Kapitel 16

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Januar, 1997

Severus war seit Jahren nicht mehr so verkatert gewesen.

Der Nachgeschmack des Whiskeys ließ seine Zunge erstarren, und sein Kopf fühlte sich an, als hätte ihn jemand mit einem Presslufthammer bearbeitet. Schon zweimal war er an diesem Morgen aus dem Bett getaumelt, um den Inhalt seines Magens in das kalte Porzellan der Toilette zu entleeren.

Aber am schlimmsten war das wachsende Gefühl der Schuld.

Selbst der halbe Liter Whisky, den er bei seiner Rückkehr in seine Räume getrunken hatte, konnte das Bild von Hermine, die sich vor ihm duckte, mit Tränen in den Augenwinkeln, und der Klang seiner eigenen Stimme, die sie mit Bitterkeit anspuckte, nicht aus seinem Kopf vertreiben. Er war ein verdammter Idiot.

Ein unbedeutenderer Mann hätte seine Taten entschuldigt und sie auf die Nachwirkungen des Cruciatus  geschoben oder vielleicht auf Stress oder vielleicht einfach auf die Verbitterung, die Jahrzehnte des Schmerzes und der Sehnsucht mit sich brachten.

Aber Severus wusste es besser. Er wusste genau, was und wer dafür verantwortlich war. Er hatte die Kontrolle verloren.

Nachdem er sich ein drittes Mal übergeben hatte, jetzt hauptsächlich Galle, schleppte er sich zum Waschbecken. Es war kein schöner Anblick, der ihm aus dem Spiegel entgegenblickte. Sein Haar lag strähnig und fettig auf seiner Kopfhaut. Seine Augen waren blutunterlaufen, und die Tränensäcke unter ihnen waren pflaumenfarben. Die Falten in seinem Gesicht wirkten irgendwie tiefer, seine Haut irgendwie fahler.

Wenn Hermine ihn jemals attraktiv gefunden hatte, dann spätestens jetzt ganz sicher nicht mehr.

Severus drehte den Wasserhahn voll auf, spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht und spürte, wie es ihm über die Wangen lief und auf den Kragen seines Hemdes tropfte. Er tat es wieder. Und noch einmal. Und wieder, bis seine Haarwurzeln feucht waren und er sich wieder wie ein Mensch fühlte.


Januar, 1978

Severus war seit Jahren nicht mehr so glücklich gewesen.

Er pfiff, als er aus dem Schlafsaal der Slytherin Jungen zum Badezimmer ging, ein Handtuch über den Arm geschlungen. Die Flure waren um diese Zeit relativ ruhig, die Fenster färbten sich etwas weniger trübgrün, als das Sonnenlicht begann, in die Tiefen des Schwarzen Sees vorzudringen.

"Was bist du so verdammt fröhlich?", schnauzte ihn ein verschlafener Lestrange vom Waschbecken aus an, als Severus zu den Duschen schlenderte.

"Wer hat dir heute Morgen einen Stock in den Arsch gesteckt, Lestrange?", erwiderte er munter.

Rastaban fluchte leise vor sich hin und verließ das Bad, indem er die Tür hinter sich zuschlug. Severus streifte seinen Schlafanzug ab, stieg in eine der Duschen und drehte den Wasserhahn so heiß wie möglich auf. Dampf strömte aus dem Duschkopf und überzog die dunkelgrünen Kacheln mit Wassertröpfchen.

Er fühlte sich wieder wie ein Mensch, als er den warmen Wasserstrahl über sein Gesicht, seine Brust und den noch immer wulstigen Schnitt auf seinem Arm laufen ließ.

Hermine mochte ihn, vielleicht sogar mehr als nur mögen, sie hatte ihn nicht von sich gestoßen oder für sein Handeln verurteilt und er konnte einfach nicht aufhören zu lächeln. Er konnte nicht aufhören, an sie zu denken, an ihre wilden Locken, ihr süßes Lächeln, ihr Körper an seinen gekuschelt weich und warm. Severus war völlig vernarrt, und überraschenderweise machte es ihm nichts aus.

Nach seiner etwas längeren Dusche als sonst packte Severus seine Sachen zusammen und verließ den Kerker, während die meisten seiner Mitschüler noch schlafend hinter den Vorhängen ihrer Himmelbetten lagen.

The Paradox of UsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt