Kapitel 14

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Warme Arme schlingen sich um meine Taille und Ben legt seinen Kopf auf meine Schulter. »Ich dachte, du kommst zurück«, raunt er verschlafen in mein Ohr und haucht einen sanften Kuss auf die empfindliche Haut an meinem Hals. Sofort bekomme ich eine leichte Gänsehaut und werde rot. »Ohne Kaffee hätte ich nicht wiederkommen können«, schmunzle ich und genieße seine Umarmung.

»Können wir die Zeit anhalten?« nuschelt er in meine Haare und verstärkt seinen Griff um mich. Mein Herz stolpert. Weiß er, was er in mir lostritt, wenn er so etwas sagt?

»Wieso?« flüstere ich und lehne mich an seine Schulter. Er dreht mich zu sich. Seine vom Schlaf verwuschelten Haare stehen in alle Richtungen ab, und mit diesem verschlafenen Blick in seinen Augen wird mir viel zu weich in den Knien. Anstatt mir zu antworten, gibt er mir einen sanften Kuss auf die Nasenspitze und grinst mich mit seinem unergründlichen Lächeln an, bevor er mich loslässt und zwei Tassen von der Spüle nimmt, um sie mit Kaffee zu füllen.

Gefühle sind ein trügerischer See. Es fühlt sich so normal an, hier neben Ben zu stehen, als hätte es die letzten Jahre nicht gegeben. Und dennoch ist da diese Kluft zwischen uns. Das große Loch in unseren Leben, in denen wir keine Verbindung miteinander hatten und keiner etwas über die Entwicklung des anderen weiß.

Ich lasse mich müde auf den alten Holzstuhl fallen und nehme meinen Kaffee entgegen. »Ben, ich ... Es tut mir leid wegen gestern ...«, ich will ihm sagen, dass es nicht richtig war, ihn so mit meiner Vergangenheit zu überrumpeln, dass durch sein Auftauchen so viele Dinge in mir aufgewühlt wurden, die ich nicht bei ihm hätte abladen dürfen. Er beugt sich zu mir herunter und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

»Mir tut es nicht leid.« Er lehnt seine Stirn an meine, atmet ruhig, aber bestimmt, und fängt meinen Blick ein. Ich komme nicht umhin, mir zu wünschen, dass er mich wieder küsst. »Mir tut nur leid, dass ich nicht für dich da war, als du mich gebraucht hast.« Mit diesen Worten löst er sich von mir und lehnt sich an die Küchenzeile. Er starrt in die Kaffeetasse in seiner Hand und spannt seinen Kiefer an.

»Hast du ihn angezeigt?« fragt er unvermittelt, ganz ohne Umschweife. Kein Vorspiel, kein vorsichtiges Herantasten. Ich schüttele stumm den Kopf.
Ben nickt, aber ich sehe ihm an, dass ihm die Antwort nicht passt. »Du hast dieses miese Stück Dreck ungeschoren davonkommen lassen?« Er versucht sich zusammenzureißen und spricht mit Bedacht. Was soll ich dir sagen, Ben? Damals hatte ich zu viel Angst, und heute habe ich mich damit arrangiert. Ich fahre mit meinen Fingern über den Rand der Tasse und zucke resigniert mit den Schultern.

Die Frage wieso hängt laut im Raum zwischen uns und ich will ihm sagen, dass die Angst vor Owens Familie und alles, was ein Gerichtsprozess mit sich gebracht hätte, zu groß war. Dass ich dem nicht hätte standhalten können. Aber ich bekomme es nicht über die Lippen. Es ist Vergangenheit.

Ben nimmt einen Schluck von seinem Kaffee und seufzt. »Du kannst ihn immer noch anzeigen.« Mein Blick schnellt zu ihm hoch und mir stockt der Atem. »Ich will das nicht, Ben. Ich hab das hinter mir gelassen und fertig«, sage ich bestimmt und hoffe, damit das Thema zu beenden.
Er verdreht die Augen und schnauft. Schon damals war er nicht der Typ, der tatenlos bleiben konnte. Aber anscheinend gibt er sich erst einmal damit zufrieden.

Unsere Handys vibrieren und auf meinem Display erscheint eine Benachrichtigung. Entwarnung: Der Hurrikan Ophelia ist ohne massive Schäden zu hinterlassen an der Stadt vorbeigezogen. Die Bergungskräfte sind fleißig, die Straßen werden in den nächsten Stunden wieder befahrbar sein, und ab morgen früh sollte der Flugverkehr wieder möglich sein. Die Bevölkerung wird aufgerufen, sich gegenseitig zu helfen und noch vorsichtig zu sein, vor allem in der Nähe von Bäumen.

Ich seufze erleichtert. Die Prognosen waren heftig gewesen. Ben nickt mir kurz zu und nimmt sein Handy in die Hand, um zu telefonieren. Ich schaue ihm hinterher, als er die Küche verlässt. Mir wird schwer ums Herz. Der Ausflug in die Vergangenheit nähert sich einem Ende und ich weiß nicht, ob ich das möchte oder nicht. Am besten wäre es wahrscheinlich, Ben zu verabschieden, ohne einen Austausch von weiteren Kontaktmöglichkeiten. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich das nicht als eine Möglichkeit in Betracht ziehe – aber der größere Teil in mir wünscht sich mehr Zeit mit ihm.

Die gestrige Nacht hat mir gezeigt, wie sehr ich ihn auf vielen Ebenen vermisst habe – und das nicht nur freundschaftlich.

Ich versuche, nicht zu viel in den Sex, den wir hatten, zu interpretieren, auch wenn mein Herz mir klar macht, dass es nicht dazu gekommen wäre, wenn ich keine Gefühle mehr für Ben hätte.

Es ist, als hätte man vor Jahren das Rauchen aufgehört und plötzlich wieder eine Zigarette angezündet, weil der Moment es hergegeben hat. Sofort fühlt man wieder das Vertraute – den Geschmack, das Gefühl des Rauchs in der Lunge – Die Unbeschwertheit des Moments. Und obwohl man dachte, man wäre darüber hinweg, ist das Verlangen plötzlich wieder da, als hätte man nie aufgehört.

So ist es mit meinen Gefühlen zu Ben. Auch wenn ich dachte, ich sei drüber hinweg – dachte, sie seien über die Jahre verblasst. Aber ihn gestern am Taxistand gesehen und Zeit mit ihm verbracht zu haben, hat das alles in mir wieder zum Leben erweckt. Die Vertrautheit, die Sehnsucht, die Intensität der Emotionen, die ich geglaubt habe, hinter mir gelassen zu haben. Diese Gefühle sind nie einfach verschwunden, sie ruhten nur tief in meinem Inneren, bereit, jederzeit wieder aufzuflammen.

Aber dies ist kein Märchen und Ben und ich sind an unterschiedlichen Punkten unseres Lebens – waren es damals wahrscheinlich auch schon. Ich würde ihn gehen lassen.

Auch wenn die Vorstellung daran schmerzt.

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