16 Was wir tun

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Im Zimmer meiner Eltern hatte ich gefunden, was ich gesucht hatte.
Staub hatte sich auf den Möbeln angesetzt, doch die Jagdkleider meines Vaters waren noch in tadellosem Zustand.
Der dunkelbraune Mantel reichte bis über meine Knöchel hinab, ich hatte den Saum etwas umnähen müssen.

Aus der Reisetasche, die ich bei meiner Fahrt von London nach Nottingham dabei gehabt hatte, kramte ich die alte Steinschleuder hervor.
Abgesehen von meinen Strickereien und den Büchern war sie das Einzige, was die Diebe beim Überfall nicht mitgenommen hatten.

Ich schob den Umhang und die Steinschleuder unter mein Kleid und schlich mich aus der Burg.
Beim Waldrand angekommen, schlüpfte ich in den Mantel, die Steinschleuder fest in der Hand.
Ganze fünf Minuten stand ich zwischen den mit moosbewachsenen Bäumen. Unschlüssig spähte ich durch das dunkle Dickicht.
«Jetzt stell dich nicht so an», wies ich mich selbst zurecht. «Tu einfach irgendwas!»
Also holte ich tief Luft, zog die Kapuze über meinen Kopf und stapfte los.

Bestimmt drei Stunden wanderte ich ziellos durch den Wald, ohne dass mir irgend Jemand begegnete.
Aufgeplatzte Blasen bedeckten meine Füsse und ich nahm mir fluchend vor, das nächste Mal bequemere Schuhe anzuziehen.
Die Stickereien meines Kleides scheuerten auf meiner Haut, Dornenranken hatten den Saum zerrissen, sodass er traurig hinter mir her flatterte.

Als ich zum fünften Mal an der Strassengabelung mit dem Wegesschild vorbeikam, blieb ich stehen.
Nottingham, war in das eckige Holzschild eingebrannt worden.
Die abzweigende Strasse führte in eine Sackgasse, wie ich inzwischen wusste. Der Weg endete im Dickicht, der Boden war dort tief und matschig und hatte erdige Spritzer auf meinen Waden hinterlassen.
Frustriert wischte ich die Kapuze von meinem Kopf und setzte mich an den Wegesrand. Meine Kehle fühlte sich trocken an und mein Magen knurrte fordernd.

«Beschissene Taten», murrte ich. «Warum müssen die nur immer so anstrengend sein!»
Der Schrei eines Raubvogels hallte durch den Wald.
Ich hob das Gesicht und kniff die Augen zusammen, konnte jedoch keine geflügelte Gestalt durch das Blätterdach entdecken.
Irritiert runzelte ich die Stirn.
Plötzlich begann die Erde unter mir zu beben.
Ich japste nach Luft, als ich verstand. «Der Raubvogel!»

Hastig sprang ich auf die Füsse.
Durch das schummrige Licht der Nachmittagssonne, das durch die dichten Blätter fiel, konnte ich eindeutig eine Kutsche erkennen.
Das Geschirr der Pferde blitzte hell im Sonnenschein und ihre Hufe wirbelten Staub auf.
Die Kutsche kam schnurstracks auf mich zu. In einer fliessenden Bewegung zog ich die Kapuze über meine Haare und trat auf die Mitte der Strasse.
Dann fiel mein Blick hinab auf die Steinschleuder in meiner Hand.

«Ach, Marian», zischelte ich ungehalten. «Das hast du nicht wirklich durchdacht.»
Ich steckte das Stück Holz in meine Manteltasche und liess die Arme sinken. Und in diesem Moment sah ich sie.
Gestalten in Kapuzenmäntel, sie kauerten in den Baumkronen, kaum sichtbar durch die unzählbaren Blätter, die sie umgaben.
Mein Herzschlag beschleunigte sich.

Eine der Gestalten löste die Hände von den Ästen, seine Silhouette wankte leicht, als er die Arme hob und einen Pfeilbogen spannte.
Blitzschnell schoss er zwei Pfeile auf die Kutsche ab.
Robin Hood.
Mit angehaltenem Atem sah ich zu, wie sich die Kapuzengestalten von den Bäumen schwangen.
Laute Rufe erklangen, während sie auf die Kutsche zustürmten.
Doch der Kutscher trieb die Pferde in einen solch rasanten Galopp, dass die Diebe zu Fuss nicht mithalten konnten.

Ohne zu überlegen sprang ich vor.
Mit beiden Händen umfasste ich den Wegweiser und riss ihn herum, sodass die Spitze nun in die Sackgasse deutete.
Ich hechtete in den Strassengraben und hob schützend die Arme über den Kopf. Kies und Staub prasselten auf meinen Körper nieder, als die Kutsche an mir vorbeidonnerte.
Der Kutscher lenkte die wild gewordenen Pferde in die falsche Strasse, bald würden sie eine leichte Beute für die Merry Men sein.

Marian und ein Dieb namens RobinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt