Albtraumhafte Lichtung

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Behutsam öffnete ich meine Lider. Blinzelte ein paar mal, da die Sonne mich blendete. Schnell hielt ich meine Hand über meine Augen und setzte mich auf. Ich war umgeben von hohem Gras, welches sanft im Wind tanzte. Es war so hoch, dass ich nichts erkennen konnte. Wo war ich?

Um einen besseren Überblick zu bekommen, stand ich auf und konnte endlich über das Gras hinwegsehen. Ich war mitten auf einer Lichtung, umringt von einem dichten Wald. In der Mitte, ein paar Meter vor mir, stand ein riesiger Baum. Der war bestimmt schon uralt, so hoch wie er sich in den Himmel erstreckte. Die heiße Sonne brannte immer noch auf meiner Haut, während sich allmählich Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten. Um der Hitze zu entkommen, beschloss ich erst einmal Schutz unter diesem Baum zu suchen. Doch kaum war ich ein paar Schritte gegangen, fühlte ich, wie tausende Augen auf mir ruhten. Mein innerer Instinkt schrie mich an, ich solle weglaufen.

Vorsichtig drehte ich mich zum Rand des Waldes und erschrak. Tatsächlich waren dort viele kleine rote Augen, die mich anstarrten. Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus, genau wie die Angst, die meine Beine erstarren ließ. Kaum hatte ich mich diesen Augen zugewandt, verschwand die Sonne. Versteckt hinter einem schweren Wolkenvorhang. Der Wind wurde stärker und das Rufen mehrerer Raben zerriss die Stille. Es war so laut, dass ich meine Hände gegen meine Ohren presste.

Mit unsicheren Schritten taumelte ich ein wenig rückwärts. Irgendwas blockierte meinen Weg, weshalb ich wieder auf meinen Hintern landete. Die überraschende Stille ließ mich aufschauen. Was war passiert, dass diese Raben den Schnabel hielten? Ich nahm mir einen Moment, bevor ich mich wieder aufrichtete. Die Augen waren verschwunden und mit ihnen die Rufe der Raben. Dafür gab es jetzt ein anderes Geräusch. Bitteres Schluchzen, welches aus der Ferne stammte, ließ mich zum uralten Baum blicken. Mein Herz raste vor Freude, als ich sie erkannte, stockte aber schon nach wenigen Sekunden.

Es war Shiwon!

Ihr schwarzes langes Haar war ganz wirr und das weiße Kleid, welches sie trug, schien schmutzig zu sein. Durch ihre Körpergröße verschluckte sie das Gras beinahe, weshalb ich sie nicht so gut sehen konnte. Hastig lief ich ein paar Schritte auf sie zu. Mit jedem Schritt konnte ich ihr Gesicht klarer sehen. Shiwon war diejenige, die weinte. Tränen liefen unaufhörlich über ihre Wangen, ihre Schultern zuckten bei jedem schluchzenden Atemzug. Irgendwas starrte sie mit leerem Blick an. Irgendwas, das vor ihr auf dem Boden lag.

„Shiwon!", rief ich. Meine Stimme bebte vor Sorge. „Bist du in Ordnung?"

Shiwon war nur noch wenige Schritte von mir entfernt, als mich plötzlich etwas festhielt. Unsichtbare Hände schienen meine Füße gepackt zu haben und sie an Ort und Stelle festzunageln. Ich drehte mich um, doch da war keiner. Panik machte sich in mir breit – was zur Hölle ging hier vor?

Verzweifelt versuchte ich, mich von diesem unsichtbaren Griff zu befreien. „Shiwon!", schrie ich erneut. Meine Stimme schien nicht zu ihr durchzudringen. Sie schien in ihrer eigenen Welt gefangen zu sein, überwältigt von dem, was vor ihr lag.

Plötzlich erregte etwas meine Aufmerksamkeit: Ihr schneeweißes Kleid war blutgetränkt. Voller Sorge ließ ich meinen Blick über ihren Körper wandern. Sie war übersät mit blauen Flecken und kleinen Kratzern, die wie geschwungene rote Linien ihre Haut verzierten. Wer hatte ihr das angetan? Der Gedanke, dass ihr jemand wehgetan hatte, ließ Wut in mir aufsteigen. Mein Blut kochte.

Mit meiner ganzen Körperkraft lehnte ich mich nach vorn, entschlossen, meinen Körper endlich zum Bewegen zu bringen. Was auch immer mich zurückgehalten hatte, ließ nun los. Mehr stolpernd als laufend erreichte ich endlich Shiwon und fiel vor ihr auf die Knie. Meine Hände glitten über den Boden und ein klebriges Gefühl bereitete sich aus. Als ich nach unten sah, stellte ich mit Entsetzen fest, dass ich in einer Lache aus Blut kniete. Mein eigener Magen rebellierte bei diesem Anblick. Mir wurde Speiübel.

Panisch kam ich wieder auf die Beine. Mein Blick war auf Shiwon gerichtet. „Shiwon, was ist passiert?", fragte ich. Meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Sie antwortete nicht. Sie war vollkommen starr, als wären all ihre Lebensgeister aus ihr gewichen.

Dann sah ich es: Ein Männerkörper lag auf dem Boden, der Kopf zermalmt und unter einem blutgetränkten Jutebeutel verborgen. Der Anblick war so grotesk, dass ich kaum glauben konnte, was ich sah. Der metallische Geruch von Blut stieg mir in die Nase und sorgte dafür, dass meine Übelkeit stark zunahm. Verschiedene Gedanken rasten durch meinen Kopf, doch sie alle hatten ein was gemein: Verschwinde von hier!

Ohne weiter darüber nachzudenken, griff ich nach Shiwons Handgelenk. „Wir müssen hier weg!", drängte ich. Doch das Handgelenk, das ich nun festhielt, war nicht mehr das von Shiwon. Stattdessen war es das eines Mannes, dessen Gliedmaßen unnatürlich lang und dürr waren. Ein breites hämisches Grinsen verzerrte sein Gesicht und seine glühenden Augen ließen mich vor Angst erzittern. Seine langen schwarzen Finger umschlossen inzwischen mein Handgelenk und packten mich mit eisernem Griff. Blanke Panik machte sich in mir breit. Die Gestalt vor mir wuchs und verzerrte sich, ihre Zähne wurden länger und schärfer, bis sie schließlich ihr Maul aufriss und mich mit einem Mal verschlang. 

Duskwood: Das dunkle HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt