«Onkel John?» Ich hob die Hand und klopfte erneut gegen das Holz. «Das Abendessen steht bereit.»
Die Tür schwang auf, woraufhin ich hastig einen Schritt zurück sprang.
Eine Magd huschte aus dem Zimmer, die Haare zerzaust und die Wangen gerötet. Mit gerunzelter Stirn sah ich der jungen Frau hinterher, bis sie um die Ecke bog und aus meinem Blickfeld verschwand.«Marian, Marian.» Mein Onkel trat aus dem Raum, mit einer Hand fuhr er durch sein dunkles Haar. «Ich komme ja schon.»
Verwundert musterte ich sein Jackett, an dem die oberen Knöpfe noch offen standen. Mein Onkel bemerkte meinen Blick und schloss in aller Ruhe seine Kleidung.
«Das Abendessen wartet», bemerkte er mit seiner tiefen Stimme.
Mein Onkel setzte sich in Bewegung und ich folgte seiner grossen Gestalt.
Kurz bevor wir den Speisesaal erreichten, hielt ich ihn am Arm zurück.«Pat ist gestorben», sagte ich, doch meine Stimme klang so leise, dass ich sie selbst kaum verstehen konnte.
Onkel Johns Brauen wanderten in die Höhe und ich schluckte schwer.
«Er ist gestorben, du hättest mir eine Nachricht schicken sollen», doppelte ich nach.
Er schüttelte den Kopf, die Stirn gerunzelt. «Wer?»
«Patrick Blacksmith!», rief ich aus. «Der Sohn des Schmieds!»«Der Schmied hat einen Sohn?», fragte John, offensichtlich verwirrt.
«Er hatte einen Sohn!», schrie ich nun mit schriller Stimme. «Hatte!»
Mein Onkel zog verärgert die Brauen zusammen. «Marian! Hüte deine Zunge!»
«Ich soll meine Zunge hüten?», wiederholte ich, Wut loderte in meinem Magen hoch und meine Augen brannten. «Er war mein Freund!»
Meine Stimme brach, vehement kämpfte ich gegen die Tränen an.
«Ach, dein Freund.» John legte einen Arm um meine Schultern, er drückte mich halbherzig an sich. «Das ist doch Jahre her.»Ich wand mich aus seiner Umarmung und starrte hinauf in sein Gesicht.
«Es war doch sowieso besser, dass du dich nicht mehr mit den Jungen aus dem Volk abgegeben hast», fuhr er ungehindert fort. «Das schickt sich für eine Frau aus deiner Gesellschaftsschicht nicht.»
«Das Volk unserer Stadt liegt mir nun mal am Herzen, genauso wie es meinem Vater am Herzen lag!», erwiderte ich hitzig.«Mhm, etwas zu sehr am Herzen», murmelte mein Onkel, wobei er mir einen kühlen Blick zuwarf.
«Das kann man von dir ja nicht behaupten!», spie ich aus.
Ein gefährliches Glitzern trat in seine dunklen Augen. «Was möchtest du damit sagen?»
«Du hast den Bewohnern von Nottingham abgeknöpft, was du konntest, nicht wahr?», fuhr ich ihn an. «Sie leben in Armut, während du hier in der Burg immer mehr Reichtum anhäufst!»
«Das ist auch dein Reichtum, Marian!», erwiderte er heftig.«Aber ich habe ihn nicht meinem Volk abgenommen!» Schwer atmend starrte ich meinen Onkel an. «Sei dir eins Gewiss, Onkel, wenn ich Herzogin von Nottingham bin, werde ich nicht deine Marionette sein! Dann wird sich einiges ändern!»
Er verzog wütend sein Gesicht, sodass tiefe Furchen seine Haut durchzogen.
«Pass auf, Marian», erwiderte er drohend, die buschigen Brauen zusammen gezogen. «Überschätze nicht deine Macht! Du wirst an der Seite des Sheriffs stehen und glaube mir, er kennt seinen Platz!»
Wutentbrannt starrte ich in sein Gesicht.«Er weiss, wem er sein Ansehen zu verdanken hat», fuhr er fort. «Das solltest du auch.»
«Ich verdanke es meinem Vater!», schrie ich, die Wut pochte rhythmisch in meinem Kopf. «Dem rechtmässigen Herzog von Nottingham! Du bist nur Herzog, bis ich verheiratet bin!»
«Ja», entgegnete er lauernd. «Aber vergiss nicht, du bist eine Frau.»
Er reckte die Schultern und warf mir einen kurzen Blick zu. «Tragisch, dass ich dich ständig daran erinnern muss.»Fassungslos starrte ich auf seinen breiten Rücken, als er mich stehen liess und sich an die lange Tafel setzte.
«Marian, das Abendessen steht bereit», sagte er, als ob nichts geschehen wäre.
Ich brachte kaum einen Bissen hinunter, die Wut schnürte meine Kehle zu.
Kaum hatte ich das Essen heruntergewürgt und mich förmlich von meinem Onkel verabschiedet, stürmte ich aus der Burg.Noch im Gehen zwängte ich mich in meinen Mantel. Robin Hood nahm von den Reichen und verteilte es an die Armen. Dann sollte er etwas zum Verteilen bekommen.
Die Dämmerung kündigte sich mit den letzten goldenen Strahlen der untergehenden Sonne an, während ich auf die hohen Türme unserer Kirche zusteuerte.
Wenn Jemand wusste, wie ich Robin Hood treffen konnte, dann er.«Marian!», rief Pater Tuck erfreut aus.
Er fasste mich an den Händen und zog mich durch den Kirchgang hinüber zum Altar. «Lass dich drücken!»
Lachend liess ich mich von dem kleinen Mann in die Arme schliessen, sein rundlicher Bauch sorgte für einen kleinen Abstand zwischen uns.
«Sieh dich an, so wunderschön bist du geworden!» Pater Tuck schob mich eine Armlänge von sich fort und ich drehte mich kichernd hin und her.
Sein Haar war etwas schütterer als früher, ansonsten sah er noch gleich aus wie damals, als ich Nottingham verliess. Das braune Gewand spannte sich um seine Mitte.Pater Tuck schüttelte leicht den Kopf. «Wie alt bist du jetzt?»
Mit einem strahlenden Lächeln sah ich in sein mondförmiges Gesicht. «Zwanzig.»
«Wie die Zeit vergeht!» Der Geistliche schlug die Hände in der Luft zusammen. «Ich weiss noch, wie du in der Sonntagsmesse deiner Mutter am Rockzipfel hingst.» Er lachte auf. «Und später, wie ihr ständig die Birnen aus meinem Garten geklaut habt, du und die beiden Jungs.»«Pat und Little John.» Ein Grinsen schlich sich bei dieser Erinnerung auf mein Gesicht.
«Ja, ja, Patrick Blacksmith, dieses ausgekochte Schlitzohr!» Er gluckste amüsiert.
Seine Worte entlockten mir ein Schmunzeln, gleichzeitig fand ich es auch respektlos, wie er über einen Verstorbenen sprach.
Pater Tuck schien meine Bedenken zu bemerken, denn ein tiefer Seufzer hob seinen Brustkorb. «Aber er war ein guter Junge.»
«Ja», stimmte ich ihm leise zu.«Und John Cobbler?» Pater Tucks Augen leuchteten auf. «Weisst du es schon?»
«Little John, er hat sich der Bande angeschlossen», antwortete ich.
Pater Tuck nickte mit wichtiger Miene. «Mhm, John, der kleine Ausreisser.»
Aufmerksam musterte ich seine Züge. «Hast du ihn nochmals gesehen seither?»
«Nein, nein.» Pater Tuck schüttelte den Kopf, während er nach einer Kerze griff und sie gerade rückte.Ich biss auf die Innenseite meiner Wange. «Weisst du, wie ich mit ihnen Kontakt aufnehmen kann? Mit den Merry Men? Oder noch besser mit Robin Hood höchstpersönlich?»
Pater Tuck stiess ein Keuchen aus. «Marian! Ich denke nicht, dass die Merry Men der geeignete Umgang für dich sind.»
Lauernd kniff ich die Augen zusammen. «Also hast du Kontakt mit ihnen.»
Der dicke Mann wand sich unter meinem prüfenden Blick. «Ich... wie kannst du mir so etwas unterstellen!» Er schnappte nach Luft, sein Gesicht rot wie eine überreife Tomate. «Ich bin eurer Herzogsfamilie treu ergeben!»«Ist das so?» Meine Brauen wanderten in die Höhe.
Sein rechtes Augenlid zuckte nervös.
Unschuldig lächelte ich den Geistlichen an und legte eine Hand auf seine Schulter. «Pater Tuck, ich weiss, dass du meinen Vater niemals verraten hättest. Genauso wenig wie mich.»
Ich beugte mich leicht vor und senkte die Stimme. «Aber wenn du Kontakt zu Robin Hood aufnehmen kannst, dann bitte tue es. Ich muss ihn treffen.»Schweissperlen traten auf seine Stirn, der Geistliche warf einen Blick über die Schulter.
«Ach, Marian, ich... ich kann doch nicht...», stotterte er. «Du bist die Lady von Nottingham und dein Onkel sucht seit Jahren nach Robin Hood!»
Fest biss ich die Zähne zusammen. «Ich werde meinem Onkel nichts verraten. Versprochen.»
Ein tiefer Seufzer hob seinen Brustkorb.«Du weisst, wo der Krötenweiher ist?», raunte er.
Er befeuchtete seine Lippen mit der Zunge und ich nickte eifrig. «Robin Hood wird dich heute Abend dort treffen. Wenn die Glocken zwölf schlagen.»~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Juhui, zweiter Auftritt von Robin Hood in Sicht! Ich freu mich ;)
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Marian und ein Dieb namens Robin
RomanceLady Marian kehrt nach Jahren in die Stadt Nottingham zurück. Vieles hat sich in der Zwischenzeit verändert. Ihre Kindheitsfreunde gibt es nicht mehr, dafür treibt ein Dieb in den umliegenden Wäldern sein Unwesen. Doch Robin Hood hat es nicht nur au...