Nachdem meine Füsse so sehr schmerzten, dass ich kaum noch gehen, geschweige denn tanzen konnte, liess ich mich neben Catherine auf einem Stuhl nieder.
Elisabeth genoss die Aufmerksamkeit dreier Lords gleichzeitig, sie lachte keck, eine leichte Röte auf ihren Wangen.
«Wie macht sie das bloss.» Ein tiefer Seufzer hob Catherines Brust. «Ich bin dankbar, habe ich eine arrangierte Verlobung auf die Reihe gekriegt.»Ich legte eine Hand auf ihre Schulter. «Ach, von mir aus kann sie allesamt haben. Ich verzichte freiwillig.»
Catherine kicherte, sie streckte die Füsse aus und warf mir einen schelmischen Blick zu. «Auf jeden? Auch auf den da?»
Sie nickte in die Richtung des Buffets, wo ich Lord Fitzwalters hohe Gestalt ausmachen konnte.
«Pfff!», machte ich ausweichend.
Catherine lachte glucksend. «Das dachte ich mir! Ich habe euch tanzen sehen.»«Er ist verheiratet», wehrte ich hastig ab. «Seine Frau erwartet ein Kind. Und überhaupt», fügte ich hinzu. «Ich bin mit dem Sheriff von Nottingham verlobt.»
«Ja, ja», machte Catherine mit wissender Miene. «Träumen darf man ja wohl.»
Wenn ich träumen durfte, dann von einem ganz anderen Mann.
Einem Mann, der im Wald hauste und ganz bestimmt nicht an einem solchen Fest teilnahm.
Doch diesen Gedanken behielt ich lieber für mich.Ich zuckte mit den Schultern. «Und ausserdem ist Matilda Fitzwalter so wunderschön, er wäre ein Narr sie aufzugeben.»
Catherine warf mir einen kurzen Blick zu. «So schön wie du?»
«Viel schöner!», rief ich theatralisch aus, woraufhin meine Freundin in leises Gelächter ausbrach.
Mein Blick wanderte weiter zu der zierlichen Gestalt, die sich so weit über das Buffet beugte, wie es ihr Bauch zuliess.Lady Fitzwalter stopfte ziemlich unladyhaft Essen in sich hinein und ignorierte mit verträumtem Blick jegliche Annäherungssversuche eines Lords mit schütterem, grauem Haar.
Robert Fitzwalter trat neben seine Frau, mit seiner blossen Anwesenheit verscheuchte er jegliche Charmeure.
Er beugte sich zu Matilda hinunter und flüsterte ihr etwas zu, woraufhin sie zu kichern begann.
Hastig hob sie die Hand vor den Mund.Mit einem Seufzer sah ich hinüber zu meinem Verlobten, der sich angeregt mit meinem Onkel unterhielt. Wahrscheinlich besprachen sie gerade, wie sie am besten mein Temperament zügeln konnten.
In diesem Moment beendeten sie ihr Gespräch, der Sheriff setzte sich in Bewegung und steuerte direkt auf mich zu. Ertappt wandte ich den Blick ab.«Marian», raunte er mit seiner schnarrenden Stimme. «Einige der Gäste wurden bestohlen.»
«Was?», entfuhr es mir.
Ich schoss von meinem Stuhl hoch und erwiderte den Blick seiner blauen Augen.
Der Sheriff nickte, die Stirn in besorgte Falten gelegt. «Sie berichten, dass Schmuck fehlt, Gold.»
Instinktiv griff ich an meinen Ausschnitt.
«Meine Smaragdbrosche!», japste ich entsetzt. «Sie fehlt.»Die Brauen des Sheriffs zogen sich verärgert zusammen.
«Was ist los?», fragte Catherine mit grossen Augen.
Aufmerksam musterte ich ihr Antlitz. «Hast du nicht Ohrringe getragen?»
Sie tastete nach ihren Ohrläppchen, wobei ihre Augen nur noch grösser wurden. «Doch! Mit Perlen!»
«Das darf doch wohl nicht wahr sein!», murrte der Sheriff. «Selbst vor der Burg macht dieses Pack nicht mehr Halt!»Allmählich brach Tumult unter den Gästen aus. Immer mehr Adelsleute bemerkten den Diebstahl an ihren Kostbarkeiten.
Gruppenweise strömten sie aus dem Saal, sie bevorzugten es das Fest zu verlassen.
«Wie aufregend!», quietschte Elisabeth, woraufhin Catherine ihr einen empörten Blick zuwarf.
«Diese Ohrringe hat mir mein Verlobter geschenkt», zischelte sie.
«Das tut mir leid», sagte ich, während ich den Gästen hinaus ins Freie folgte.Die kühle Nachtluft liess mich frösteln, der leichte Wind brachte den erdigen Geruch des Waldes hinüber in die Stadt.
«Da!», wisperte auf einmal Lady Fitzwalter.
Ihre Stimme, obwohl leise, liess den Tumult verstummen.
Mit blassem Gesicht streckte sie die Hand aus und deutete auf das grosse Tor.
Im vergilbten Holz steckten zwei Pfeile, der zweite hatte den ersten Pfeil gespalten.Mein Herzschlag beschleunigte sich.
Einen Raunen lief durch die Menge.
«Robin Hood!», flüsterten sie.
Mein Onkel wuselte mit hochrotem Kopf zwischen den Gästen hindurch und versicherte, dass die Familie Lionsheart für den Schaden aufkommen würde.
Vor Robert Fitzwalter blieb er stehen. Selbst im schwachen Schein der Laternen konnte ich die Ader an Onkel Johns Stirn pochen sehen.«Vielen Dank für das Angebot über Nacht zu bleiben, doch beim Eingang von Nottingham wartet unsere Leibgarde», konnte ich Lord Fitzwalters Stimme über das Geschnatter der Menge ausmachen.
Er legte schützend den Arm um die Schultern seiner Frau, während sie mit beiden Händen ihren runden Bauch streichelte.
Der Lord wirkte nicht verärgert, doch beunruhigt.
Mein Onkel verbeugte sich und entschuldigte sich zum dritten Mal bei den Fitzwalters, dann hastete er weiter.Nachdenklich sah ich zu, wie Lord Fitzwalter Matilda auf ein Pferd half, führsorglich richtete er ihr Kleid, während sie den mächtigen Hals des Schimmels streichelte.
Dass sie in ihrem Zustand nicht mit der Kutsche gekommen waren, verwunderte mich. Doch vielleicht wirkten sie zu Pferd weniger attraktiv für die Diebe. Erstaunlich agil wendete Matilda ihr Pferd und ritt den laternengesäumten Weg entlang.
Ihr Mann zog sich auf den Rücken eines Rappen, der in der Dunkelheit nur als schemenhafte Gestalt auszumachen war, und folgte ihr die Strasse hinab nach Nottingham.«Lasst uns reingehen», schlug Catherine vor, den Blick auf den gespaltenen Pfeil gerichtet.
Dunkle Wolken trieben über den Nachthimmel und verdeckten die schmale Sichel des Mondes.
Die Wipfel des Sherwood Forests liessen sich bloss als Schatten erahnen.
Während meine Freundinnen die Ballkleider der anderen Gäste analysierten, blickte ich gelangweilt hinab auf die erleuchteten Fenster der Stadt.«Aber jetzt sag mal, wie läuft es so mit deinem Verlobten?», wechselte Elisabeth das Thema.
Catherine, die vor dem Spiegel sass und ihr Gesicht von der Schminke befreite, hob kichernd die Hand vor den Mund. «Gut, wir verstehen uns gut.»
Sie drehte sich auf dem Stuhl um, darauf bedacht möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. «Wir haben es getan!»«Was?», rief Elisabeth schrill aus. «Catherine, du Luder!»
Catherine lachte schrill. «Oh Gott, ich habe es nicht mehr ausgehalten! Und er wollte es auch unbedingt.»
«Also magst du ihn?», fragte ich, ohne den Blick von den hellen Lichter zu lösen.
«Mhm», sie nickte, «sehr sogar.»
«Das ist schön», murmelte ich leise.
«Ach, du wirst dich bestimmt auch noch in deinen Verlobten verlieben», sagte sie mit einem Lächeln.«Ja, schliesslich ist er ein Mann mit Ansehen», pflichtete Elisabeth ihr bei. «Und wohlhabend!»
Meine Stirn runzelte sich. «Bestimmt.»
Ich drehte mich zu ihnen um und lehnte mit dem Rücken gegen die kühle Fensterscheibe. «Warum kann man sich nicht zuerst verlieben und dann heiraten?»Catherine und Elisabeth warfen sich einen belustigten Blick zu.
«Pff», machte Elisabeth, ein freches Glitzern in den Augen. «Und wenn ich mich in einen armen Mann verlieben würde?»
Catherine unterdrückte ein hohes Kichern. «Stell dir vor, wir würden uns als Ladies in einen Koch verlieben.»
Elisabeth lachte gackernd auf. «Oder in einen Schmied!»Heiss loderte die Wut in meinem Körper hoch, das Blut rauschte laut in meinen Ohren. «Was wäre so falsch daran?»
«Ts, Marian.» Elisabeth schüttelte amüsiert den Kopf. «Du möchtest doch nicht wirklich einen körperlich arbeitenden Mann. Das ist niedere Klasse.»
«Ja.» Catherine nickte eifrig. «Wofür hast du denn die Klosterschule besucht? Dann kannst du all deine Manieren wieder vergessen!»
Meine beiden Freundinnen brachen in prustendes Gelächter aus.«Ich kenne einen sehr netten Schmied!», zischelte ich. «Und sein Sohn...»
Ich verstummte und presste fest meine Lippen zusammen.
«Was ist mit seinem Sohn?», hakte Elisabeth neckisch nach. «Erzähl, Marian!»
Catherine kriegte sich kaum mehr ein vor Kichern. «Versetzt er dein Blut in Wallungen?»Ich verschränkte die Arme vor der Brust und liess den Blick erneut aus dem Fenster gleiten.
«Dafür braucht es schon einen Dieb.» Mit Genugtuung beobachtete ich in der Spiegelung des Glases, wie sie fassungslos ihre Münder verzogen.
DU LIEST GERADE
Marian und ein Dieb namens Robin
عاطفيةLady Marian kehrt nach Jahren in die Stadt Nottingham zurück. Vieles hat sich in der Zwischenzeit verändert. Ihre Kindheitsfreunde gibt es nicht mehr, dafür treibt ein Dieb in den umliegenden Wäldern sein Unwesen. Doch Robin Hood hat es nicht nur au...