Duskwood: Das dunkle Herz

Rabenmond

Shiwon saß in sinnlicher Unterwäsche im Bett, die sie sich eigentlich für Jake gekauft hatte. Ihre Gedanken zogen sie zurück zu dem Moment des Vorabends. Leicht angetrunken hatte sie sich in den Dessous vor dem Spiegel betrachtet. Stundenlang starrte sie ihren Körper an, fragte sich immer wieder, ob sie überhaupt Jakes Typ war. Allein der Gedanke an ihn ließ ihre Augen brennen, und schließlich war sie weinend eingeschlafen. Heute Morgen, eine Stunde nach dem Aufwachen, lachte sie darüber. Warum machte sie sich überhaupt Gedanken darum? Eine Antwort würde sie ohnehin nie bekommen.

Das sanfte Sonnenlicht drang durch die Fensterscheibe und ließ winzige Staubpartikel in der Luft tanzen. Es war bereits gegen Mittag, doch Lust aufzustehen hatte sie keine. Viel lieber, blieb sie im warmen Bett. Wo sie sich sicher und geborgen fühlte. Ihr Laptop ruhte vor ihr auf einem kleinen Tisch, dessen Holz direkt aus dem Wald stammte. Ein Geschenk was man ihr vor langer Zeit gemachte hatte. Sanft strich ihr Finger über die Maserung. Solches Handwerk fand man nirgendwo mehr.

Mit einem leisen Seufzer schaute sie auf die letzten Worte, die sie geschrieben hatte. Tagebuch zu führen, war ihre Art, Dinge zu verarbeiten. Emotionen, die sie nicht klar benennen konnte oder Gedanken die sie nicht traute auszusprechen, konnte sie hier loswerden, ohne dass sie eine Person braucht, die bei ihr war. Schließlich gab es niemanden mehr auf dieser Welt, dem sie solche Gedanken anvertraut hätte. Nicht einmal Jake. „Blöder Dummkopf von Hacker...", murmelte sie zu sich selbst.

Ihr Finger tippten unbewusst gegen den Ring an ihrer Hand, ein schlichtes Schmuckstück, das dennoch ihr größter Schatz war. Ihre erste Liebe hatte sie ihn vermacht. Sie erinnerte sich daran, wie er ihr diesen Ring geschenkt hatte. Es war tiefster Winter und trotzdem waren sie draußen gewesen. Sie alle waren da, hatten sich den frisch gefallenen Schnee um die Ohren gehauen. Bis... Der Augenblick, als er vor ihr auf die Knie gegangen war – das Lächeln auf seinem Gesicht, der Glanz in seinen blauen Augen. Shiwons Hände zitterten leicht bei der Erinnerung und ihre Augen wurden feucht. Ein leises Geräusch riss sie aus den Gedanken – eine Nachricht. Ihr Blick wanderte zur Ecke des Bildschirms.

„Phil", flüsterte sie und ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dieser Mann war seit vier Wochen ununterbrochen für sie da gewesen. Natürlich hätte sie sich jederzeit an Jessy wenden können, doch das war nicht dasselbe. Sie alle hätten ihre Gefühle nicht verstanden. Phil schon. Vielleicht lag es daran, dass er Barkeeper war, aber er war ein verdammt guter Zuhörer. Er stellte keine Fragen, suchte keine Ausflüchte oder versuchte sie mit leeren Worten zu trösten. Stattdessen hielt er sie einfach nur fest.

Phil erinnerte Shiwon an ihren damaligen besten Freund. Beide wirken auf den ersten Blick wie diese typischen Frauenhelden –Bad Boys, wie es in einigen Filmen wohl heißen würden. Bei näherer Betrachtung, waren es aber beides richtige Softies, die immer für ihre Freunde da waren. Noch immer lächelnd, öffnete sie den Chat mit Phil.

Phil: Guten Morgen, Sonnenschein.

Ich hoffe du hast keinen Kater, nach gestern Abend. Falls doch kann ich gern vorbeikommen ;)

Das brachte Shiwon zum Lachen. Sie wusste, dass Phil ihr nach zwei Shots nur noch Wasser eingeschenkt hatte. Das tat er anscheinend öfters, denn so richtig betrunken wurde sie in der Bar nie. Meistens endete es damit, das sie den Schnaps aus ihren eigenen Schränken leerte. Das verriet sie Phil lieber nicht.

Shiwon: Guten Morgen. :) Keine Sorgen meinem Kopf gehts gut. Dank der Menge an Wasser die du mir immer zu trinken gibst.

Phil: Ups, bin ich etwa aufgeflogen? ;) Hoffe doch du kannst mir verzeihen. Wie wäre es, wenn wir morgen Abend mal was machen? Also außer trinken.

Shiwon: Was soll das denn heißen? Hast du etwa frei?? :O

Phil: Nicht ganz. Allerdings ist morgen Karaoke Abend. Ich würde nur zu gern dein Stimmchen hören. Weißt du, wenn du im Laden bist hab ich gleich viel mehr Besucher. Vor allem, wenn du singst.