Im Regen vereint

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Shiwon verfolgte die Bewegungen der Regentropfen, die vom Scheibenwischer über die Autoscheibe hinweggefegt wurden. Ihr Bauchgefühl hatte sie nicht enttäuscht. Kaum hatte sich das Auto in Bewegung gesetzt, schon fing es an zu regnen. Passte doch super zu ihrer Stimmung.

Ihr Blick wanderte weiter zu ihrem Seitenfenster. Die Bäume rauschten an ihnen vorbei, und kein einziges Auto kam ihnen entgegen. Es fühlte sich fast so an, als wären sie ganz allein auf dieser Welt. Je näher sie Duskwood kamen, umso stärker wurde der Regen. War das etwa ein Zeichen?

Nach weiteren Minuten tauchte am Straßenrand das Willkommensschild von Duskwood auf. Shiwon wurde immer mulmiger. Seit mehreren Jahren hatte sie diese Stadt nicht mehr am helllichten Tag betreten. Aus guten Gründen. Jetzt, da sie wieder hier war, kamen all die unschönen Erinnerungen wieder hoch. Ihre Hände bettete sie auf ihren Schoß.

Beruhige dich. Du wirst es ja wohl hinbekommen, ein paar Stunden in dieser verfluchten Stadt auszuhalten. Du sprichst mit Alan, holst die Blumen und verziehst dich dann wieder in den Wald. Obwohl ... nach Hause sollte ich wohl vorerst nicht mehr. Vielleicht verbringe ich ein paar Tage in der anderen Hütte. Sie liegt zwar näher an der Stadt, aber so könnte ich die anderen auch besser beschützen.

Ihr Blick schweifte zu Jessy, die gerade versuchte, das Auto auf der Spur zuhalten. Der aufkommende Wind drückte gegen das Auto und die nasse Straße machte das Fahren nicht leichter. Jessy verlangsamte das Tempo ein wenig, als sie Duskwood erreichten. Die Stadt war durch den Regenschauer in einen grauen Schleier gehüllt. Nur wenige Leute waren mit Regenmänteln und Schirmen unterwegs.

Unzählige Häuser zogen an ihnen vorbei, während sich die Straßen immer mehr leerten. Die Stille machte Shiwon langsam ein wenig fertig. Allerdings wusste sie auch nicht, was sie sagen sollte. Sie musste irgendwie das Eis brechen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte endlich das robuste, altehrwürdige Polizeigebäude vor ihnen auf. Es wirkte massiv und unbeugsam. Jessy lenkte das Auto vorsichtig in eine freie Parklücke direkt vor dem Gebäude. Das Scheinwerferlicht spiegelte sich im nassen Pflaster und in den großen Pfützen, die sich vor ihnen erstreckten.

Shiwon erhaschte einen Blick auf die Uhr, als der Motor verstummte: „Kann ich noch ein bisschen im Auto bleiben? Ich möchte ungern so früh reingehen. Vielleicht hat bis dahin auch der Regen etwas nachgelassen?", fragte Shiwon und sah Jessy erwartungsvoll an. „Klar", sagte Jessy. Sie zog eine Zigarettenschachtel aus ihrer Handtasche. „Stört es dich, wenn ich eine rauche?"

Shiwon schüttelte den Kopf. „Nein, aber seit wann rauchst du?"
Jessy lachte leicht. „Seit Hannah wieder da ist. Durch die Sache mit Richy haben wir uns alle ein wenig verändert. In Stresssituationen brauche ich meistens eine Kippe, um einen ruhigen Kopf zu bewahren, verstehst du?"

Shiwon nickte, obwohl sie es eigentlich nicht verstand. Sie hatte noch nie in ihrem Leben geraucht und konnte daher nicht einschätzen, ob das wirklich stimmte. Sie beobachtete, wie die Rothaarige ihre Zigarette anzündete und einen tiefen Atemzug nahm. Den Rauch pustete sie zum Fenster hinaus, welches sie eben geöffnet hatte. Erst jetzt fiel Shiwon auf, wie müde Jessy aussah.

Ihre sonst strahlenden Augen wirkten jetzt matt und schienen ihren Glanz verloren zu haben. Dunkle Augenringe zeichneten sich unter ihren Augen ab, die sie notdürftig mit Make-up zu verstecken versuchte. Auch ihr sonst so lebhaftes Lächeln wirkte eher aufgesetzt. Jessy hatte wohl seit einiger Zeit nicht schlafen können. Sobald Jessy einige Züge von der Zigarette nahm, konnte Shiwon beobachten, wie ihre Hände aufhörten zu zittern und ihr zuvor blasses Gesicht wieder etwas Farbe bekam.

Ohne groß darüber nachzudenken, streckte Shiwon ihre Hand nach der Zigarette aus und stahl sie mit flinken Fingern. Ihre Neugier zwang sie dazu, es selbst zu probieren. Vielleicht würde sie dadurch ja auch ruhiger werden. Jessy sah sie völlig perplex an. Das nutzte Shiwon aus und stahl sich einen Zug. Während der Qualm ihre Lungen durchströmte, sah sie Jessy direkt in die Augen. Gedanken schossen durch ihren Kopf.

Duskwood: Das dunkle HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt