9- Anvertrauen

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~ Bastians Sicht ~



In den nächsten drei Wochen luden wir das Video von unserem ersten Steam hoch.
Zu meiner Verwunderung erhielt es sogar mehrere Hundert Aufrufe, und auch das Feedback war erstaunlich positiv.
Klar, hier und da gab es den ein oder anderen Hasskommentar, aber das ließ sich nun mal nicht vermeiden, und ich konnte das ganz gut ignorieren.
Ich freute mich einfach, dass unsere ersten Aktionen so gut ankamen. Daher entschied ich mich auch, meine Handcam anzuschließen, und das kam ebenfalls super an.


Das Einzige, was mir ein wenig Sorgen machte, war Rafi.


Er war eigentlich aufgeblüht, was Streaming und auch unsere Freundschaft anging. Er liebte das Ganze genauso wie ich, und wir streamten oft oder produzierten verschiedene Videos zusammen oder auch getrennt. Doch da kommen wir auch schon zum Problem. Wir hatten zwar wieder normalen Kontakt und saßen fast jeden Tag wieder zusammen, aber er verhielt sich komisch, wenn es um sein Zuhause ging.


Er schlief immer öfter bei mir, was mir natürlich gefiel, aber merkwürdig war. Wenn man auch nur ein wenig das Thema Familie und sein Zuhause anschneiderte, verkrampfte er und antwortete nur kurz oder wich dem Thema sofort ganz aus. Wenn er nicht für eine längere Zeit bei mir war, kam er müde und ausgepowert zu mir, doch er stritt alles ab und beharrte darauf, dass es ihm blendend ging.
Er war glücklicher als vor ein paar Wochen, und vor allem, wenn er hier war, ging es uns beiden einfach gut. Aber ich kannte ihn zu gut, um nicht zu bemerken, dass etwas nicht stimmte.
Und dann waren da noch die Schnitte an seinem Arm...


Und eine Sache war da noch...


Rafael lag nun oft neben mir im Bett, sah mich mit seinen rehbraunen Augen an und schenkte mir immer wieder sein typisches Lächeln.
Ich verliebte mich einfach immer mehr in ihn. Ich wurde bald verrückt.
Ich konnte ihn nicht so spüren, wie ich es wollte, und obwohl wir uns gelegentlich umarmten, hätte ich ihn am liebsten geküsst und wäre jeden Morgen in seinen Armen aufgewacht.


Meine Gefühle und Gedanken waren inzwischen ein reines Chaos, und das spiegelte sich in der Struktur meines Alltags und meiner Aufnahmen wider. Neben der Ungeschicklichkeit und den immer wieder auftretenden peinlichen Situationen wurde ich auch in den Streams und Aufnahmen immer unkonzentrierter, wenn er neben mir saß und mich mal wieder mit seinem Lächeln und seinem österreichischen Akzent in seinen Bann zog.


Und so musste ich es in unserer letzten Ferienwoche jemandem erzählen.
Meine Mutter hatte Rafael in den letzten Wochen, in denen er hier war, noch mehr ins Herz geschlossen, denn wir verbrachten auch viel Zeit mit ihr. Sie brachte Rafi sogar ein wenig Spanisch bei. Also entschied ich mich, dass ich mich an sie wenden möchte.



Am Mittwoch in der letzten Ferienwoche saßen wir am Abendbrottisch ohne Rafael, und ich wusste, es war jetzt oder nie.


„Mama ich mach mir Sorgen um Rafael." Leitete ich das Thema ein.


„Wieso denn?" Gut das war mein Startschuss alles zu erzählen.


„Naja, er verhält sich seit Wochen schon so komisch, wenn es um seine Familie geht. Am Anfang hat er sich nicht einmal mehr gemeldet und seitdem wir streamen und er so oft hier ist, merkt man deutlich, wenn er von zu Hause kommt. Er ist dann immer so ruhig und emotionslos und sieht aus, als hätte er nicht geschlafen oder wäre krank. Außerdem geht er dem Thema aus dem Weg, hat ein neues Handy, obwohl seins das neueste auf dem Markt war und perfekt funktionierte. Als ich mal bei ihm war, habe ich seinen Vater schreien hören, und es roch überall nach Alkohol. Seine Mutter habe ich auch seit Wochen nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht, was los ist. Bei uns ist er ganz er selbst, unser Rafi halt, aber wenn er nicht hier ist, ist er naja komisch... und ich hab etwas an seinem Arm gesehen.. Verletzungen. "


„Und?" Was meinte sie? Mehr war da nicht.


„Schau mich nicht so an. Da ist noch etwas, aber das hat mit dir zu tun, also versuch nicht, es abzustreiten. Ich sehe eure Blicke und vor allem deine Veränderung. "


*Shit. Basti jetzt ist es eh vorbei. *


„Ich weiß nicht... ich glaub ich mag ihn mehr als nur einen besten Freund."


Ich konnte meiner Mutter in diesem Moment nicht in die Augen sehen. Ich hatte so Angst vor ihrer Reaktion, doch weiter konnte ich nicht denken, denn ich wurde in eine enge Umarmung geschlossen.


„Du brauchst dir gar keine Gedanken zu machen, mein Schatz. Ich bin so stolz auf dich. Du verfolgst deine Leidenschaft und bist ein super Schüler. Aus dir wird mal etwas ganz Besonderes, und glaub mir, ich bin so stolz und freue mich so, dass du verliebt bist. Rafael ist ein so lieber und höflicher Junge, und ihr schafft das gemeinsam. Glaub mir, ich sehe, wie er dich anschaut. "


Ich bedankte mich bei ihr und ging ihre Worte immer wieder in meinem Kopf durch. Sah er mich wirklich so an? War er auch in mich verliebt? Und selbst wenn, wollte ich ihm erst einmal helfen. Aber wie?


Mit diesen Gedanken verbrachte ich den restlichen Abend, und auch beim Videoschnitt konnte ich meine Gedanken nicht von ihm ablenken. Immer wieder musste ich auf meinen Desktop-Hintergrund schauen, der seinen und meinen Minecraft-Skin zeigte. Ich schlief schließlich sogar mit diesen Gedanken ein.


Selbst an den letzten Tagen unserer Ferien arbeiteten wir ständig zusammen weiter, und ich versuchte, ihm so gut ich konnte unter die Arme zu greifen. Irgendetwas musste ich ja tun. Unsere Aufrufzahlen betrugen auf beiden Kanälen fast 900 Aufrufe pro Video, und bei meinem Stream schauten rund 100 Leute zu, während es bei Rafi etwa halb so viele waren. Es lief besser, als ich es mir je hätte erträumen können, und ich hoffte jede einzelne Sekunde, dass es immer so bleiben würde.


Um das, was noch auf Rafael und mich zukommen würde, machte ich mir keinen Kopf.







Liebe auf Sendung ⌨️<3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt