Der blaue Nachtfalter

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Mit einer dampfenden Tasse setzte sich Jake auf seinen Drehstuhl. Während sein PC hochfuhr, nippte er vorsichtig an der Tasse. Der erste Schluck Kaffee brannte heiß auf seiner Zunge. Er schloss die Augen und zog die Stirn zusammen, als die bittere Flüssigkeit durch seine Kehle rann. Seine Finger tanzten rastlos über die Schreibtischkante, während sein Bein unaufhörlich auf und ab wippte, als ob es den Rhythmus eines unerhörten Liedes spielte. Endlich erschien das Startbild auf dem Monitor. Eilig, stellte er die Tasse ab. Heißer Kaffee verbrühte ihm die Finger, als etwas aus der Tasse auf seiner Hand schwappte. Mit flinken Fingern tippte er sein Passwort ein. Kaum hatte er die Entertaste gedrückt, starrte Jake gebannt auf seinen Desktop.

Okay. Ich habe immer noch Zugriff auf ihr Handy. Damit sollte ich locker in ihr W-LAN gelangen, um auf andere Geräte zugreifen zu können. Ich muss nur hoffen, dass sie jetzt gerade Online ist. Shiwon, ich verspreche das ich nicht zu weit gehen werde. Ich will nur wissen wie es dir geht. Vielleicht auch ein wenig mehr...

Das Glück war auf seiner Seite. Shiwon war online. Ohne zu zögern, nutzte er den bestehenden Zugang zu Shiwons Handy, um ihre IP-Adresse zu ermitteln. Mit ein paar schnellen Befehlen holte er die Informationen von ihrem Handy und begann, eine Verbindung zu ihrem Netzwerk aufzubauen. Jake aktivierte das Remote-Administration-Tool und setzte es so ein, dass es sich über eine scheinbar harmlose App auf ihren PC schmuggelte. Dank der bereits bestehenden Verbindung zu ihrem Handy konnte er den Download stillschweigend ausführen lassen. Ein einfaches, unscheinbares Update reichte aus, um die notwendige Software im Hintergrund zu installieren.

„Fast geschafft. Nur noch ein bisschen und ich bin drin", murmelte er gähnend. Die Müdigkeit zog sich wie Blei durch seinen Körper, doch der Adrenalinschub ließ seine Augen weit und wachsam starren. Ein leises Piepen seines eigenen Systems bestätigten ihm, dass der Zugriff geglückt war. Jake öffnete eine Konsole und sah nun Shiwons Desktop vor sich – er fühlte sich einige Wochen in der Zeit zurückversetzt.

Ein düsterer, leicht melancholischer Wald, erstreckte sich über Shiwons Desktop-Hintergrund. Die Bäume waren kahl, ihre Äste wie schlanke, dünne Finger, die nach den wolkenverhangenen Himmel griffen. Nebelschwaden schlängelten sich um die Stämme, als wollten sie die dunklen Geheimnisse des Waldes verbergen. Wenige Icons ordneten sich akkurat in einer Ecke des Bildschirms, wie einsame Wanderer, die sich nicht trauten, in die unheimliche Tiefe des Waldes vorzudringen. Jakes Blick wanderte ein Moment lang über die Szenerie und eine leise Gänsehaut breitete sich über seine Arme aus.

Plötzlich erklang die wehmütige Melodie von 'Willow Tree'in Jakes Zimmer, die direkt aus Shiwons Playlist zu stammen schien. Die melancholischen Töne füllten den Raum und tauchten ihn in eine bedrückende Atmosphäre. Jakes Finger zitterten leicht, während er die Lautsprecher leiser drehte, doch die Klänge hatten sich bereits in seine Gedanken gebohrt. Sein Blick schweifte kurz über ihre aktuelle Playlist.

Ihre Playlist war eine Sammlung ausnahmslos trauriger Lieder, als wäre jede Melodie ein hoffnungsloser, stummer Schrei aus ihrem Inneren. Die Lieder sprachen von verlorener Liebe und Einsamkeit, die Texte drückten eine tiefe Sehnsucht und ein Gefühl von Verlorenheit aus. Die gleiche Verlorenheit, die auch Jake in diesem Moment fühlte. Während ein weiterer Song nahtlos abgespielt wurde, spürte Jake, wie sich sein Herz schwerer anfühlte, als würde es unter der Last der traurigen Melodien zerbrechen.

Die Musik war wie ein Spiegel, der ihm Shiwons innere Zerrissenheit aufzeigte. Er fühlte sich Shiwon in diesem Moment so nah, als könnte er ihre Traurigkeit greifen, aber auch so fern, als würde ein unüberwindbarer Abgrund zwischen ihnen liegen. Die Vorstellung, dass sie diese Musik hörte, um mit ihrem Kummer zurechtzukommen, traf ihn tief.

Ein leises Summen erklang und ihre Stimme drang nun durch den Lautsprecher. Der Schmerz in Jakes Herz wurde für einen Moment gelindert. Über einen Monat war vergangen, seit er zuletzt ihre Stimme gehört hatte. Er drehte den Lautsprecher, doch wieder etwas lauter, um ihre Stimme besser zu hören. Der Klang ihrer Stimme war zerbrechlich, voller Schmerz und doch wunderschön.

Gemeinsam fing er an mit Shiwon zu summen. Die Melodie floss durch ihn hindurch und kehrte wie ein Echo in seinen Erinnerungen zurück. Jeder Ton, den sie traf, rief ein Bild in seinem Kopf hervor – das Lächeln auf ihren Lippen, das Strahlen in ihren Augen. Er summte lauter und für einen kurzen Moment fühlte er sich, als wären sie wieder zusammen, als wäre der Abgrund zwischen ihnen nur eine Illusion.

Duskwood: Das dunkle HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt