(Kapitel 1)

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Schon lange will Jürgen in die Hitlerjugend. Das Problem ist sein Vater. Er ist der Meinung, dass weder die Uniform noch das strikte Feindbild eines Juden gut sind für seinen Jungen. Jürgen selber ist anderer Meinung. Er denkt zwar ebenfalls, dass die Juden nichts Unrechtmäßiges getan haben, aber laut ihm soll die Uniform ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln, welches die sozialen Unterschiede überschattet. Außerdem verspricht die Hitlerjugend viel Spaß, welcher ihn aus dem langweiligen Alltag herausziehen könnte. Seine Freunde aus der Schule erzählten ihm so oft von den aufregenden Abenteuern der Hitlerjugend. Dort lernten sie nämlich nicht nur das Marschieren, sondern durften auch in Zelten übernachten und zusammen in einem See herumtoben. Nichts davon klang nach der Gleichschaltung der Jugend, von der sein Vater immer sprach. Also nimmt er sich vor, bei seinen Eltern einen letzten Versuch zu wagen. Während des Abendessens will er sie das letzte Mal damit konfrontieren.

„Mama, Papa?" Sein Vater fordert ihn mit einer schnellen Handbewegung auf, zu sprechen. Mit fester Stimme brachte Jürgen hervor: „Ich will unbedingt in die HJ. Ich weiß gar nicht, warum ihr immer so negativ darüber denkt." Der Kopf von seinem Vater läuft leicht rot an, aber trotzdem redet er mit ruhiger Stimme: „Mein Junge, du weißt doch, dass wir das nicht wollen." Unsere Familie passt einfach nicht in die Ideologie der NSDAP. Ich selber bin dänischer Abstammung. Du würdest gemoppt und verachtet werden. Außerdem gibt es noch ganz viele weitere Jugendorganisationen, denen du beitreten könntest. „In denen müsste ich mich erst einfinden und neue Freunde finden", meint Jürgen. „Über die HJ weiß ich schon alles und fast alle meine Freunde gehen dorthin." „Sonst werde ich irgendwann noch von der Freundesgruppe verstoßen, nur weil ich über die Abenteuer nicht mitreden kann." Hilfesuchend schaut der Vater nach seiner Frau, die gerade das Essen zubereitet. „Du brauchst mich gar nicht so anschauen", meinte diese. „Du kennst meine Meinung, ich habe zwar auch nichts für die Nazis übrig, aber die Jugendorganisation klingt ganz vernünftig." „Ach Schatz, ich hatte mehr Unterstützung erwartet." „Meine Entscheidung ist getroffen: Der Junge wird niemals einer dieser brutalen Jungs sein, die Nachts durch die Straße laufen und die Juden verprügeln." „Denkst du wirklich, ich würde Juden verprügeln?", entgegnet Jürgen, einige meiner Freunde sind doch selber Juden. Langsam drohte der Vater wirklich zu platzen: „Mag ja sein, aber hast du mal gesehen, wie einer von denen in die Hitlerjugend spaziert ist?" „Nein hast du nicht, weil Juden bei den Nazis nicht erwünscht sind." „Irgendwann wirst du dich zwischen Ihnen und der HJ entscheiden müssen." Kurz herrscht eine beunruhigende Stille. Dann durchbricht Jürgen das Schweigen. „Ich muss los", wirft er seinem Vater entgegen. Jürgen tritt häufig als Sängerjunge im Staatstheater auf, weshalb seine Eltern nicht verwundert sind. So verdient er sich immer ein paar Reichsmark zusätzlich zu seinem Taschengeld dazu.

Jürgen Ohlsen - Mythen über Mythen aber keine AntwortenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt