachte neugierig ihre Tante. Es war überraschend, dass sie solche Ratschläge gab, da Etienne sie immer eher als wahrhaftig neutral eingeschätzt hat. Deswegen lebte sie auch im neutralen Provinz. Welchen Gefahren Gilgian ausgesetzt sein sollte, könnte ihr egal sein. Aber das war nicht der Fall und so wie Etienne sich erinnerte, schien auch Raffael immer wieder Andeutungen von sich gegeben zu haben, welche auf die Sicherheit von Gilgian und Meta schließen ließen. Meta hingegen schien misstrauisch. Etienne vermutete eine Dynamik, in welche sie und Meta nicht eingeweiht waren.

Calisteo - Stadt der GeisterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt