Kapitel 28

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Alle paar Wochen schafft Ben es, Termine in New York wahrzunehmen, unsere Treffen laufen immer nach einem ähnlichen Schema.
Er holt mich ab oder lässt mich abholen. Wir treffen uns in einem Hotelzimmer – manchmal auch bei mir.

Es sind gestohlene Stunden, in denen wir uns einander hingeben, gutes Essen, köstlichen Wein und unsere Nähe genießen. Wir schweben in einer definitionslosen Zeitblase.
Manchmal sieht man Ben und Isabel morgens in den Frühstücksshows glücklich in die Kamera strahlen und aller Welt ihren Lifestyle präsentieren, während er einen Abend davor oder noch am selben Abend bei mir ist.

Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es mir egal ist, dass wir noch keinen Schritt weiter sind, dass es mir leichtfällt, ihn mit ihr zu sehen, und dass ich mich manchmal frage, ob sie und Ben noch mehr eint als nur ihre kommerziellen Auftritte.
Sie harmonieren so gut miteinander, dass ich es nicht ertrage, auch nur den einen oder anderen Ausschnitt von beiden zu sehen. Doch ich frage ihn nicht – ich habe Angst, dass die Blase, in der wir uns befinden, platzt, denn sie heilt. Sie fühlt sich gut an. Es ist wie ein Rausch, ein kurzes, aber wertvolles High, dem ich mich bewusst hingebe, auch wenn das Low an den Tagen danach immer tiefer und trister wird.
Oft schleppe ich mich nur noch zur Arbeit und zurück. Ich warte auf Nachrichten von ihm, die manchmal selten und knapp ankommen, aber dann auch wieder häufig und intensiv, wie am Anfang...

Nachdem Ben heute Morgen wieder gefahren ist, habe ich mich bei Carl krankgemeldet. Ich schaffe es nicht, mich aus dem Bett zu quälen und diesen Tag zu beginnen. Meine Mundwinkel sind schwer, als hingen Tonnen Blei an ihnen. Ich bekomme nicht mal mein einstudiertes, soziales Lächeln hin.

Seufzend drücke ich mein Gesicht tief in die Kissen und werde von einer Ben-Duftwolke erschlagen. Mein Herz flattert wie ein aufgeregter Vogel in meinem Brustkorb, gefangen in einem Käfig. Wieso riecht dieser Typ nur so verdammt gut?
Knurrend boxe ich gegen das Kissen und werfe mich seufzend auf meinen Rücken.

Ich will ihm schreiben, ihm sagen, dass es so nicht mehr lange weitergehen kann, dass es sich nach nichts anfühlt, solange Isabel noch mit auf dem Spielfeld steht und nur er sie aus dem Spiel nehmen kann. Wieso zieht sich das so sehr in die Länge? Wieso nimmt er mich in seine Entscheidungen nicht mit, sondern lässt mich so in den Wolken hängen, als sei ich eine Ablenkung für ihn, aber nicht das Ziel?
Auch ohne Isabel wäre es kein leichter Weg herauszufinden, ob wir eine Zukunft hätten. Wir leben schließlich seit der Highschool unterschiedliche Leben. Würde er nach New York kommen? Soll ich nach L.A?
Aber solange sie noch mitmischt, können wir das gar nicht herausfinden.

Ich starre mit zusammengezogenen Augenbrauen auf das Display meines Handys, entsperre es immer wieder aufs Neue, nur um es dann wieder zu sperren. Ich beginne, Nachrichten zu schreiben, die ich nicht abschicke, schiebe es schnaubend unter mein Kissen, nur um es wenige Minuten später wieder hervorzukramen, um zu schauen, ob ich das Vibrieren nicht mitbekommen habe. Aber natürlich schreibt er nicht, er schreibt nie wenn er am Flughafen ist. Meistens erst ein oder zwei Stunden, nachdem er zu Hause angekommen ist, und auch daran gewöhne ich mich – dabei sollte ich mich nicht daran gewöhnen müssen, dass mein Herz schwer und monoton in meiner Brust klopft und nur durch ihn zum Leben erweckt wird.

»Ich will nicht mehr«, tippe ich mit brennenden Augen in das Nachrichtenfenster, ohne es abzuschicken, weil ich will. Ich will nur das hier nicht mehr, und ich will nicht alleine damit sein. Ich richte mich auf und öffne mit zittrigen Fingern meine Kontaktliste.

Ich weiß nicht, wie sie es auffassen wird. Seit dem Hurrikan hatten wir nur noch sporadischen Kontakt, aber Sophie ist meine engste Freundin. Sie hat vor ein paar Jahren ehrenamtlich zu Halloween bei uns in der Bibliothek ausgeholfen und an die Kinder Süßigkeiten verteilt. Wir beide gingen als Pestärztin und waren uns sofort sympathisch. Seitdem sind wir unzertrennlich.

Also so unzertrennlich, wie zwei introvertierte Menschen sein können, die ungern ausgehen und nach einem vollen Arbeitstag auch keine Kapazitäten für soziale Kontakte haben – für uns funktioniert diese Freundschaft perfekt. Also ist es auch kein Wunder, dass sie eine halbe Stunde später bei mir im Zimmer sitzt, frische Zimtrollen und zwei große Cappuccinos dabei hat – denn wenn wir uns beieinander melden, dann können wir meistens von einem Notfall ausgehen.
Und das ist doch ein Notfall, oder?

»Ben Baker? Der Ben Baker, der nackt unter einem Wasserfall stand, um für ein Parfüm zu werben? Der Ben, der als Sohn eines Mafia-Bosses in den Tod stürzte, um seine Frau zu beschützen und das halbe Publikum im Kino anfing zu weinen? Der Ben Baker, der dir in der Highschool den Kopf verdreht hat und auf dem Klassentreffen das Herz gebrochen hat?!«
Ungläubig starrt Sophie mich an. An ihren Mundwinkeln kleben Krümel der saftigen Zimtrolle, ihre blonden Haare sind zu einem perfekten Pferdeschwanz gebunden und passend zum Wetter trägt sie einen flauschigen Oversize-Pulli und eine weiche Leggings.

Ich kann mir ein verschämtes Grinsen nicht verkneifen und spüre die Röte in meine Wangen steigen.
»Aber du weißt schon, dass er verheiratet ist, oder?« nuschelt sie mit vollem Mund und wedelt theatralisch mit ihren Händen. Ich nicke, natürlich weiß ich das, das ist ja das Problem.

»Ich weiß, aber er sagte, er wollte das beenden«, kommt es leise von meinen Lippen, während ich den Schaum von meinem Cappuccino löffle.
»Das sagen die immer, Vianne!«

Wenn Sophie noch etwas mehr hasst als Menschen, dann sind es Männer – außer ihrem, aber Harry ist selbsterklärter Feminist und mit seiner weiblichen Seite im Reinen, daher wird das schon passen.
Und natürlich weiß ich, dass viele Typen sagen, sie würden sich scheiden lassen, es aber doch nicht tun. Ben war aber schon dabei, sich scheiden zu lassen, nur wurden ihm von Isabel ganz klar die Konsequenzen aufgezeigt, wenn er das tun würde.
Ich weihe Sophie in die ganze Misere ein und warte auf ihr Urteil. Ich brauche Feedback von außen, mein Kopf dreht sich seit Wochen in einer kaputten Dauerschleife, die mich immer weiter in eine Dunkelheit zieht, in die ich nie wieder zurück wollte.

Sophie zieht ihre Augenbrauen hoch. »Ich sehe für ihn keinen Grund, sich anzustrengen sich scheiden zu lassen. Er hat seine Frau und damit seine Karriere, und wenn er Zeit und Lust hat, hat er dich.« Ihre Worte treffen die Stelle in meinem Herzen, die schon darauf gewartet hat, dass mir das einmal gesagt wird.

Das Brennen in meinen Augen ist kaum noch zu ignorieren, und während ich versuche, mich in meinem Cappuccino zu ertränken, zieht sich mein Herz krampfend zusammen.

Das kleine Vögelchen in meiner Brust stirbt leise und allein.

IrgendwannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt