Kapitel 12

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Wir haben ein paar Decken und Kissen aus dem Kinderbereich der Bibliothek zu uns geholt und sitzen aneinander gekuschelt im dämmerigen Licht der Galerie.

Ich beobachte ihn, während er auf seinem Handy versucht, sich über die aktuelle Lage des Hurrikans zu informieren.
Ich komme nicht umhin festzustellen, dass er einer dieser Menschen ist, denen das Altern gut steht. Die ersten grauen Haare glitzern an seiner Schläfe, die kleinen Fältchen in seinem Gesicht unterstreichen nur seine eh schon faszinierende Mimik, und sein Körper ist durch jahrelangen Sport trainiert und definiert.

»Wusstest du, dass die Unwetterwarnung bis Sonntag gilt?« Er lässt schnaubend sein Handy auf den Boden gleiten.
Ich nicke.

»Scheiße. Eigentlich muss ich spätestens Sonntag wieder in L.A. sein.« Ben seufzt genervt und lehnt seinen Kopf an meinen.
Es ist schon verrückt. Wie oft saßen wir damals genauso in seinem Zimmer, haben für die Schule gelernt oder über Gott und die Welt gequatscht, und auch nach all der Zeit fühlt es sich so vertraut an. Trotzdem ist mir bewusst, dass das hier nur ein kurzer Ausflug sein wird...

Ach, Vianne. Wo kommt plötzlich diese Enttäuschung her? Habe ich insgeheim gedacht, dass wir es in meiner Galerie treiben, heiraten und einen Hund adoptieren?

Bens Handy beginnt zu vibrieren und auf dem Anrufdisplay sehe ich das Foto von Isabel B. Baker.
Sie ist eines von diesen Sternchen, die man nur kennt, wenn man auf Instagram oder TikTok unterwegs ist. Nimmt einen auf jeden Lebensweg mit und platziert gekonnt die schönsten Modemarken, Beautyprodukte und gibt jungen Mädchen das Gefühl, die perfekte, beste Freundin zu sein.
Ihre schwarzen Haare glänzen wie Seide, die vollen Lippen lächeln immer etwas katzenartig und ihre ewig langen Wimpern haben den perfekten Aufschlag.

Er sieht mich entschuldigend an. »Ich muss kurz rangehen, okay?«

»Was ist?« faucht Ben in den Hörer.

Ich trinke meinen Wein.

»Hör mal, Isabel, ich stecke in New York fest.« Er steht langsam auf und läuft in der Galerie hin und her, und ich höre Isabel auf der anderen Seite der Leitung in einem weinerlichen Ton sprechen.
»Isabel, beruhige dich! Geh morgen alleine zur Gala, dann hat die Presse doch schon Futter wegen unserer Scheidung.«
Ich höre sie schluchzen.
Ben wirkt abgeklärt.

»Nein. Ich will nicht noch einmal mit dir darüber reden.« Er verdreht die Augen.
Sie schreit.

Ben legt auf.

Ich starre auf die Muster des Teppichs und fühle mich in meinen eigenen Räumen plötzlich extrem deplatziert.

Der Sturm tobt nicht nur draußen.

Ben tippt wieder am Handy und telefoniert. Es geht um Stornierungen, Haftung bei Unwettern, Presseerklärungen und Umbuchungen. Die Realität schlägt wie ein Steinschlag in meine Magengrube und ich wünschte, wir hätten mit dem Tequila angefangen statt mit Wein.

»Tut mir leid.« Ben lässt sich wieder neben mir zwischen den Decken nieder, schiebt sein Handy weiter weg und legt seinen Arm um meine Schulter. Mein Herz macht einen kleinen Freudensprung. »Heute wünschte ich mir wirklich, einmal die Arbeit und den Scheiß ausknipsen zu können...«, murmelt er und seufzt, bevor er noch einen Schluck von seinem Wein nimmt.

Ich nicke vor mich hin und ziehe langsam meine Bluse wieder an. Vielleicht fühle ich mich dann nicht mehr ganz so fehl am Platz.

Ben rauft sich die Haare und schaut mich mit einem schiefen Lächeln an.
»Ist schon okay, Ben. Die Welt bleibt ja nicht stehen, während sie untergeht.«
Wieder lehnt seine Stirn an meinem Kopf, seine Hand streichelt mir sacht über die Wange. »Füchschen, ich...«

IrgendwannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt