Kapitel 21

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Wie vom Blitz getroffen richtet Ben sich auf und starrt ungläubig auf den flimmernden Bildschirm. Er wagt es nicht zu blinzeln oder sich zu bewegen; nur sein Mund öffnet und schließt sich immer wieder, während er nach Worten sucht.

»Das war nicht der Deal...« wispert er gebrochen und vergräbt sein Gesicht in seinen Händen. Ein Kloß sitzt fest in meinem Hals, als ich seine Reaktion am Rande wahrnehme – es breitet sich eine Stille aus, die von einem unaufhörlichen Rattern in meinem Kopf durchbrochen wird. Isabels Lachen, ursprünglich so rein und unschuldig, hallt wie eine schlechte Farce durch meinen Verstand. Es wiederholt sich immer wieder in einem verzerrten Dia-Film, der auf der falschen Spule stottert und unaufhörlich durch meine Gedanken rauscht. Das sind nur Gerüchte...

Mein Mund ist trocken, und ich habe schlagartig einen ekelhaften, verdorbenen Geschmack auf meiner Zunge, während mein Puls durch meinen Körper rast und versucht, mich am Leben zu halten, denn ich habe wieder einmal vergessen zu atmen.

Die Angst, dass er morgen verschwindet und sich wieder nicht meldet, war fast angenehm im Gegensatz zu dem Knoten, der sich nun in meinem Inneren bildet. Er hatte nie vor, sich scheiden zu lassen. Ich war eine Gelegenheit. Ich bin die andere Frau und vielleicht nur eine von vielen. Natürlich wird er sich nicht von Isabel trennen; er wäre verrückt, wenn er es tun würde, und wer wäre ich denn neben ihm?
Die kleine rothaarige Bibliothekarin aus New York – die ein bisschen Fame für ihre Bilder abgreifen wollte?

Meine Finger krallen sich in meine Decke, sodass meine Knöchel schon weiß unter meiner Haut durchschimmern. Ich keuche, ringe nach Luft und Worten und fixiere den Bildschirm, auf dem mich nur noch stumme Fische anglubschen und ihre Münder bewegen, die Lippen zu maskenähnlichen Lächeln verziehen. Das Rauschen in meinen Ohren gleicht der Lautstärke sich panisch drehender Rotorblätter eines Hubschraubers.
Wieso bin ich so naiv, wenn es um Ben geht?

Bens Hände umschließen meine Schultern, und er sucht meinen Blick. »Vianne! Verdammt, hör mir zu!« Seine Stimme ist fest und klar. Fast wütend. »Ich habe keine Ahnung, was Isabel vorhat. Das sollte so nicht sein!« Was er sagt, ergibt in meinem Kopf keinen Sinn, eine Aneinanderreihung an Worten.
Meine Augen füllen sich mit Tränen und laufen fast über.

»Hör mir zu!« zischt er. »Ich kläre das!« Er wirkt wie vor den Kopf gestoßen, aber sollte nicht ich diejenige sein, die sich vor den Kopf gestoßen fühlt?
Ist er so aufgewühlt, weil ich hinter die Wahrheit gekommen bin? Hinter seinen Schultern sehe ich die Wiederholung von Isabels Interview über den Bildschirm flimmern. Sie sieht nicht aus wie eine Frau, die vor wenigen Stunden Scheidungspapiere ihres Mannes erhalten haben soll.

Bens Augenbrauen sind eng zusammengezogen. Die Falte zwischen seinen Brauen ist tief, und seine Augen liegen dunkel in einem Schatten voller Unglauben, Wut und Irritation.
»Jetzt sag doch was!« fleht er in mein Schweigen.

Ich möchte so viel sagen, Ben.
Ich will Fragen stellen, dich anschreien. Dich aus meiner Wohnung und endgültig aus meinem Leben verbannen. Ich will brüllen und weinen und Dinge nach dir werfen, aber als ich meinen Mund öffne, lässt mich meine Stimme im Stich; sie ist nur noch der Hauch eines Atemzugs, ein dünnes, schwaches »Warum?« entfällt ungläubig meine Lippen, und ich lege meinen Kopf fragend auf meine Schulter und versuche, seinen Blick standzuhalten.

»Weil sie lügt, Vianne!
»Ist es gelogen, dass du morgen zurückfliegst? Ist es gelogen, dass sie mit dir nach Vancouver fliegt?« frage ich leise, meiner Stimme nicht vertraue. Ihm nicht vertraue.

Er schweigt. Einen Moment zu lange. Einen Moment, in dem die Unsicherheit in mir gewinnt. »Es ist gelogen, dass wir uns nicht scheiden lassen werden – alles andere gehört zum Vertrag.« antwortet er zerknirscht und greift nach seinem Handy.

Mir wird kalt, und ich schlinge eine meiner Decken um mich, knibble an meinen Fingernägeln und beiße auf meiner Unterlippe herum. »Was für ein Vertrag?«

Ben lässt das Handy zwischen seinen Fingern hin und her gleiten und überlegt sichtlich angespannt nach Worten. Nach neuen Lügen?

»Wir haben gemeinsame Kooperationspartner. Von heute auf morgen kommt man nicht aus den Verträgen. Und die letzten Projekte müssen wir noch abfilmen... Ich will die Scheidung. Sie nicht. Und sie hat meine Abwesenheit ganz klar für ihre Zwecke genutzt... Das war nicht unser Deal.«

Er schaltet sein Handy aus dem Flugmodus, und innerhalb weniger Sekunden blinkt und vibriert das kleine Gerät im Stakkato.
Er wählt eine Nummer, stellt das Telefon auf Laut und legt es auf sein Knie.

»Bro! Verdammt. Hier brennt die Hütte!« ertönt eine aufgebrachte, männliche Stimme. Im Hintergrund spielt Musik und viele Menschen sind zu hören.

»Ich dachte, du redest mit ihr, Steve.« Ben versucht sachlich zu klingen, aber sein Kiefer ist aufeinandergepresst, und er reibt sich mit Daumen und Zeigefinger über seinen Nasenrücken.

»Alter! Da gibt's nichts zu reden. Du verschwindest aus dem Hotel, das er dir gebucht hat. Gehst nicht ans Telefon und willst dich von Isabel scheiden lassen? Bist du rückfällig geworden oder einfach nur verrückt?«

Bens Rücken spannt sich an. »Ich bin so clean wie seit Jahren nicht mehr.« sagt er hart und schaut kurz zu mir. Seine Wangen laufen zart rosa an.

Steve räuspert sich. »Sie hat deine Bedingungen nicht akzeptiert und mir die Tür vor der Nase zugeschlagen, Alter. Und allein dass du nicht im Hotel bist, wo du sein solltest, wird uns in Teufelsküche bringen.«

Ich blicke verwirrt zwischen dem Handy und Ben hin und her, verstehe nicht, worüber er mit Steve spricht. Woher denn auch? Was sind das für Deals, für Bedingungen und für Abmachungen?

»Ich kläre das morgen mit ihm...und Isabel,« murmelt Ben und seine Hand fährt sich frustriert durch die dunklen, wilden Locken. Er strahlt Anspannung und Nervosität aus.

»Bro, sag mir nur, ob du clean bist und wir dich morgen nicht irgendwo in 'nem Crackhouse in New York suchen müssen...« Steve klingt ernsthaft besorgt, und auch ich schnappe hörbar nach Luft.
»Wer ist bei dir? Bist du alleine, Bro?«

»Ich bin clean, Steve... Ich bin bei einem alten Schulfreund.« Er versucht das Telefonat abzuwimmeln und verzieht seine Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln, als er zu mir schaut und »Sorry« wispert.

»Ich nehme das, was du mir sagst, so hin und glaube dir, damit ich es genau so an Isabel weitergeben kann. Ein Schulfreund also.« Steve klingt nicht so, als hätte er mein Luftholen als stark männlich interpretiert.

»Ja, genau! Ihr braucht mich auch nicht holen – ich fahre mit 'nem Uber zum Flughafen.« Ben lässt sich in meine Kissen fallen und reibt sich über sein Gesicht. Sein Bart gibt ein knisterndes Geräusch ab, als er mit seinen trockenen Händen über ihn fährt.

Man kann Steves Kopfschütteln förmlich hören. »Keine Chance, er besteht auf seinen Fahrer. Schick mir deine Adresse und guck, dass du sauber bist.«

Ben verabschiedet sich, schaltet sein Handy wieder auf Flugmodus, ehe er es fluchend in eine Ecke pfeffert und mich hilflos anschaut.

Seine Augen sind müde, und das nicht wegen unseres Schlafmangels. Er sieht aus, als sei er des Lebens müde. Als hätte er versucht, aus einem Labyrinth zu fliehen und sei wieder in einer Sackgasse geendet, nur war es ihm klar; er hatte geahnt, wenn er um diese Ecke biegt, wird er wieder nicht weiterkommen, dann wird er wieder vor einer Mauer stehen und zurück müssen, und seine schweren Augen verraten, dass er nicht weiß, ob er die Kraft hat, einen nächsten Anlauf zu unternehmen.

Seine Fingerspitzen wandern langsam und vorsichtig zu meinen. Sie schieben sich auf meine Finger, umgreifen vorsichtig meine Hände, ziehen sie zu seinen Lippen, die er sanft über meine Knöchel fahren lässt. »Es ist nicht immer alles so einfach, Füchschen.«

Seine Augen bekommen ein flehentliches Glitzern. Das Honiggold funkelt auf, und er sucht ein Lächeln, das er auf seinen Mund zaubern kann.

»Ich kann dir nur sagen, dass ich dich nicht angelogen habe. Niemals.«

***

» So hat jede:r ein Päckchen zu tragen. Macht eine Rückblende aus Bens Sicht Sinn oder wollen wir alle auf dem Wissensstand von Vianne bleiben?

♥️

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