Rückblick 05

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Das Motto: Eisblau.

Meine Mutter hat mir ein wunderschönes langes Kleid in der passenden Farbe gekauft. Es ist nicht zu eng, aber auch nicht zu locker, zwei dünne, silberne Träger halten den Wasserfallkragen, der über meine Brüste fällt. Der Rücken ist tief ausgeschnitten und Stoff umspielt beim Laufen meine Knöchel, am Rand ist es bis zum Knie geschlitzt. Das helle Blau passt zu meiner hellen Haut und bildet einen Kontrast zu meinen roten Locken, die ich gar nicht erst versuche zu bändigen.

Owen holt mich pünktlich ab und hält einen kurzen Plausch mit meinem Vater über steigende Immobilienpreise. Danach fahren wir zur Schule und begeben uns in den Winterzauber der Highschool. Wir posieren wie zwei brave 17-Jährige vor der Fotowand, trinken Punsch ohne Alkohol und tanzen zu der Playlist unserer Lehrer. Owen ist ausgelassen, und zum ersten Mal seit langem kommt er mal ein bisschen aus sich heraus.

»Ganz schön viel Druck, oder?« frage ich ihn und nippe an meinem heimlich mitgebrachten Flachmann, gefüllt mit Wodka-O, den wir uns teilen.

»Das kannst du dir nicht vorstellen. Ich bin froh, wenn ich aufs College geh und mich einfach nur auf die Themen konzentrieren kann, die ich interessant finde.«

Ich nicke und will gerade ansetzen zu antworten, als Ben angerannt kommt.
»Füchschen! Ich brauche deine Hilfe! Bitte, bitte, bitte!«

Owen und ich ziehen gleichzeitig unsere Augenbrauen hoch.Eigentlich war Ben mit Monica hier, das Mädchen an seiner Seite war uns aber gänzlich unbekannt.
Irgendeine Schwester oder Cousine eines Mitschülers aus Brasilien.

»Pass auf: Monica ist grad auf Toilette, du musst hin und sie aufhalten. Quatsch ein bisschen mit ihr. Ich bin in 20 Minuten ... na sagen wir 10 Minuten ... wieder da!«

Mein Herz rutscht ins Kleid. Ich habe Ben schon oft Schmiere gestanden, aber noch nie, um ein Mädchen zu verarschen. Er sieht mich mit seiner bettelnden Schmolllippe an, in die ich am liebsten reinschlagen würde.

»Sie muss gleich los und ist dann auch wieder in Brasilien. Also muss Monica nichts davon mitbekommen. Na komm!«

Ich stehe langsam auf, und mein Kleid gleitet wie automatisch an die richtige Position auf meinem Körper. Ich mag das Gefühl des Stoffs auf meiner Haut.

Ich schaue Ben an, und er erwidert meinen Blick, da war nichts Flehentliches mehr. Sein Blick hängt an mir und wandert langsam - fast genüsslich - über das, was das Kleid erlaubt zu sehen. Ich höre nur noch dumpf die Musik wummern und das Blut in meinen Ohren rauschen. Sein Mund öffnet sich leicht, als würde er etwas sagen wollen, während sich seine Augen verdunkeln und seine Zungenspitze über seine wunderschönen Lippen fährt. Ich sehe, wie sich sein Körper mir zuwendet - sein Atem sich beschleunigt und ...

»Vamos, Ben!« kichert das brasilianische Mädchen hinter ihm und zieht an seiner Hand.

Ihre Stimme katapultiert mich zurück in die Realität. Die Musik bekommt wieder Melodie und Text, und die Lichter Struktur. Ich würdige ihm keinen weiteren Blick und ziehe an ihm vorbei zur Mädchentoilette.

Monica steht am Waschbecken und malt sich die Lippen nach. Ich reiche ihr meinen Flachmann.

»Bist du hier, um für ihn mit mir Schluss zu machen?«
Ich lehne mich an einen Vorsprung an der Wand.
»Nein, ich soll dich nur 10 Minuten hier festhalten.«
»Die Brasilianerin?«
Ich nicke stumm.
Monica nimmt einen Schluck und hustet.

»Ich versteh euch beide nicht. Ihr wollt doch was voneinander? Wieso zieht ihr in eure Kommunikationsprobleme alle anderen mit rein?«
Ich nehme ihr meinen Flachmann ab und funkle sie genervt an. Immer die gleiche Leier seiner Verflossenen.
»Wir wollen nichts voneinander. Er ist mein bester Freund und hat ein ordentliches Problem mit Anstand. Mehr ist da nicht.«

So stehen wir ungefähr 20 Minuten im Bad, schweigend und leeren meinen Flachmann.
Als wir rauskommen, ist die Stimmung angespannt.

»Vianne! Owen hat Ben eine verpasst!« kommt Lauren brüllend angerannt, so gut es in ihren wahnsinnig hohen Schuhen geht.

Ich stehe wie versteinert da, Monica gibt einen jubelnden Laut von sich und gesellt sich zu ihren Mädels. Ich warte noch wie begossen auf irgendeine Erklärung.

Lauren ist außer sich. Owen ist wohl, in dem Moment, als ich in der Toilette verschwunden bin, aufgesprungen, hat ihn wüst beschimpft und als Ben anfing zu lachen, hat er auf ihn eingeschlagen.

Beide mussten von ihren Eltern abgeholt werden.

IrgendwannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt