20 Schuld

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Damals, Patrick

Unsere Schuhe hinterliessen schmale Abdrücke im Staub.
Meine Finger schlossen sich um die verwelkten Blumen.
Das Schweigen nahm mir den Atem, wie eine dunkle Wolke begleitete es unseren Weg. Bei dem Erdhügel angekommen blieben wir stehen.
Auf dem Grab von Marians Mutter wuchsen Rosen, wunderschön und in allen möglichen Rottönen.
Ich bemerkte, dass Marian weinte und drehte hastig den Kopf weg.

Das Mädchen kniete nieder, sie legte den Strauss Blumen vor den Grabstein.
Dabei fielen die roten Haare über ihre Schulter nach vorn und verfingen sich in den Rosenblüten.
Marian wischte mit dem Handrücken über ihre Nase, ein leises Schniefen erklang.
Sie weinen zu sehen erzeugte einen schier unaushaltbaren Schmerz in meiner Brust.
Ich streckte die Hand aus, um ihren Rücken zu streicheln, so wie es mein Vater tat, wenn ich traurig war.

Doch in diesem Moment erhob sie sich und meine Hand zuckte zurück.
«Ich dachte, dass ich sie irgendwann weniger vermissen werde», brachte sie mit brüchiger Stimme hervor.
Ich schüttelte den Kopf. «Das wird nie so sein.»
Marians Tränen glitzerten im grellen Sonnenlicht.
Mit einem letzten Blick auf den Blumenstrauss setzte sie sich in Bewegung.

Leichte Übelkeit ergriff mich, als wir den hinteren Teil des Friedhofs erreichten. Schon von Weitem konnte ich das mit Vergissmeinnicht überwachsene Grab erkennen.
Ohne Marian anzusehen, platzierte ich den Strauss in der Mitte des Hügels.
Die Blumen aus dem königlichen Garten legten sich schwer auf den blauen Teppich des Vergissmeinnichts.
Die dunkle Leere ergriff mich.
«Lass uns gehen.» Meine Stimme klang heiser.

Mit gesenkten Köpfen schlenderten wir zurück Richtung Ausgang.
«Danke, dass du mitgekommen bist», flüsterte Marian, als wir die Pflastersteine von Nottinghams Strassen erreichten.
Ich zuckte mit den Schultern, die Augen zum Schutz gegen die Sonne zu schmalen Schlitzen verkniffen.
«Weshalb ist deine Mutter eigentlich gestorben?», fragte ich nach einer Weile.
Ein tiefer Seufzer hob Marians Brustkorb. «Sie war schon eine ganze Weile krank und ist immer schwächer geworden.
Und deine?»

Ich schwieg.
Ihre Frage dröhnte laut in meinem Kopf. Schliesslich gab ich mir einen Ruck, Marian hatte es mir auch erzählt.
«Sie ist nach meiner Geburt gestorben.» Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, als ob sich dadurch die Bedeutung meiner Worte verändern würde. «Weil ich lebe, musste sie sterben.»
Marian sah mich aufmerksam an.
«Du denkst, dass das deine Schuld ist», stellte sie leise fest.

Ich spürte den bekannten Kloss in meinem Hals, meine Augen begannen zu brennen.
Damit sie es nicht sehen konnte, musterte ich den nahen Kirchturm.
«Du kannst nichts dafür, Pat», sagte sie.
Ihre sanfte Stimme war im Kampf gegen die Tränen alles Andere als hilfreich.
Ich überlegte gerade, ob ich einen offenen Schnürsenkel vortäuschen sollte, damit ich mein Gesicht hinter den Haaren verstecken konnte, da schlang Marian ihre Arme um mich und drückte mich. Meine Hände schlossen sich reflexartig um ihre Taille.

Tränen brachen hervor, heiss liefen sie über meine Wangen.
Ein unterdrückter Schluchzer entwich meiner Kehle.
«Nachdem meine Mutter gestorben war, hat mein Vater gesagt, dass das Leben grausam sei», flüsterte Marian in mein Ohr.
An ihrer Stimme konnte ich hören, dass sie ebenfalls weinte. «Es unsere Liebsten manchmal viel zu früh von uns nimmt. Aber ich nie vergessen soll, dass meine Mutter mich über alles liebt. Und das tut deine auch.»

«Deine Mutter ist an einer Krankheit gestorben», schluchzte ich. «Meine ist wegen mir gestorben. Ich habe sie getötet!»
Marian hob den Kopf, sie sah mir in die Augen.
Ich schämte mich für meine Tränen, doch ich hatte keine Möglichkeit mehr mein verheultes Gesicht zu verstecken.
Dafür war es nun zu spät.
«Du warst gerade erst geboren!», entgegnete sie mit brüchiger Stimme. «Wie hättest du deine Mutter töten sollen? Das Leben hat sie getötet, nicht du!»

Marian und ein Dieb namens RobinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt