Kapitel 26

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Wir schreiben uns fast täglich, da es mit dem Telefonieren wegen unserer unterschiedlichen Alltagskonzepte nur selten klappt.
Die ersten Tage war es ungewohnt, wir schrieben über unseren Tagesablauf und was wir gerade so machten. Erst in den letzten paar Tagen wurden unsere Chats intimer, als suchten wir über diesen Weg die Nähe zueinander, die uns so fehlt. Persönliche Gedanken und die Beschreibung unserer Gefühle finden immer mehr Raum und Platz in langen Nachrichten, die mir manchmal die Röte in die Wangen schießen lassen und mich teilweise zu den unpassendsten Momenten erreichen.

Dass mein Handy inzwischen so hochfrequentiert im Einsatz ist, ist für mich mehr als ungewohnt, da ich es teilweise sogar tagelang in meiner Handtasche vergessen konnte. Nun höre ich es sogar Räume weiter vibrieren, und im selben Moment zieht sich mein Bauch kribbelnd zusammen und das Herz schlägt wilde Saltos. Ich habe es aufgegeben, meine Gefühle dahingehend kontrollieren zu wollen, nicht direkt zum Telefon zu hasten, wenn er schreibt – denn meine Konzentration ist erst wieder zurück, wenn ich weiß, was er geschrieben hat und ich antworten kann.
Carl beobachtet mich gelegentlich und steht oft kopfschüttelnd im Türrahmen, eine heiße Kaffeetasse in der Hand und schmunzelt in sich hinein, aber er hat mich nicht noch einmal auf das Thema angesprochen.

»Was machst du gerade?« raunt Ben schnurrend durch das Telefon, direkt in mein Ohr, in alle Gehirnwindungen, die seine tiefe Stimme nur treffen kann, und erwischt mich, als ich gerade die Leseecke für eine Kindergartengruppe in der Bibliothek einrichte.
»Du musst brav sein, es kommen gleich zehn kleine Kinder, die die neuesten Geschichten vom Bauernhof vorgelesen bekommen wollen – wenn du anständig bist, darfst du zuhören,« flöte ich leise, während ich frische Decken und Kissen auf dem Boden verteile. Sein raues Lachen trifft mich wohlig warm und tief in meinem Bauch.
»Machst du das häufiger?« fragt er, immer noch mit einer zu anrüchigen Stimmlage, die meine Wangen glühen lässt.
»Jeden Donnerstag?« murmel ich mit einem Lächeln und lege dabei eine Auswahl an Bauernhof-Büchern in die Mitte des Sitzkreises, den ich gelegt habe.
»So, so. Jeden Donnerstag also?« schnurrt er weiter in den Hörer, und ehe ich antworten kann, räuspert er sich: »Sehr schön! Dann unterstütze ich dich nächste Woche.«
Ich nicke zustimmend und stelle noch eine Karaffe Wasser, bunte Plastikbecher und ein paar Haferkekse auf einen kleinen Tisch neben meinem Lesestuhl, und erst als mich die erwartungsvolle Stille am anderen Ende der Leitung trifft, rutscht mir mein Handy fast zwischen Schulter und Kopf heraus.

Habe ich das gerade richtig verstanden? Ich schnappe laut japsend nach Luft und ernte direkt neugierige Blicke von umherstehenden Besuchern. »Heißt das...?« Das Schmunzeln am anderen Ende der Leitung ist fast hörbar, ich sehe ihn direkt vor mir und möchte mich am liebsten in seine Arme schmeißen, meinen Kopf an seine Brust kuscheln und das Brummen seines Oberkörpers spüren, als er ein erfreutes »Ja!« in den Hörer brummt.
»Ich bin nächste Woche wieder in New York. Nur kurz. Aber wir werden uns sehen.« Ich husche schnell in unser kleines Büro, schließe die Tür hinter mir und quietsche leise in den Hörer. »Die Dreharbeiten sind vorerst rum, in New York haben Isabel und ich nur ein Shooting für ihre neue Schmuckkollektion und ich noch ein Casting für irgendein Projekt von Rogers 'Die bringen dich groß raus, Junge'-Kumpels, aber wir werden uns sehen, versprochen!« Bei der Nennung von Isabel zieht sich mein Herz krampfhaft zusammen. Bis heute habe ich es nicht geschafft, ihn zu fragen, wie es um die beiden steht. Um ehrlich zu sein, traue ich mich das auch gar nicht, vielleicht weil ich nicht eifersüchtig wirken will – vielleicht weil ich Angst vor der Antwort habe.
Ich kenne die Kampagne von ihr aus den sozialen Medien – ihre eigene Kollektion für Ehe- und Verlobungsringe, natürlich sind sie und Ben das Gesicht. Das Vorzeige-Ehepaar, mit den Vorzeige-Ringen.
Keine Dramen.
Keine Skandale.

*

Die Sonne geht unter, als ich am Straßenrand stehe und auf mein bestelltes Uber warte. Es ist einer der letzten lauen Spätsommerabende, und passend dazu trage ich ein helles, knielanges und ausgestelltes Kleid mit gelben und weißen Blüten, breiten Trägern, die ich hinter meinem Hals zu einer Schleife binden konnte. Meine unbändigen roten Haare habe ich zu einem lockeren Pferdeschwanz gezwungen, und weil ich weiß, dass es heute Abend noch kühl werden wird, trage ich einen lockeren Mantel über meinem Arm.

Nach wenigen Minuten bremst ein silberner Mercedes-SUV am Straßenrand vor mir, und als ich die hintere Tür öffnen möchte, schiebt sich diese schon von alleine auf, und Ben grinst mich mit seinen vollen Lippen an. Ich kann ein freudiges Aufkreischen kaum unterdrücken und lasse mich mit einer knappen Begrüßung auf die Ledersitze im Innenraum gleiten. Ohne weitere Worte umfasst Ben mein Gesicht, und seine honigfarbenen Augen treffen auf meine. Sein Blick hält mich fest, unser Atmen vermischt sich, und bevor ich etwas sagen kann, legen sich seine Lippen auf meine und finden schnell ihren Weg in einen hungrigen Rhythmus. Atemlos folge ich ihm, meine Hände verfangen sich in dem Stoff seines Hemdes an seiner Brust, und ein leises und glückliches Seufzen entfährt mir, als seine Zunge in meinen Mund gleitet.

Der Uberfahrer räuspert sich hörbar und erntet von Ben einen genervten Blick. »Zum Hotel,« brummt er und zieht mich zeitgleich enger in seine Umarmung. Er lässt eine Hand in meinen Nacken gleiten, während der Daumen seiner anderen Hand sanft über meine Wangen streichelt. »Endlich...« haucht er und versenkt seine Lippen wieder auf meine, hält mich fest bei sich und lässt mich kaum zu Atem kommen oder mich anschnallen.

In mir tobt ein Feuer, das ich die letzten Wochen versucht habe zu ignorieren, um halbwegs unbeschadet durch meinen Alltag zu kommen, und kaum gleitet seine Hand meinen Rücken bis hin zu meiner Hüfte, strahlt eine solche Hitze von ihr aus, dass sich das Feuer in meinem Unterleib zu einem hitzigen Sturm ausbreitet.

Der Fahrer hält an einem Hotel etwas abseits von Manhattan. Wir fallen uns kaum von einander lösen könnend, aus dem Auto, verabschieden uns knapp und stolpern in das Foyer des Hotels. Ben zieht mich an meiner Taille eng an sich, seine Fingerspitzen brennen sich durch den Stoff meines Kleides an meine Haut. »Wir haben ein Zimmer auf den Namen 'Cole' reserviert,« strahlt er den Mann an der Rezeption an, unterschreibt ein paar Formulare und nimmt die Chipkarte für unser Zimmer entgegen.

Kaum stehen wir im Fahrstuhl, umfasst Ben wieder mein Gesicht, fährt die Konturen meiner Wangen und Nase mit den Spitzen seiner Daumen nach und lächelt mich mit seinem typischen Lächeln, das mir immer noch durch und durch geht, an. »Gott, was habe ich dich vermisst,« und während sich meine Beine in Butter verwandeln, schiebt er uns über den kurzen Flur in eine Suite des Hotels, drückt mich gegen die Wand, lässt die Tür ins Schloss fallen und löst nicht einen Moment seinen Mund von meinem.

IrgendwannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt