Kapitel 1

88 7 2
                                    

Höflich überreichte mir Courtney die Notizen aus der Lesung des vorherigen Tages. Sie war das Mädchen für "alles". Ob ich dies ausnutzte? Ja. Ich blätterte kurz durch die Notizen, die sich um organische und anorganische Chemie handelten. Das Geld war ebenfalls, wie verlangt, drin. Ein leichtes Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Sie war nicht umsonst mein Mädchen für alles. Ich musterte das träumerische Mädchen vor mir noch einmal kurz, ehe ich ihr dann auch den Rücken zukehrte, um mich auf den Weg nach Hause zu machen. Entweder waren Mädchen mit dem Namen Courtney die naivsten Menschen, die es gab, oder sie waren die größten Hurentöchter, die es gab. Eins von beidem.

Mein Blick galt dem Himmel, der grau und bewölkt war. Ich hatte das bedrückende Gefühl, dass es gleich beginnen würde zu regnen. Dabei hatte der Wetterbericht gestern Abend vorhergesagt, heute würde ein trockener Tag werden.

Solch eine Lüge. Dem Wetterbericht konnte man eben keinen Glauben schenken. Mein Blick senkte sich und galt dem Weg vor mir, der mich nach Hause führen würde.

Wenige Sekunden später spürte ich auch schon die ersten Regentropfen vom Himmel fallen. Verdammt. Wie ich erwartet hatte. Ich begann schneller zu laufen, in der Hoffnung, mich unterwegs irgendwo unterstellen zu können, denn rechtzeitig nach Hause würde ich es nicht mehr schaffen.

Gerade als der Regen stärker wurde, erblickte ich in der Ferne eine Bushaltestelle. Meine Schritte nahmen an Geschwindigkeit zu. Die Umgebung ließ ich außer Acht und ehe ich mich versah, rempelte ich versehentlich eine Person an, wodurch ich gezwungen war stehenzubleiben. Mist. »'Tschuldige. Mein Versehen.« Ich hob den Blick, um die Person, die ich angerempelt hatte, zu mustern. Lange braune Haare und blaue Augen. Ich wendete den Blick recht schnell ab und lief weiter, ohne auf eine Reaktion der anderen Person zu warten. Den Regen blendete ich im Moment kurz aus. Das war mehr als unangenehm und peinlich gewesen. Ich schüttelte kurz den Kopf, um die Situation von eben zu vergessen, und lief weiter, um mein eigentliches Ziel zu erreichen, allerdings ohne diesmal meine Umgebung zu vernachlässigen.

Der Regen hielt ungefähr eine halbe Stunde an. Als der "kurze" Schauer vorbei war, machte ich mich weiter auf den Weg nach Hause. Leicester war bekannt für seine Sehenswürdigkeiten und das Stadtzentrum, das größtenteils im viktorianischen Stil gebaut worden ist. Es war also nicht selten, dass sich hier viele Touristen in der Nähe des Stadtzentrums aufhielten. Meines Geschmackes nach zu viele Touristen. Allerdings konnte man da nichts machen. Ich lief täglich eine knappe halbe Stunde vom Stadtzentrum bis zur Universität. Oft hatte ich darüber nachgedacht auszuziehen, allerdings würde dies aktuell nur Nachteile mit sich bringen. Ich müsste neben der Universität noch nebenbei jobben, dafür hatte ich allerdings die Zeit nicht.

Zuhause angekommen, machte ich mir nicht mal die Mühe, nach meinem Vater zu sehen, der vermutlich alkoholisiert auf der Couch lag. Es war immerhin nicht das erste Mal und interessieren tat es mich auch die meiste Zeit nicht. Die meiste Zeit...

Mit einem kurzen Kopfschütteln lief ich die Treppen hoch, hinauf in mein Zimmer. Ein kurzer Blick im Spiegel genügte mir, um festzustellen, wie zerzaust meine schwarzen Haare waren. Dies war ein Nachteil, bei solch einem Wetter, mittellange Haare zu haben. Ich nahm mir ein Haargummi vom Tisch und band mir einen Teil meiner Haare in einen Zopf. Als Nächstes lief ich zu meinem Schreibtisch, der neben der Zimmertür stand, und nahm mir das Buch "Moderne Anorganische Chemie" von Riedel/Janiak zur Hand und schlug es auf Seite 378 auf. Mit insgesamt 1236 Seiten war dieses Buch nicht gerade dünn. Ich überflog einige wichtige Textzeilen, die ich mir markiert hatte, ehe ich dann auch schon wieder das Buch zur Seite legte.

Ich hatte weder Motivation zum Lernen noch zu etwas anderem. Der Regen hatte mich demotiviert. Mit einem nun demotivierten Blick lief ich in Richtung Fenster, um dieses zu öffnen. Mich überkam ein unerwünschtes Gefühl von Nachdenklichkeit. Ich fühlte mich in den letzten Tagen schon öfter beobachtet, genau wie in diesem Moment.

Lästig.

Shadows in the Dark | 𝗥𝗼𝗺𝗮𝗻 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt