Kapitel 8 - Der Drachenbecher

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Kurz nach ihrem Gespräch schleichen sich Emmod und Novel, gehüllt in ihren Kapuzenumhängen, aus dem Haus.

Novel hält kurz inne und nimmt einen tiefen Atemzug, um seine Nervosität zu unterdrücken, während Emmod einen prüfenden Blick zum Haus wirft, um sicherzustellen, dass ihre Mutter sie nicht beobachtet. Ob ihre Mutter zu dem Zeitpunkt noch wach ist, kümmert ihn jedoch wenig. Wenn sie zu lange warten, könnte es bereits zu spät und ihr Onkel über alle Berge sein, ehe sie herausgefunden haben, wieso er so plötzlich das Land verlässt. Außerdem wissen sie nicht, wie lange er fortbleiben wird und ob sie ihn überhaupt wiedersehen werden.

Die Sonne ist zwar bereits untergegangen, doch das tut der Helligkeit in der Stadt keinen Abbruch.

Neben den Straßenlaternen erleuchtet hell der Heilige Grünbaum von Rilgohin. Denn heute ist die erste Nacht ‚der Nächte der Tausend Lichter', und die Straßen so lebendig wie selten zu dieser Stunde. Die meisten Menschen feiern, indem sie durch die Straßen schlendern und früher oder später am Heiligen Grünbaum zusammenkommen, um das Fest zu zelebrieren. 

Emmod und Novel gehören in ein paar Tagen auch dazu, wenn sie mit ihrer Mutter losziehen.

Doch heute stellt der lebhafte Trubel ein Problem für sie dar, denn es ist nicht üblich für Kinder in ihrem Alter und zu dieser Uhrzeit, sich ohne Aufsicht draußen aufzuhalten. Dies könnte gefährlich werden, besonders weil mit der größeren Anzahl von Bürgern auf der Straße proportional auch mehr Soldaten unterwegs sind, vor allem nach den Explosionen, die sich vor zwei Tagen in der Stadt ereignet haben.

Das Letzte, was die beiden jetzt wollen, ist, ihrer Mutter mehr Probleme zu bereiten, falls sie von Soldaten erwischt werden.

Während ihres Weges sind sie angespannt und bewegen sich behutsam im Schatten der Menschen und verschiedener Objekte, von Straße zu Straße, eilig, doch bedacht und nahezu unsichtbar.

Stets deckt der eine den anderen den Rücken. Trotz ihrer Vorsicht wurden sie von einigen Leuten bemerkt, die jedoch angesichts der besonderen Nacht ein Auge zudrücken. Ein Zeichen der stillen Akzeptanz unter den Bürgern.

Emmod und Novel erreichen das Ende einer engen Gasse und blicken auf ein stattliches, freistehendes Gebäude gegenüber.

„Das ist es.", flüstert Emmod seinem Bruder zu.

Die Taverne – Der Drachenbecher – liegt im Whitepool-Viertel, nicht weit entfernt von Kos Haus. Die Fassade zeigt zur Straße, ergänzt durch einen rechten Seitenflügel.

Auf der Spitze des Daches prangt ein großes Schild in Form eines massigen Drachen, mit bestialischen Augen und kleinen Zacken, die vom Rücken bis zum Schwanz verlaufen. Aus seinem Maul entweichen drei gezackte Feuerstrahlen, die in einen Bierkrug darunter münden.

Rechts neben dem Eingang ist ein großes Fenster, doch Emmod und Novel sind zu weit weg, um erkennen zu können, was sich im Inneren der Taverne abspielt.

Emmod beginnt die Situation zu mustern und macht seinen Bruder auf eine schmale, dunkle Sackgasse aufmerksam, die sich direkt links neben der Taverne erstreckt und nur schwach von dem fahlen Licht erhellt wird, das aus den Fenstern der Taverne dringt. 

Vor der Taverne unterhalten sich drei Personen. Die Straßen in der direkten Umgebung sind jedoch weitgehend leer. Obwohl die Straßen aufgrund der ersten Nacht der Tausend Lichter lebhafter als normal sind, sammeln sich die meisten Menschen um den Heiligen Grünbaum in Richtung der grünen, weiten Landschaften nordwestlich der Stadt, anders als die Taverne, die sich wie Kos Wohnung mitten in der Stadt befindet.

Die Herausforderung besteht nun darin, unbemerkt an den drei Personen vorbeizukommen, die sich vor der Taverne unterhalten.

Novel spielt nervös mit seinen Händen, während Emmod die Zähne zusammenbeißt und entschlossen den nächsten Schritt plant. Sein Blick fällt auf einen kleinen Mülleimer in ihrer Nähe, von dem er nach dem Aluminiumdeckel greift.

Lost Ones - Ein falscher KönigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt