(Kapitel 19)

9 0 0
                                    

Jürgen war gerade angekommen. Die nächste Vorstellung von ihm steht an. Er will sich selber beweisen, dass er das Geld auftreiben kann für die eigene Uniform. Auch wenn es ihm jetzt nichts mehr nützen würde, da seine Eltern ihre Meinung auf einmal wieder geändert hatten. Er sitzt in der Umkleidekabine und zieht sich um. Mittlerweile macht es ihm überhaupt nichts mehr aus, vor solch einer großen Menge zu singen. Er steht auf und betrachtet sich im Spiegel. Sein kurzes blondes Jahr, seine blauen Augen und seine markanten Gesichtszüge. Er zieht sich sein Hemd aus und geht zu der Jürgen mittlerweile schon sehr bekannten Kiste. Er streift sich das komplett weiße Hemd über und richtet sich seinen Kragen. Als Nächstes ist die Krawatte dran. Anschließend wechselt er die Hose. Seine normale Alltagshose, die schon ein paar braune Flecken hat, ersetzt er durch eine edle schwarze Anzugshose, die im Licht der Lampen zu glänzen scheint. Wieder geht er langsam zum Spiegel. Mit seinen Fingern geht Jürgen nochmal durch die eigentlich schon gut sitzenden Haare. Dann öffnet sich die Tür. Sein Trainer steht davor. „Es ist an der Zeit den Menschen da draußen zu zeigen, was du drauf hast", sagt dieser. Jürgen klopft ihm auf die Schulter. Mit einem Lächeln auf den Lippen sagt er: „Ich mach das schon, Trainer." Jürgen kann sich noch genau an sein erstes Mal erinnern. Ihm war total übel vor Aufregung, doch als er erst einmal in seinem Auftritt vertieft war, ließ die Anspannung nach. Er fühlte sich wie in jeder einzelnen Gesangsstunde. Als stände er alleine mit seinem Mentor auf der Bühne. Jürgen beendet die schweifenden Gedanken und geht durch die schon offene Tür. Und wieder mal steht er da. Vor diesem riesigen roten Vorhang. Es ist wie immer das Gleiche. Der Vorhang öffnet sich, die Menschenmasse jubelt ihm zu und Jürgen blickt in die ganzen lachenden Gesichter. In alte und junge Gesichter. Hier in diesem Raum scheinen alle gleich zu sein. Und dann geht es los. Die ohnehin schon klatschenden Leute sind vollauf begeistert. Doch kaum ertönt Jürgens Stimme, hören alle auf zu reden und lauschen. Bei jeder kleinen Unterbrechung tobt der ganze Saal. Das geschieht bei jedem von Jürgens Auftritten etwa drei bis fünf Mal, bis die Vorstellung vorbei ist. Dann leeren sich die Sitzplätze und Jürgen zählt das Geld, das ihm die Zuschauer in einen kleinen Korb gelegt haben. So in etwa läuft jeder einzelne Auftritt, und so ist es auch dieses Mal. Zum Schluss beglückwünscht ihn dann immer noch sein Lehrer.

Dieses Mal verschwindet Jürgen schnell von der Bühne. Er zählt das Geld in der Umkleidekabine. Aber ohne auch nur zu zählen, weiß er, dass er es geschafft hat. Beziehungsweise, dass er es geschafft hätte. Schnell zieht er sich um. Das Geld stopft er sich in seine Hosentasche und den Korb lässt er wie immer zurück. Auf der Straße angekommen denkt er über alles nach. Über alle Sachen die ihn beschäftigen. Er kann noch nicht ahnen, dass sich bald alles ändern wird. 

Jürgen Ohlsen - Mythen über Mythen aber keine AntwortenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt