T w e l v e

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Mit jedem weiteren Schritt den ich auf ihn zu mache, schlägt mein Herz schneller. 
'Mira! Denk an Jules, du hast ihm versprochen über eure Beziehung nachzudenken! Du darfst ihn nicht verraten.'
Ich will aber meinen Kopf in seine Halsbeuge legen und meine Hände in seinen Haaren vergraben.
'M. I. R. A. B. E. L. L. E.'
Mich trennt nur noch ein halber Meter von meinem Ziel.
'Jules, Jules, Jules, Jules, denk an JULES!'
Aprupt bremse ich ab. Lukes Mimik ändert sich für eine hundertstel Sekunden in Enttäuschung, dann sieht er mich wieder neutral an. Er dreht sich um und geht los. Ich folge ihm und versuche aufzuholen, aber seine Schritte sind zu schnell und zu groß.
"Luke, nicht so schnell", ich renne fast.
Diesmal bleibt er aprupt stehen und ich renne in seinen Rücken.
Ich bin noch dabei "Aua" zu sagen, da hat er sich schon umgedreht und mich in seine wirklich warmen und starken und kuscheligen und gemütlichen und...
'Halt den Mund.'
Selber.
Wo war ich stehen geblieben?
Egal, jedenfalls befinde ich mich gerade in seinen Armen und da ich jetzt schon mal da bin, tue ich auch das, was ich eben schon machen wollte. Abgesehen davon, dass ich meine Hände nicht wie geplant in seine Haare vergrabe, sondern um seinen Rücken schlinge.
'Lässt du ihn auch irgendwann noch mal los?'
Nee, eher nicht. Er ist so schön warm und gibt einen guten Windschutz ab.
'Schwache Ausreden.'
Ich hab keine Ahnung wie lange wir da so stehen, aber ich kann mir vorstellen, dass es ziemlich lange ist. Die ganze Zeit weht mir der Wind um die Ohren und Lukes unvergleichlicher Duft in die Nase. Irgendwann hebe ich meinen Kopf von Lukes Schulter und bringe etwas Abstand zwischen uns. Naja, soweit Abstand wie Luke zulässt, seine Hände sind weiterhin hinter meinem Rücken verschränkt.
"Mir ist kalt", bibbere ich.
"Wir gehen jetzt wohin, wo es warm ist okay?", flüstert er und zieht mich wieder an sich.
Ich nicke in seine Schulter und er lässt mich los.
"Mh...darf ich?", fragt er fast schüchtern und streckt seine Hand nach meiner aus.
Statt aber auf meine Antwort abzuwarten, nimmt er sie einfach und steckt sie mit seiner zusammen in seine Jackentasche. "Du hast kalte Hände", murmelt er.
"Ich sag ja, mir ist kalt. Ist es weit bis zu dem geheimnisvollen Ort an den wir gehen?", frage ich.
Wir durchqueren gerade einen kleinen Park und laufen Richtung Wald. Um ehrlich zu sein, habe ich immernoch überhaupt keine Ahnung wo ich bin.
"Zehn Minuten durch den Wald da", er drückt meine Hand fester.
"Du willst wirklich, dass ich erfriere oder?", ich jammere wie ein Kleinkind.
"Naja eigentlich will ich das am aller wenigsten. Du würde dir ja wieder meine Jacke anbieten, aber ich bezweifle, dass du sie annehmen würdest, hab ich Recht?", Luke schließt die letzten Zentimeter zwischen uns und ich versuche möglichst viel von seiner Wärme abzubekommen.
Danach reden wir kein Wort mehr miteinander, sondern laufen einfach eng aneinander geschmiegt durch den Wald. Wenn ich nicht wüsste, dass wir Mai haben, würde ich ohne zu zögern auf November tippen. Es fehlt nur noch ein kalter Nieselregen.
"Mist es fängt an zu regnen. Wir sind gleich da", grummelt Luke.
Der liebe Gott will mich ja wirklich verarschen. Tatsächlich bleibt Luke kurz darauf vor einer kleinen Abzweigung stehen, die ich eher auf "Trampelpfad" als "Weg" bezeichnen würde, aber Luke scheint überzeugt davon, genau hier abzubiegen. Er löst sich von mir.
'Freiwillig sogar. Vielleicht mag er dich nicht mehr?'
Nein man! Der Weg ist einfach zu schmal um nebeneinander zu gehen.
Nach einer weiteren Minute, stehen wir vor einer kleinen Hütte.
'Genau jetzt ist der Moment gekommen in dem er dich einsperren, foltern und vergewaltigen wird. Und denk dran, ich hab dir die ganze Zeit gesagt, dass er ein Psycho ist.'
"Ähm Luke? Was ist das?", frag ich zitterig.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen öffnet er die Tür. Ein Wärmeschwall kommt mir entgegen.
"Das ist die Überraschung. Komm rein, es wird dir gefallen. Außerdem ist es hier warm", lächelt er warm.
'Komm herein, hier ist es warm. Und ich hab Süßigkeiten, komm rein!'
Zögernd trete ich über die Türschwelle und sehe mich um. Rechts von mir hängen ein paar Jacken an einem Haken, links von mir ist ein Spiegel in der holzverkleideten Wand eingelassen. Ich betrachte mich kurz: meine Wangen sind gerötet, die Haare vom Wind zerzaust.
Luke tritt vor mich, öffnet mir die Jacke, zieht sie aus und hängt sie an den Haken.
'Das mit dem Jacke ausziehen ist erst der Anfang..."
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen um mehr von meiner Umgebung erfassen zu können, doch ich erkenne nur wie der Holzflur ein paar Meter weiter in einer geschlossenen Tür endet.
'Dahinter liegt sein dunkles Geheimnis, ich schwöre es dir...'
Meine Jacke befindet sich mittlerweile mit Lukes zusammen an einem der Haken und er nimmt mich am Arm um mich zu der geheimnisvollen Holztür zu ziehen.
Als er sie mit einem leisen Quietschen öffnet, schlägt mir der unverkennbare Geruch von Kakao in die Nase und alle meine dämlichen Sorgen sind verflogen.
'Ja okay, der Punkt geht an dich...'
Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen und ich schaue mich um.
Der Raum ist klein, wie der Flur komplett in Holz. Ein paar alte Tische stehen herum, darum mindesten genauso alte Stühle auf denen vereinzelt ein paar Personen sitzen. Die Wände sind ungeschmückt, bis auf die Fenster an denen bunte Gardinen hängen.
"Was ist das hier Luke? ", frage ich staunend.
"Erzähle ich dir gleich, komm wir setzen uns", damit zieht er mich zu einem der Tische, direkt am Fenster.
Das Licht ist gedämmt und lässt diesen Raum unglaublich gemütlich wirken, wie ein Zwergenhaus bei Schneewittchen.
'Schneewittchen wurde mit einem Apfel vergiftet'
Luke sitzt mir gegenüber und lächelt.
"Gefällt's dir?", fragt er.
Ich nicke und gleichzeitig kommt ein junger Kellner an den Tisch.
"Hallo, was darf ich euch bringen, oh hey Luke, dich hab' ich ja schon lange nicht mehr hier gesehen, schon fast...", er denkt kurz nach," vier Tage."
Luke grinst nur und deutet mit dem kleinen Finger auf mich.
Ich hebe die Augenbrauen und Luke bestellt sich einen Kräutertee und einen Apfelkuchen, worauf ich mich ganz allein auf den köstlich, verlockenden Geruch des Kakaos fixiere und diesen letztendlich auch bestelle.
"Du scheinst ja bekannt zu sein", sage ich mit leicht zusammengekniffenen Augen.
Er sieht mich an.
"Hör auf mich anzugucken."
"Das hast du irgendwie schon öfters mal gesagt."
"Was vielleicht daran liegt, dass es deine Gewohnheit ist mich anzustarren?"
Er sagt nichts mehr und schaut gedankenverloren aus dem Fenster. Wenige Minuten später hebe ich die heiße Tasse mit meinem köstlichen Kakao an den Mund.
'Wie oft willst du noch sagen, dass er köstlich ist...'
Ein kleines Seufzen entfährt mir als die wunderbare Wärme meine Kehle runterläuft.
"Gut?", lacht Luke und ich nicke begeistert.
Langsam werde ich warm, zuerst meine Hände, die sich um die Tasse schlingen, dann mein Bauch und letztendlich breitet sich das wohlige Gefühl bis in meine Zehen aus. Ich vergesse fast, dass Luke mir noch einige Sachen zu erklären hat, aber auch nur fast.
"So und jetzt hast du mir noch einige Sachen zu erklären, mein Lieber", grinse ich.
Luke stöhnt, setzt sich aber aufrechter hin und lässt ein "schieß los" verlauten. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen.
"Okay. Erstens: woher kennt der Kellner dich so gut? Zweitens: was ist das für ein Café hier? Drittens: wieso meinte er, dass er dich schon länger nicht mehr gesehen hat? Viertens: warum zeigst du mir das? Fünftens: was..."
"STOPP!", unterbricht er mich,"stopp, stopp. Langsam... Erstens: du siehst ja wie ich bei euch im Café oft vor meinem Laptop sitze und in meine Arbeit vertieft bin und bevor ich das bei euch gemacht habe, war ich halt hier, also fast jeden Tag. Ich habe das Café vor einiger Zeit mal bei einem Spaziergang entdeckt und es hat mir gut gefallen, es ist nicht so viel los hier, man hat seine Ruhe. Drittens erklärt sich damit ja von selber, schließlich war ich die letzten Tage immer im Cloverleaf, da fällt auf, wenn ich nicht mehr hier bin. Viertens...keine Ahnung, ich dachte mir, dass dir das gut gefallen würde", während er spricht sieht er mich eindringlich aus seinen schwarzen Augen an.
"Und wie kam es dazu, dass du gewechselt hast?", frage ich.
Er grinst und greift über den Tisch nach meiner Hand.
"Warum wohl, hm?"
Ich bedenke ihn mit einem 'nicht-dein-ernst-Blick' und fahre mit meiner Fragerei fort.
"Hmm, okay. Was genau machst du an deinem Laptop immer? Wieso bist du so vertieft darin? Wie kamst du überhaupt auf die Idee im Bus meine Hand zu nehmen?", die letzte Frage hab ich mir schon um die eine Million Mal gestellt, aber ihm noch nie.
"Blöde Fragen", murrt er und schlürft an seinem Tee.
"Luke!"
"Jaja...", er seufzt, "ich...ich arbeite an einem Projekt."
"An einem Projekt?"
"Ja...ich schreibe etwas...mehr sag ich dazu nicht, das ist mein Geheimnis."
Ich lehne mich zurück und warte auf weiteres.
"Ich sagte, dass ich dazu nicht mehr sage."
"Die andere Frage..."
"Achso...ja...das mit dem Bus...du bist halt toll?", er lächelt schief.
"Zählt nicht."
"Das ist eine sehr lange Geschichte...", murmelt er.
"Ich hab alle Zeit der Welt", stichele ich.
"Nö, jetzt bin ich dran. Ähm...du hast keinen Freund, richtig?"
Ich nicke.
"Wer war dann dieser Junge der mich von dir weggestoßen hat?"
"Du meinst den, den du zusammengeschlagen hast als er mir mein Frühstück gekauft hat?"
Er zuckt zusammen.
"Ich wusste nicht, dass er..."
"Es ist mir egal ob du das wusstest oder nicht, das war das aller bescheuertste was du jemals getan hast."
Er senkt den Blick, wenigstens schämt er sich etwas.
"Tut mit l..."
"Entschuldige dich nicht bei mir sondern bei Jules."
"Heißt er so? Jules? Woher kennst du den? Oder in welcher Beziehung stehst du zu ihm?"
"Ja er heißt Jules und in welcher Beziehung ich zu ihm stehe geht dich relativ wenig an."
"Jetzt habe ich dir die Laune verdorben", stellt er bedrückt fest.
"Ja", ist das letzte was ich sage, danach starre ich aus dem Fenster.
Luke seufzt und schlürft weiter an seinem Tee.
"Bist du eigentlich immer so schnell eingeschnappt?", fragt er unverhohlen.
"WAS?!", mit aufgerissenen Augen schaue ich ihn an.
"Anscheinend bist du es nicht gewohnt, dass man dir offen die Wahrheit sagt."
"Oh...anscheinend bist du es nicht gewohnt mit Mädchen auszugehen. Und nein ich bin nicht schnell eigeschnappt, aber das ist ein äußerst gefährliches Thema bei mir, also halt dich zurück Luke!", fauche ich, schiebe laut den Stuhl zurück und verlasse ohne ein weiteres Wort den Raum. Ich schnappe mir meine Jacke und stürme nach draußen...in den Regen, aber das ist mir jetzt egal.
Ich falle in einen leichten Laufschrift und renne Richtung U-Bahn-Station. Jedenfalls vermute ich, dass ich in die richtige Richtung laufe.
Ich laufe und laufe, lasse meine Wut auf Luke mit jedem Schritt raus. Irgendwann bin ich bis auf die Knochen durchnässt und kann meine Fingerspitzen nicht mehr spüren, aber diese blöde U-Bahn-Station ist nirgends zu sehen. Ich sehe mich um und erkenne rein überhaupt nichts wieder. Ich habe mich verlaufen. Verdammte scheiße, ich hätte niemals mit Luke mitgehen sollen.
'Hab ich's dir nicht gesagt?'
In leichter Panik drehe ich mich um mich selbst. Es ist wirklich alles gottverlassen hier. Ich weiß noch nicht einmal aus welcher Richtung ich überhaupt gekommen bin, es sieht überall gleich aus in diesem blöden Wald. Zu all meinem Unglück merke ich, dass ich auch noch meine Tasche vergessen habe in der sich mein Handy befindet.
Ich zittere am ganzen Körper und hab keine Ahnung was ich jetzt tun soll. Schon wieder beginnen mir die Tränen in die Augen zu treten und als dann noch ein heller Blitz den Himmel zerreißt, ist es mit meiner Selbstbeherrschung endgültig vorbei.
Weinend lasse ich mich auf den Boden fallen und verstecke den Kopf zwischen meinen Knien.
"Bitte, kann mich jetzt jemand retten?", wimmere ich.
'Niemand kann dich hören meine Liebe, du bist mutterseelenallein.'

                                                                                      *

Hallo hallo, was ist da nur los...Mira du doofe...

Wie auch immer, ich will noch einmal auf Ithuriel2000 's Geschichte verweisen, die wirklich wundervoll ist und meiner Meinung nach noch viel zu wenig Reads hat...

Wir sehen uns und wie jedes Mal freue ich mich sehr wenn ihr kommentiert :)

~M





Love The Easy WayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt