1 | 🂲 | Die Kunst des blauen Wunders

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»Boah, dieses Kunstgeschichte-Zeugs, das wir auch besuchen müssen, ist ja richtig übel«, beschwerte sich Minho in einem spitzen Ton, doch seine Lippen zierte ein verschmitztes Grinsen. Typisch für ihn, bei jeder Gelegenheit, die sich ergab, einen auf Hofnarr zu machen. »Mit jedem Mal wird's nur noch schlimmer, Mann.«

»Babys gibt man ja einen Schnuller, wenn sie so rumheulen«, erwiderte Eunyoung frech, grinste zurück und stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. Minho krümmte sich vor Schmerzen – oder Pseudo-Schmerzen, denn mit so wenig Schwung konnte ein Schlag gar nicht wehtun, und noch weniger einer, bei dem mehr der flache Oberarm traf als der harte Ellenbogen. Aber so war Minho eben: »Drama-Queen«, drückte Eunyoung es passend aus.

»Außerdem bist du schlauer und fleißiger, als du dich gibst«, fügte Eunyoung hinzu, sobald Minho sich ein wenig von der schwerwiegenden Verletzung erholt hatte. Also nach drei bis vier Sekunden eben. »Wer weiß denn immer alles, wenn ich grad eine Gedächtnislücke hab?« Während sie sprach – und weiterlief –, sah sie Minho aufmerksam an – statt auf den Weg zu achten, aber der Flur war ja ziemlich leer, da ging das schon – und ihr verschmitztes Grinsen wurde zu einem sanften Lächeln.

Zum Dahinschmelzen, ehrlich, und zum Dahinschmelzen war auch, wie Minho zurücksah. Aber nur, weil sie beide die Angewohnheit hatten, irgendwie immer total verliebt und zum Verlieben auszusehen, wenn sie Leute musterten, die sie gerne hatten, ganz ohne verliebt zu sein oder zum Verlieben aussehen zu wollen. Weder war Eunyoung in Minho verliebt, noch Minho in Eunyoung, und sie wussten das beide – oder sie gingen zumindest fest davon aus, darüber unterhielt man sich ja nicht. Ein: »Samma, stehst du auf mich?«, war schon eine komische Frage aus reinem Interesse.

Außerdem war nicht mal das Interesse groß da, wahrscheinlich, denn das ganze Interesse der beiden lag auf Jisung. Also Han Jisung, dem Englisch-Zweiti, den sie beide durch Changbin kannten. Changbin war ein Lehramtsstudi, im vierten Semester wie sie selbst, der den einen Englischgrundkurs geschoben hatte und ihn deswegen letztes Semester mit lauter Erstis gemacht hatte. Erstis und ein paar Drittis und Fünftis, die teilweise schon zweimal durch die Klausur am Ende gerasselt waren. Anscheinend gar keine so große Seltenheit in Linguistik, auch wenn Jisung – der süße Zweiti, der es sowohl Minho als auch Eunyoung angetan hatte – das gar nicht verstehen konnte.

Jisung fand Linguistik toll und es war anscheinend so ein Hobby von ihm, über den Unterschied zwischen Phonologie und Phonetik zu schwärmen. Und, offensichtlich, versteht sich, konnten Minho und Eunyoung den Unterschied mittlerweile auch erklären, sie passten ja auf, wenn Jisung sprach. Auch wenn sie weder Phoneme noch Phone noch sonst irgendwas Sprachwissenschaftliches jemals in Kunst brauchen würden. Vielleicht würden sie es ja mal brauchen, um Jisung zu beeindrucken.

Vielleicht merkten sie es sich aber auch nur, weil sie niemandem so aufmerksam zuhörten wie ihm – nicht mal ihrem Kunstgeschichte-Professor, der ihnen heute was darüber erzählen hatte wollen, warum stur nach dem Goldenen Schnitt zu suchen der größte Scheiß war ... Oder so. Richtig aufgepasst hatten sie nicht, sie hatten sich ja darüber austauschen müssen, wie dämlich dieses Baby mit dem Gesicht eines Achtzigjährigen seine Mami auf einem der besprochenen Gemälde angeglotzt hatte.

»Changbiiiin«, begrüßte Minho seinen langjährigen besten Freund, sobald Eunyoung und er an ihrem Stammplatz in der Mensa angekommen waren, und klopfte ihm auf die Schulter, bevor er sich auf den Platz neben ihm plumpsen ließ. »Wie immer der Erste, auf dich kann man halt zählen!« Eigentlich spielte Minho dabei wahrscheinlich nur darauf an, dass Changbin so eine Angewohnheit hatte, sich in allen Kursen direkt an die Tür zu hocken, damit er am Ende möglichst zügig entwischen konnte – oder vor Ende. Manchmal sogar eine Viertelstunde vor Ende. Allerdings war das den Dozierenden herzlichst egal, besonders in Vorlesungen, die auf gut vierhundert Studierende ausgelegt waren.

I WANT HIM 2 ||  jilix +[huh?]-minsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt