Kapitel 11

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Ophelia wütet über die Stadt, als würde die verheerende Kraft ihrer Winde nicht nur die Welt außerhalb des alten knarzenden Gebäudes in Chaos stürzen, sondern auch mein bis heute flickenartig repariertes Herz. Die indirekte Beleuchtung in der Galerie flackert, während Donner und Blitze wütend grollen.

Was zur Hölle mache ich hier?
Ich schließe meine Augen und versuche, angestrengt herauszufinden, welcher Wahnsinn mich getrieben hat. Ich könnte natürlich dem Wein die Schuld geben, aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann wäre es auch ohne dazu gekommen. Bens Wirkung auf mich ist und wird wahrscheinlich immer dieselbe bleiben und nachdem wir die letzte Grenze vor zehn Jahren überschritten hatten, war das wahrscheinlich nur die Fortführung der damals abgebrochenen Kommunikation.

Ach, Vianne, er ist verheiratet, ob er sich nun scheiden lässt oder nicht. Und es ist Ben Baker, aktuelles Gesicht diverser Werbekampagnen. Wie schwierig will ich mir mein Leben noch gestalten? Es wurde doch endlich so etwas wie normal. Sobald es geht wird er zurück in sein Leben fliegen und vor Kameras gottgleich lächeln, auf roten Teppichen winken, und ich werde die Bibliothek öffnen. Bücher verleihen und zurücknehmen.

Wir liegen schwer atmend aufeinander, unfähig, uns voneinander zu lösen oder etwas zu sagen.

»Ich weiß nicht, ob was daneben gegangen ist, Füchschen.« Er nuschelt die Worte nach kurzer Zeit träge an meine Schulter und rollt sich von mir, setzt sich auf, um seine Hose wieder hochzuziehen, nimmt sein Shirt und wischt mir damit vorsichtig seine Flüssigkeit von meinem Oberschenkel.

Er beugt sich über mich und küsst meinen Bauch.

»Waren wir gerade in einem gefährlichen Zeitraum?« fragt er wie nebenbei und nimmt sich seinen Wein.
Ich seufze, ziehe mir meinen Slip wieder hoch und setze mich hin. »Nein, keine Sorge.« antworte ich und fülle meinen Becher mit Wein nach, um schnellstmöglich die wieder auftauchende Leere in mir zu füllen.

»Bist du dir sicher?« Ben klingt etwas nervös und ich kann mir vorstellen, dass das ziemlich schwierige PR-Arbeit bedeutet, wenn er mitten in seiner eventuell folgenden Scheidung eine wildfremde Frau schwängert. Muss schon anstrengend sein, nichts im Leben machen zu können, ohne es rechtfertigen zu müssen.

»Ja, Ben. Ich bin mir sicher.« Ich rolle meine Augen. Jetzt hör auf zu fragen, vertrau mir einfach.

»Aber wie sicher?« Ben beginnt zu googeln. Ich sehe in seinem Gesicht, dass er es bereut, und wieder greift eine kalte Hand nach meinem Herzen. Wenn er könnte, würde er aufstehen und gehen. Das sehe ich ihm an.
»Ben?« Er schaut zu mir und sieht in meinem Gesicht die aufkommende Sorge. Sofort realisiert er, dass es gerade nicht die schmeichehafteste Idee ist, am Handy zu sitzen, schiebt es weg und kommt sich entschuldigend zu mir. Er schließt seine Arme um mich und küsst meine Schultern. Die darauffolgende Gänsehaut verscheucht die Panik in meinem Magen.

»Es tut mir leid. Ich weiß gerade nicht... Was ich denken soll. Ich meine, ich bin erwachsen. Ich weiß, was passieren kann. Ich hab mich gehen lassen... Sorry.«
Er drückt mich fest an sich, ich rieche ihn an mir und mir wird warm in meinem Herzen. Seine Gesichtszüge werden weich, als er mich anguckt, und er streicht mir über meine Wange und schiebt ein paar Haarsträhnen hinter meine Ohren.

»Machst du dir gar keine Sorgen?« Ben verunsichert meine Gelassenheit.

»Ich kann keine Kinder bekommen, Ben.«

Die entstehende Stille irritiert mich mehr, als ich dachte. Eigentlich sollte er sich entspannen, aber da waren nur seine großen, honigfarbenen Augen, die mich anstarren.

»Wie? Keine Kinder bekommen? Weißt du das ganz sicher?« fragt er vorsichtig und hält mich so, dass wir uns in die Augen schauen müssen. Ich nicke.

»Seit wann und woher weißt du das?« Als wir vor zehn Jahren auf dem Jahrgangstreffen übereinander hergefallen sind, war Verhütung ein Thema. Ich nahm die Pille, aber er sollte definitiv auch ein Kondom benutzen. Ich hatte keinerlei Lust, schwanger zu werden. Mit Anfang 20 war ich einfach zu jung.

»Seit acht Jahren.«
Er zieht seine Augenbrauen hoch und überlegt. »Bist du nicht vor acht Jahren hergezogen?«
Ich nicke und trinke meinen Wein weiter.

Da sitze ich also nun, während eines Unwetters, halbnackt auf einem Teppich in meiner Galerie, mit einer fast leeren Flasche Wein, Ben und einem Potpourri an Erinnerungen.

Als er mich fragt, wie es mir damit geht, kann ich ihm ehrlich sagen, dass ich genug Zeit hatte, meinen Frieden damit zu finden. Vielleicht gab es eine Zeit in meinem Leben, in der ich mir Kinder habe vorstellen können. Aber heute schmerzt die Vorstellung daran anders, als man sich das vielleicht vorstellen mag. Die Möglichkeit, keine Kinder mehr zu bekommen zu können, ist eher eine Befreiung für mich, denn eine Last.

Ben wirkt erleichtert - eine Sorge weniger. Er hält mich noch eine Weile in seinen Armen, mein Kopf an seine Schulter gelehnt.
Und ich hoffe, dass das Thema damit vom Tisch ist, dennoch spüre ich, dass in ihm Fragen rumoren, die er hoffentlich nicht weiter stellen wird.

IrgendwannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt