Kapitel 12 - Der Grabstein

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Drei Tage später steht am frühen Morgen eine Kutsche am Pförtnerhaus beim Doppeltor. In der Kutsche warten Lina und Vyncent auf Emmod, Novel und Enryn Barber, der die Brüder abholt und zu ihnen bringen wird.

Vyncent hat die Arme verschränkt und trommelt mit seinen Fingern auf ihnen. Sein Blick wandert immer wieder aus dem Fenster, begleitet von genervten Seufzern.

„Wo sind sie?", brummt er, während er einen abwertenden Blick zur leeren Straße wirft.

„Sie sollten gleich eintreffen.", versucht Lina, ihren Bruder zu beruhigen.

„Ich hoffe es.", sagt Vyncent mürrisch, „Hab nicht viel geschlafen und ich hoffe für sie, dass ich nicht umsonst so früh aufgestanden bin."

„Was war eigentlich heute Nacht bei dir los?", fragt Lina irritiert.

„Warst du wach??", fragt er beunruhigt.

"Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht", sagt Lina, während sie unruhig auf ihrem Sitz hin und her rutscht und ihre Hände ineinander verkrampft, „Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte, wenn es nicht so gewesen wäre. Hast du Möbel umgestellt? Klang teils sehr anstrengend."

„Training.", entgegnet er knapp.

„Aber nicht allein, oder? Ich könnte schwören, Cecie gehört zu haben."

„Wirklich?"

„Ja.", sagt Lina, „Seitdem sie dir zugeordnet wurde, ist sie sowieso anders..."

„Wie dem auch sei.", ruft Vyncent dazwischen und unterbricht seine Schwester, bevor es peinlich wird, „Vielleicht hast du sie nur gehört, weil die Dienstmädchen bis spät nachts noch einige Aufgaben für Vater und Mutter erledigen sollten.", zuckt er unschuldig mit den Schultern, „Haben sich bestimmt überlegt, wie sie die Verabschiedung vorhin so unangenehm wie möglich für uns machen können.", sagt er, wobei auch Lina ihr Schmunzeln nicht verbergen kann.

„Du weißt doch wie sie sind.", sagt sie, „Aber das fühlte sich gerade ehrlich so an wie ein Abschied für die Ewigkeit.", witzelt sie weiter, sodass Vyncent jetzt auch schmunzelt.

Denn in der Nacht sind ihrem Vater noch einmal alle möglichen Gedanken durch den Kopf geschossen, die am heutigen Tag schief gehen könnten. Dabei überkamen ihn die absurdesten Gedanken.

‚Was passiert, wenn Nikolas plötzlich beim Kutschieren einschläft und die Kontrolle über die Kutsche verliert?

Was ist, wenn Emmod und Novel seinen Kindern irgendwelche komischen Beeren anbietet, wodurch sie unterwegs furchtbaren Durchfall bekommen?

Was passiert, wenn Lina und Vyncent ins Meer gehen und von einem wilden Ponkyl gefressen werden? (Ponkyle = Die größten Raubtiere der Weltmeere, die sich nur von anderen Raubtieren ernähren)'

Durch all diese schrecklichen Sorgen dauerte es eine Weile, bis Joane ihn spät in der Nacht zum Schlafen bringen konnte. Dadurch war Joane zwei Stunden später noch müder als Edmur, als sie sich von ihren Kindern verabschiedeten.

Zwar war es die Idee von Edmur und Joane, den heutigen Plan so geheim wie möglich zu halten, aber letzten Endes waren sie diejenigen, die dafür sorgten, dass die ganze Burg seit drei Tagen wusste, dass etwas in der Luft war. Die Bediensteten erfuhren, dass Lina und Vyncent einen Tag auf Reisen gehen würden. Mit wem oder wohin blieb jedoch im Dunkeln, auch wenn sie bei jeder Gelegenheit versuchten, es herauszufinden. Nicht einmal ihr Kutscher, Nikolas, weiß, wohin es geht, da er die Anweisungen erst in wenigen Minuten von Enryn Barber erhalten wird.


Lina und Vyncent tragen dunkle Kapuzenumhänge, doch Vyncent hat einen anderen als gewöhnlich an. Er verzichtet auf seinen üblichen Umhang, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, da das Wappen der Elmharts, die Burgzinne, auf seinem persönlichen Umhang prangt.

Lost Ones - Ein falscher KönigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt