2 Die Dächer von London

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Damals, Patrick

Hastig strich ich meine schwitzigen Handflächen an den Hosen ab.
Meine Finger schlossen sich fest um den Knauf und ich hob das Schwert in die Höhe, sodass ein langer, spitzer Schatten über den Boden huschte.
Ich warf Little John einen kurzen Blick zu und er nickte mit gerunzelter Stirn.
In seinen blauen Augen konnte ich Entschlossenheit erkennen, gepaart mit dem Funken der Kriegslust.

Ich atmete tief durch, um das Pochen meines Herzens zu verlangsamen.
Nahe duckte ich mich zur staubigen Strasse hinunter und lauerte auf die Beute.
Und da kam sie.
Angeführt von ihren Soldaten stolzierte sie durch die Gassen von Nottingham.
Die Nase hoch erhoben, einen dämlich grossen Hut auf dem Kopf.
Die Königin.

Der riesige, federbesetzte Hut wippte bei jedem ihrer Schritte und warf einen runden Schatten auf den Boden.
Ich bemerkte die Blicke der Räuber und schüttelte leicht den Kopf.
"Noch nicht", wisperte ich stumm.
Die Königin warf einen Blick über die Schulter, sie musterte die Mauer, hinter deren Schatten unsere Bande kauerte.
Das lange Tuch, welches sie um ihren schmalen Körper gewickelt hatte, schleifte über die Pflastersteine und wirbelte Staub auf.

Meine Hand schloss sich fester um das Schwert.
"Angriff!", brüllte ich und hechtete mit einem Satz über die Mauer.
Mit lautem Gejohle folgte mir die Räuberbande, Little John jagte wie ein Schatten meinen Fersen hinterher.
Die Königin stiess einen spitzen Schrei aus und wirbelte mit geweiteten Augen herum. Ihre Soldaten preschten vor, die Waffen gezückt.

Krachend schlugen unsere Klingen aneinander.
Schweissperlen glitzerten auf der Stirn meines Gegenübers und Staub verfing sich in seinen hellen Wimpern.
Ich drehte mich schwungvoll im Kreis und schlug mein Schwert mit solcher Wucht gegen seins, dass seine Waffe in weitem Bogen aus seinen Händen segelte.
Ein gehässiges Grinsen trat auf mein Gesicht, als der Soldat sich vor meinem nächsten Schlag duckte und sich hastig hinter den Rücken der Königin flüchtete.

"Was machst du denn da?!", fuhr sie ihren Bruder an.
Ich zeigte die Zähne und hob drohend mein Schwert. "Rück das Gold raus, alte Schachtel!"
Die Königin japste entsetzt nach Luft.
"Soldaten, hierher!", rief sie gebieterisch, doch der Kampfeslärm war bereits verstummt.
Mit gerunzelter Stirn drehte ich mich nach Little John und den anderen um.
Allesamt starrten sie eine kleine Gestalt an, die mitten in der Gasse stehen geblieben war. Langsam liess ich mein Holzschwert sinken.

Zögerlich trat das Mädchen auf uns zu.
Der Saum ihres Kleides streifte über die staubige Strasse und die kunstvollen Stickereien auf dem Stoff reflektierten die grellen Sonnenstrahlen.
Eine Brosche mit Diamanten hielt ihre roten Haare im Nacken zusammen.
Ihre Augen waren gross, mit gebogenen Wimpern, und hatten die Farbe eines Waldbaches an einem Sommertag.
Es war dasselbe Mädchen, das manchmal alleine auf der Schaukel sass, im mit Gitterstäben umrahmten Schlosshof.

"Was spielt ihr?", fragte sie in die Stille.
Ihre Stimme klang dünn und leise.
Für einen Augenblick herrschte Schweigen.
"Diebe", antwortete schliesslich Little John.
Das Mädchen nickte.
Ihre schmalen Finger nestelten unentwegt an ihrem Kleid. Sie wollte mitspielen, getraute sich aber nicht zu fragen, das konnte ich ihr ansehen.
Sommersprossen bedeckten ihre spitze Nase.

"Kommt." Die Königin raffte das Leinentuch um ihren Körper und zog ihren Bruder an der Schulter weiter, fort von dem Mädchen.
Schweigend folgten wir ihrer schmalen Gestalt, die Schwertspitzen streiften mit leisem Geräusch über den Boden.
Das Mädchen mit den roten Haaren folgte unserer Bande mit einigen Metern Abstand. Ich blieb stehen und sah sie über die Schulter prüfend an.
Als sich unsere Blicke begegneten, senkte sie schüchtern den Kopf.

Marian und ein Dieb namens RobinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt