7 Herz und Verstand

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Damals, Patrick

«Reichst du mir die Nägel da drüben?»
Ich griff nach dem dünnen Stahl und drückte die Nägel meinem Vater in die Finger.
«Danke, Patrick», sagte er.
Er klemmte die Nägel zwischen seine Lippen und hob das Huf des Pferdes in die Höhe. Ich reichte ihm den Hammer, woraufhin er mir zunickte, die Augen zu einem Lächeln verkniffen.
«Wie viele Pferde muss er denn noch machen?», fragte Little John über den Lärm hinweg.

Mein Freund steckte einen langen Strohhalm zwischen seine Zähne und lehnte gegen eine Boxentür.
Ich liess meinen Blick über die vielen Pferde gleiten und zuckte mit den Schultern.
In diesem Moment öffnete sich die Stalltüre, das Klappern von Hufen erklang. Ein Schimmel schritt durch den Stallgang, vorneweg eine kleine Gestalt. Als ich Marians roten Haare erkannte, erhellte sich meine Miene.

«Dürfen wir mit Marian spielen gehen?», wandte ich mich an meinen Vater.
Dieser liess langsam den Hammer sinken und warf dem Mädchen zwischen den Pferdebeinen hindurch einen prüfenden Blick zu.
«Na gut», antwortete er schliesslich. «Aber keinen Unfug, Jungs!»
«Nein, wir doch nicht!», erwiderte ich schnell.
Little John grinste von einem Ohr zum andern, wobei der Strohhalm fröhlich durch die Luft hüpfte.
«Ja, ja.» Mein Vater schmunzelte. «Ab mit euch!»

Ich steckte die Hände in die Hosentaschen und trat durch den Stallgang auf den grossen Schimmel zu.
«Lady Marian», grüsste ich sie spöttisch.
Das Mädchen wirbelte herum, ihre Augen begannen zu leuchten. «Pat!»
Ich unterdrückte ein Grinsen. «Hast du mich vermisst?»
Sie lachte auf und boxte mich in die Schulter.
«Ist das dein Pferd?», fragte ich, während ich den Wallach musterte.

Goldverzierungen schmückten das Leder um seinen Kopf und die helle Mähne fiel über seine dunklen Augen.
«Mhm, ja», antwortete Marian. «Ich habe drei Pferde.»
«Drei?», wiederholte Little John perplex, der sicherheitshalber einen Meter vor dem Pferd stehen blieb.
Seine roten Brauen wanderten in die Höhe.
Marian zuckte mit den Schultern und strich über den mächtigen Hals des Pferdes. Vorsichtig streckte ich die Hand aus, der Schimmel stupste mit seinen Nüstern gegen meine Knöchel.

«Willst du auf ihm reiten?», fragte Marian.
«Ich?», wiederholte ich entgeistert und starrte hinab in ihre grossen Augen, die im düsteren Licht grünlich schimmerten. «Ich bin noch nie auf einem Pferd geritten.»
Sie lächelte mich an, ihre kleinen Hände schlossen sich fester um die Zügel. «Ich kann dir zeigen, wie es geht.»
«Ich weiss nicht.» Ratlos zuckte ich mit den Schultern.
«Nun mach schon!», sagte Little John fordernd. «Sei keine Memme!»

«Du traust dich ja nicht!», fuhr ich ihn an, doch seine Worte nagten an mir.
«Na gut», gab ich nach, woraufhin Marian zu strahlen begann.
Draussen auf der Wiese verliess mich dann aber der Mut. «Und wie soll ich da hochkommen?»
Zweifelnd runzelte ich die Stirn und musterte das Riesenvieh, das den Kopf senkte und zu grasen begann.
«Dafür gibt es doch die Steigbügel», sagte Marian und rollte mit den Augen. «Komm jetzt.»

Ungelenk angelte ich mit dem Fuss nach dem Steigbügel, während ich mich oben am Sattel festklammerte. «Du hältst das Ding aber, ja?»
«Natürlich», antwortete Marian und griff hastig nach den Zügeln.
Little John gab mir einen Klapps auf den Hintern. «Und hopp!»
Ich streckte ihm die Zunge heraus und zog mich schwungvoll in die Höhe. Das Pferd warf den Kopf in die Luft.

«Whoaa!» Panisch griff ich in die dichte Mähne des Pferdes, die langen Haare schnitten in meine Finger.
«Ruhig!», rief Marian, doch der Schimmel setzte sich in Bewegung, rannte das Mädchen beinahe über den Haufen und machte einen grossen Satz.
In hohem Bogen wurde ich durch die Luft geschleudert und landete mit dem Hintern voran auf der Wiese. Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Rücken, für einen kurzen Moment blieb mir die Luft weg.

«Patrick!», kreischte Marian entsetzt auf und Little John stürzte auf mich zu.
Mit einem Stöhnen liess ich mich ins feuchte Gras sinken. Marian fiel vor mir auf die Knie, die Augen entsetzt geweitet und zog das Mistvieh am Zügel hinter sich her.
Ich kniff die Augen zusammen und warf dem Pferd einen feindseligen Blick zu, doch der Wallach schnaubte bloss und widmete sich erneut dem Gras.
«Wir sollten ihn besser in den Stall bringen», sagte Marian mit leiser Stimme, als ich mich ächzend erhob.

«Oh nein.» Fest biss ich die Zähne zusammen. «Jetzt will ich ihn erst recht reiten!»
Vielleicht täuschte ich mich, doch der Wallach hörte auf zu fressen und musterte mich aus dem Augenwinkel. Ich gab ein tiefes Knurren von mir, die Zähne entblösst.
Das Pferd hob den Kopf und weitete die Nüstern.
«Bist du sicher?», warf Little John mit gerunzelter Stirn ein.
«Absolut.» Ich stakste auf das Pferd zu und griff nach dem Steigbügel.

Marian streichelte beruhigend den Hals des Viehs, während sie mich aufmerksam musterte. «Du solltest dich entspannen, Pat, sonst machst du ihm Angst.»
«Ach, ich mache ihm Angst, ja?», bemerkte ich sarkastisch, als das Pferd die Ohren anlegte.
«Mhm, ja.» Marian nickte ernst. «Pferde sind Fluchttiere, weisst du?»
Sie sah zu mir auf, sodass ich direkt in ihre funkelnden Augen blicken konnte. «Man muss sie mit reinem Herzen reiten. Und mit Verstand.»

Ein Lächeln verzog ihre Lippen und erhellte ihre Miene. Ich schloss für einen kurzen Moment die Lider, tief sog ich die Luft in meine Lungen.
Meine Finger strichen über das warme Fell des Wallachs. «Dann machen wir das jetzt mit Verstand, in Ordnung?»
«Und mit Herz», fügte Marian lachend hinzu.

Marian und ein Dieb namens RobinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt