(Kapitel 30)

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Liebes Tagebuch,

Ich weiß, ich habe lange nichts mehr geschrieben. In der letzten Zeit war einfach sehr viel los. Doch heute ist es endlich passiert. Ich bin Mitglied in der HJ, in einer Gruppe, wo Kameradschaft über allem steht und wo wir alle gleich sind. Meine Eltern finden das zwar nicht gut, aber in meinen Augen ist das etwas Positives. Zumindest halten Sie jetzt dank des Geldes Ihre Füße still. Ich verstehe einfach nicht, wo deren Problem liegt. Es ist doch was Tolles, in einer Freundesgruppe bzw. Kameradschaft zu sein, wo jeder jeden gleich viel mag und jeder die Interessen der Freunde für wichtiger erachtet als seine eigenen. Alle 30 Sekunden schaue ich an mir herunter und sehe an meinem linken Arm die Hakenkreuzbinde auf diesem wunderschönen braunen Stoff. Auch die schwarze Hose hat etwas Ästhetisches, wie meine Eltern sagen würden. Schon das erste Mal, wo ich sie heute gesehen habe, hat die Uniform meinen Blick gefesselt. Sie zeigt für mich, dass Deutschland nach dem ersten Weltkrieg wieder an Stärke gewinnt, und auch die Jugend scheint wieder Stolz für dieses Land empfinden zu können. Ich würde eigentlich gerne mehr über den Zweiten Weltkrieg erfahren, weil ich ja in dieser Zeit geboren bin, doch mein Vater wird immer sauer, wenn ich das Thema anspreche. Ich weiß nur, dass er selber von 1914 bis 1917 gekämpft hat, und meine Mutter meint, dass er die fünf Jahre nach dem Krieg nicht mehr derselbe war. Er hatte sich eine Verletzung am rechten Oberschenkel zugezogen, weshalb er bei meiner Geburt bei meiner Mutter sein konnte. Ich träume davon, später selber mal in den Krieg ziehen zu dürfen für Deutschland. Ich will, dass die Frechheit vom Versailler Vertrag ein Ende findet und Deutschland noch stärker wird. Mein Vater war vor gar nicht allzu langer Zeit ein sehr reicher Mann, doch nach 1929 wurde unsere Familie von einem auf den anderen Tag arm. Das war zwar sicher nicht einzig und allein die Schuld dieses aufgezwungenen Friedenvertrags, doch er hatte damit etwas zu tun. Doch es wird nicht mehr lange dauern und Deutschland gehört wieder zu den größten Nationen in Europa. Doch mit Freundschaft und viel Arbeit wird auch dieses Ziel sicher erreicht werden. Das war es mal wieder. Heute ist der 4.12.1932.

Jürgen Ohlsen - Mythen über Mythen aber keine AntwortenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt