Lass mich mitspielen

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Jakes zittrigen Hände fuhren vorsichtig über die Spuren auf seiner Haut. Ein Schmerz ließ seinen Körper zusammenzucken und sein Blick richtete sich auf seine Hand. Die Fingerspitzen waren mit einer pulverartigen Substanz überzogen. War das Ruß? Falls ja, würde der Täter verfärbte Hände haben? Ohne groß darüber nachzudenken, erhaschte er einen Blick auf Alans Hände. Sie waren sauber. Der Polizist schien ihn ebenfalls beobachtet zu haben. Ihre Blicke kreuzten sich.

„Gehts dir gut?", fragte Alan. Sein Blick zeigte Besorgnis.

Den Kopf schüttelnd, starrte er wieder sein Spiegelbild an. So blieb er für ein paar Minuten, bevor er hastig den Hahn aufdrehte. Jake musste unbedingt diese schwarzen Schlieren loswerden. Es würde ihn sonst nur weiter in dieser Schockstarre festhalten. Gerade wollte er seine Hände unter den klaren Wasserstrahl halten, als er weitere Abdrücke entdeckte. Sein linker Handrücken war ebenfalls voller Ruß. Unverzüglich kam die Erinnerung an die eisige Kälte auf seiner Haut wieder hoch. Gefolgt von dem Gefühl, dass jemand seine Hand gepackt hatte. 

Panisch fing er an, seine Hände zu schrubben. Hoffte, dass damit auch das Gefühl der Furcht verschwinden würde, doch leider blieb das bedrohliche Gefühl auf seiner Haut. Sobald er sich um seinen Hals kümmerte, legte Jake dabei rote Flecken frei. Das war also der Grund, wieso sein Hals schmerzte. Der Unbekannte hatte ordentlich zugedrückt.

„Jake? Was ist passiert?", erklang Alans Stimme. „Von wem ist dieses Würgemal?" 

„Ich weiß nicht. Es klang so, als ob...als ob der Rabenmeister hinter mir stand." Er griff nach einem Handtuch, während er mit der anderen Hand das Wasser zu drehte. Der weiche Stoff milderte ein wenig das Druckgefühl. „Ich konnte mich nicht bewegen und hatte das Gefühl, als ob mir jemand die Luft abschnürte." Jake verstummte. Ihm fiel einfach keine Erklärung dazu ein. 

„Jake, da war niemand außer uns drei. Eric und ich haben uns nicht bewegt."

Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. Alan würde Jake nicht anlügen. Den unsichtbaren Angreifer gab es dennoch. Dieses Rätsel würde er lösen, doch jetzt war etwas anderes wichtiger. Shiwon.

„Lass uns gehen.", sagte der Hacker nur knapp und schob sich an Alan vorbei, um ins Wohnzimmer zu gelangen. Seinem Herzen wurde keine Pause gegönnt, denn seine Aufmerksamkeit richtete sich schnell auf den Fernseher. 

Der Mann ohne Gesicht stand bei Shiwon. Seine dreckigen Finger hatten sich in ihr seidig glänzendes Haar gekrallt und ihren Kopf zur Seite gezerrt. Er stand hinter ihr und beugte sich gerade zu ihr herunter. Jake konnte hören, wie er den süßlichen Duft in sich einsog, während er ihr so unerträglich nahe war. Der blanke Hass packte Jake. 

„Nimm deine Griffel von ihr!", brüllte er durch den Raum. So wie sein Herz raste, brachten ihn seine Füße näher zum Fernseher. Mit den Augen fixierte er den Mann.

Provozierend rieb er die Wange an ihrem Haar. Das schmerzliche Keuchen von Shiwon verriet Jake, dass seine Finger stärker an ihrem Haar zogen. „Da bist du ja endlich, Jake. Wo warst du denn?", sprach die gedämpfte Männerstimme. 

„Lass. Sie. Los!", presste es Jake hervor. Sein Kiefer biss er so fest zusammen, dass seine Muskeln bis zum Zerreißen angespannt waren. 

Glücklicherweise hörte er auf Jake. Mit erhobenen Händen richtete er sich wieder auf. „Nicht nötig, mich anzuschreien. Ich wollte nur ein wenig plaudern. Da du nicht zugegen warst, hab' ich mich eben anders vergnügt."

Seine innere Stimme verfluchte sich selbst, sie aus den Augen gelassen zu haben. Um sich ein wenig zu beruhigen, krallte er seine Hände in seinem Pullover. „Worüber?"

Die blauen Augen verfolgten den Mann, als dieser sich in Bewegung setzte. Sein Körper verdeckte Shiwon nun komplett, indem er sich vor die Kamera stellte. „Über uns." Seine Hände verschwanden in seiner Hosentasche und seine Schultern zuckten. „Darüber, was du mir angetan hast oder welche Folgen dein handeln hatten."

Jake drehte sich um und setzte sich auf die Couch. Seine Arme stützte er auf seine Beine ab und beugte sich ein wenig vor. Für einige Minuten herrschte Stille. Innerlich bereitete er sich darauf vor, wie er am besten auf diese Einladung des Gesprächs reagieren sollte. Am liebsten hätte er gesagt, er könnte sich seine Worte sonst wohin stecken, aber vielleicht könnte er so herausfinden, wer er war und wie er ihn aufhalten konnte. 

„Einverstanden. Lass uns reden. Nur du und ich." Jakes Worte schienen den Fremden zu erfreuen. Kurz darauf verschwand er. Kam jedoch mit einem Stuhl wieder, welchen er neben Shiwon stellte. Er setzte sich. 

Eric und Alan setzten sich ebenfalls. Der Block in Alans Hand fiel dem Hacker sofort auf. Hervorragend, dann musste er sich nicht um Mitschriften kümmern. Sondern konnte sich darauf konzentrieren, seine Gefühle zu zügeln und die richtigen Worte zu wählen. 

„Hast du denn schon eine Ahnung, wer ich sein könnte, Jake?" Diese Arroganz in seiner Stimme war kaum zu überhören. Fast so als ob er jemand ganz Besonderes wäre, an den man sich definitiv erinnern müsste. 

„Wieso sollte ich mich an solch ein mieses Schwein wie dich erinnern?" Die Worte kamen einfach so aus Jakes Mund. Der tadelnde Blick, den er am Rande seines Sichtfeldes von Eric wahrnahm, ignorierte er. Aus Shiwons Mund brach ein leises Lachen heraus. Sehr zum Ärger des Mannes neben ihr. 

„Du hältst dich für was ganz Besonderes, was?" Der Mann ohne Gesicht schnaufte verächtlich. „Du warst damals schon so arrogant und vollkommen überheblich. Du hast dich in Dinge eingemischt, die dich nichts angehen!" Warf der Mann ihm vor. „Du hast MEIN Leben ruiniert! Deshalb werde ich jetzt deines ruinieren."

Bevor Jake auch nur darüber nachdenken konnte, ob er wirklich mal jemandes Leben ruiniert hatte, ergriff Shiwon das Wort. 

„Jake soll es ruiniert haben?" Ihr Blick richtete sich zu ihrem Entführer. Ihre Mundwinkel waren zu einem herablassenden Lächeln geformt. „Du selbst hast es ruiniert. Mit deinen eigenen widerlichen Pfoten. Wag es nicht Jake die Schuld zu geben."

Das klatschende Geräusch von der Ohrfeige schepperte noch lange nach. Shiwons Kopf wurde unsanft zur Seite geschlagen und auf ihrer Wange bildete sich ein roter Handabdruck. Erneut explodierte die Wut in Jakes Herzen, welche ihn aufspringen ließ. Ein fester Handgriff zog ihn wieder auf seinen Hintern. Protestierend sah er zu Eric herüber, der nur den Kopf schüttelte. 

„Du und dein vorlautes Mundwerk! Du bist doch selbst schuld, wenn ich dich zu Tode schlage!" brüllte er Shiwon an. Die ausgesprochenen Worte ließen ihn seine Rage für einen Moment vergessen. Woher hatte er diese Worte schon einmal gehört? Irgendwo tief in seinem Hirn war die Antwort vergraben. Doch noch lag sie im Nebel verborgen. 

„Ach ja?" Shiwons Kopf richtete sich wieder zu ihrem Peiniger. Jetzt glühte in ihren Augen ein gefährlicher Funke, dem selbst Jake ein wenig Gänsehaut bereitete. „Dabei hast du doch noch nie jemanden zu Tode geprügelt. Du hast sie erschossen, vergiftet oder sie erdrosselt. Nicht wahr?" Selbst der Mann ohne Gesicht schien für einen Moment perplex. Shiwons Worte klangen beinahe so, also wüsste sie, wer ihr gerade gegenüberstand. 

Es waren nur Sekunden der Stille, ehe ihr Gegenüber wieder das Wort ergriff. „Du kannst vielleicht große Reden schwingen! Genau wie dein Macker! Ich wette mit dir, du weißt gar nichts über mich."

Ein breites Grinsen erschien auf ihrem Gesicht, welches Jake in einen Schrecken versetzte. Wieso grinste sie oder war es passender zu fragen, warum sie keine Angst hatte? Kaum ploppte die Frage auf, schien sein Herz schwer zu werden. Wie konnte er es wagen, sich darüber jetzt aufzuregen? Er konnte sich doch denken, dass es nur dazu diente, um Jake zu helfen. Oder?

„Rabenmeister?" Shiwons Blick wandte sich zur Kamera. „Lass mich mitspielen." Der Satz ließ Jakes Blut in den Adern gefrieren. Das hatte er nicht erwartet.

Duskwood: Das dunkle HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt