Eine Katastrophe

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„Bist du dir sicher, dass das notwendig ist, Lucius? Ich bin sicher, sie ist nur eine Spätzünderin. Und es ist noch ein Jahr, bis sie ihren Hogwartsbrief bekommt", das war das erste Mal, dass Narcissa Malfoy ihren Mund aufgemacht hatte seitdem sie das St-Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen betreten hatten.

Callista hielt die Hand ihrer Mutter und musste beinahe rennen, um auf dem Weg durch die schier endlosen Korridore mit ihren Eltern Schritt zu halten.

Ihr Vater, der voranlief und eine Kapuze über das platinblonde Haar geschoben hatte, damit man ihn in dieser eher unbekannten Abteilung nicht erkannte, drehte sich nicht einmal zu ihnen um: „Besser, wir wissen es jetzt, als wenn sie nächstes Jahr keinen Brief bekommt. Dann werden wir das nicht mehr verheimlichen können. Und du weißt, was das für unsere Familie bedeutet".

Das oder es. Callista schauderte. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, ihr Zwillingsbruder Draco wäre bei ihr. Er schaffte es immer wieder, sie aufzumuntern, doch ihre Eltern hatten darauf bestanden, ihn bei den Hauselfen im Manor zurückzulassen. Dabei wäre sie lieber nicht allein gewesen.
Ihre Eltern sprachen das Wort selbst nicht aus, aus Angst, man könne es hören, oder es würde dadurch wahr werden. Aber Callista wusste genau, was sie befürchteten. Dass sie, Erbin einer stolzen reinblütigen Familie, keine Magie besaß. Dass sie ein Squib war.

Sie hatte sich so angestrengt, Magie zu zeigen. Sie hatte sich konzentriert, damit etwas gescheh. Ihr Bruder hatte sie auf ihren Wunsch hin wütend gemacht. Verdammt, sogar ihre Eltern hatten alles versucht. Von wütend machen bis ängstigen. Teils sogar über körperliche Bestrafung. Egal, wie Callista sich gefühlt hatte, es war nie etwas passiert. Niemals war ihre Magie erschienen, um sie zu verteidigen. Es war nicht einmal etwas passiert, als ihr Vater ihrem Bruder und ihr die ersten Zauber mit seinem Zauberstab hatte beibringen wollen. Bei ihrem Bruder hatte alles so leicht ausgesehen. Er hatte im Alter von sieben das erste Mal gezaubert, worauf ein großes Fest der Familie gefolgt war. Jeder Zauber, der ihr Vater ihnen beibringen wollte, gelang beinahe auf Anhieb. Und bei Callista passierte nichts. Nichts! Egal, wie sehr sie schrie und tobte. Wie sie den Zauberstab bewegte. Es gab keinen Funken, keine Bewegung. Nichts.

Sie versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken, wusste sie doch genau, was passierte, wenn sie in der Öffentlichkeit weinte. Ihre Eltern mochten das gar nicht.

Narcissa griff ihre Hand ein wenig fester und verschnellerte ihre Schritte noch einmal. Callista stolperte ihr hinterher. Die Gänge sahen bedrückend aus, aber vielleicht kam ihr das auch nur so vor, weil sie aus einem blöden Anlass hier waren. Eigentlich waren sie lichtdurchflutet und an den Wänden zwischen unzähligen Holztüren hingen von Kindern gemalte Zeichnungen. Es war ziemlich früh am Morgen, weshalb ihnen kaum Menschen entgegen kamen, und erst recht keine Patienten und Besucher. Nur hin und wieder sahen sie Arbeiter, bei denen Lucius sein Gesicht wegdrehte und die sie kaum beachteten.

Ganz am Ende des Ganges erreichten sie eine Tür mit der Aufschrift Magietestung.

Lucius sah sich noch einmal vorsichtig um, bevor er dreimal hart an die Tür klopfte, das gemurmelte „Herein" kaum abwartete und dann seine Frau und Tochter zügig in den Raum schob.

Drinnen sah es tatsächlich trostlos aus. Es war ein sehr kleiner Raum mit drei Stühlen und einem kleinen Tisch in der Mitte. Auf einem der Stühle saß ein kleiner, mittelalter Mann, der sie abwartend ansah.

„Absolutes Stillschweigen über das hier", befahl Lucius statt einer Begrüßung und ließ eine Hand voll Galleonen auf den Tisch fallen. „Wir testen und niemand erfährt jemals davon".

„Verstanden", der Mann lächelte und zeigte dabei eine Lücke, wo eigentlich sein linker Schneidezahn hätte sein sollen. Sicherlich ein schwarzmagischer Fluch, sonst hätte man ihn nachwachsen lassen können. „Setzen Sie sich bitte".

Callistas Vater ließ sich auf einem Stuhl nieder, während ihre Mutter sich auf den anderen setzte und sie auf den Schoß nahm.

Nachdem der Mann die Galleonen von Tisch genommen und in eine Tasche gesteckt hatte, legte er ein Pergament und ein kleines Messer auf den Tisch.

„Wir brauchen einmal das Blut der Testperson. Es muss auf diesen Kreis geträufelt werden", er zeigte auf den unteren Teil des Pergamentes, „und dann steht hier oben die Stärke der Magie. Es gibt eine Skala von eins bis zehn. Eins bedeutet sehr schwach und zehn heißt sehr mächtig, aber bisher gab es noch keine zehn. Nicht einmal der Schulleiter von Hogwarts würde sie schaffen, falls er den Test machen sollte.

Lucius verzog das Gesicht, während Narcissa das Messer nahm, Callistas Handgelenk fest ergriff und in ihre Handinnenfläche schnitt, woraufhin Blut herausquoll.

Callista presste die Lippen aufeinander, um keinen Schmerzenslaut von sich zu geben und blinzelte die Tränen zurück. Es brannte.

Ohne jegliches Mitleid wurde ihre Hand dann auf das Pergament gedrückt.

Sie warteten.

„Eigentlich sollte das Ergebnis nach dreißig Sekunden erscheinen", erklärte der Mann.

Nach einer Minute stand immer noch nichts da.

„Das kann nicht sein", keifte Lucius, griff jetzt ebenfalls nach der Hand seiner Tochter, entriss seiner Frau das Messer, machte den Schnitt noch etwas tiefer und presste ihre Hand erneut auf das Pergament.

Wieder passierte nichts.

„Ich denke, es ist klar, was das heißt", bemerkte der Mann. „Magiestärke kann nicht gemessen werden, wenn keine vorhanden ist".

Callistas Blick begegnete dem ihres Vaters und sie wünschte, er hätte es nicht getan. Lucius starrte sie mit einer solchen Verachtung und Anwiderung an, dass ihr schlecht wurde.

Dann drehte ihr Vater sich zu dem Mann um, knallte wortlos ein paar mehr Galleonen auf den Tisch und sprang auf.

Narcissa folgte ihm und riss Callista hinter sich her. Mittlerweile konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie liefen unkontrolliert ihre Wangen hinunter und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihr Gesicht bestmöglich vor Blicken abzuschirmen und immer wieder mit dem Ärmel darüberzuwischen.

Den Rückweg in die Eingangshalle bekam sie kaum mit. Plötzlich gab es das bekannte Gefühl des Apparierens und dann stand ihre Mutter mit ihr vor einem Callista völlig unbekannten, aus Steinen gebauten Haus, das zwischen andere Häuser eingequetscht war. Hinter ihnen befand sich eine Straße, auf der Autos fuhren.

Über dem Eingang des Hauses las Callista die Worte Waisenhaus London.

„Du wirst ab jetzt hier leben", erklärte Narcissa ihr, ohne sie anzuschauen. „Du gehörst nicht mehr in unsere Welt hinein".

„Aber Mama, was ist mit Draco?", Callista hasste es, wie zittrig und schwach ihre Stimme klang. Ihr Vater hatte sie dann immer getadelt, denn ein Malfoy zeigte immer Stärke, besonders in der Öffentlichkeit.

„Das braucht dich nicht zu interessieren. Und ich bin nicht mehr deine Mama", mit diesen Worten schubste Narcissa Callista ein Stück weg von sich, drehte sich auf der Stelle und apparierte.

Callista blieb allein zurück. Sie versuchte nicht mehr, ihre Tränen zu verstecken. Was sollte sie tun? Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die noch immer blutende Hand in ihren hellgrauen Umhang zu pressen - niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie zu heilen - und auf die Tür zuzugehen. Schließlich konnte sie nicht allein überleben. Sie brauchte ein Zuhause.

Niemals genugWo Geschichten leben. Entdecke jetzt