Sieben

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Donnerstag

David
Das Schminkexperiment war wirklich gelungen. Lilly sah echt hübsch aus.
Wir saßen noch lange auf der Terasse und unterhielten uns. So schlimm war sie gar nicht. Ich verstand überhaupt nicht, wieso sie so unbeliebt war. Sie konnte echt lustig sein, wenn man sich erstmal mit ihr unterhielt.

Mittlerweile war es schon dunkel geworden und ich sah, dass sie zitterte.
"Du frierst. Sollen wir vielleicht rein gehen?"
"Oh, ähm, wie spät ist es?"
Ich sah auf meine Uhr.
"Viertel nach neun."
"Oh shit."
Fluchend stand Lilly auf.
"Was ist los?"
"Ich musste um neun Uhr zuhause sein.", sagte sie während sie in die Wohnung stürmte. Ich lief ihr hinterher. An der Tür blieb sie stehen.
"Tschüss, David." Sie lächelte mich an und ich umarmte sie.
"Tschüss, Lilly. Du siehst toll aus. Vergiss nicht, das ganze Zeug gleich noch abzuwaschen."
"Sir, yes, Sir! Selbstverständlich."
Ich lachte. "Bis Morgen."
"Bis Morgen."
Mit einem letzten Lächeln drehte sie sich um und lief die Treppen runter.

Lilly
"Hey Bruderherz!", rief ich gut gelaunt in die Wohnung.
"Wo sind Mama und Papa?"
"Noch nicht zuhause."
Skeptisch betrachtete mich mein großer Bruder.
"Ist was?", fragte ich ihn.
"Das sollte ich dich fragen. Geh mal ins Bad, bitte, und wasch dein Grinsen aus dem Gesicht. Das macht mir Angst."
Lachend rollte ich mit den Augen.
"Darf ich nicht gut drauf sein. Apropos Gesicht... Wie seh ich aus?"
Matthias musterte mich. "Soll da irgendwas anders sein?"
Ich seufzte. "Ich bin geschminkt, du Blödmann!"
"Ja, wie soll ich denn das riechen?!", grummelte er.
Dann stand er auf. "Ich geh dann mal. Ich treffe mich noch mit den Jungs."
"Okay, dann viel Spaß."
Ich ging ins Bad. Dort betrachtete ich mich um Spiegel. David hatte gute Arbeit geleistet. Ich sah wirklich.. hübsch aus. Joaa.. Doch, schon. Eigentlich schade, das jetzt weg zu machen. Dennoch wusch ich mein Gesicht und entfernte dann noch die letzten Spuren des Make-Ups. Mit einem Lächeln tanzte ich summend in mein Zimmer und zog meinen Schlafanzug an.
Dann klingelte das Telefon.
"Hallo, Lilly Jarke?"
"Guten Abend, Frau Jarke. Ich bin Anna Moren vom städtischen Krankenhaus. Ich rufe an, wegen Ihren Eltern."
"Was ist mit meinen Eltern?!", fragte ich leicht panisch.
"Sie hatten einen Autounfall. Ein betrunkener Fahrer hat sie von der Straße abgedrängt und sie sind gegen einen Baum gefahren. Ihre Eltern waren sofort tot, der andere Autofahrer starb auf dem Weg ins Krankenhaus."
"Wie, tot? Sie meinen, sie sind gestorben?"
"Ja. Mein herzliches Beileid."
"Das muss eine Verwechslung sein. Meine Eltern kommen sicherlich gleich nach Hause."
"Ich fürchte, Nein."
"Sind sie sich da zu 100% sicher?" Langsam wurde ich leicht hysterisch.
"Ja."
Ich legte auf. Mit leerem Blick wählte ich die Handynummer meines Bruders. Es klingelte in der Küche. Na toll.. Jetzt war ich allein. Ganz allein.
Mittlerweile verging die Schockstarre. Ich wählte Davids Nummer. Ich konnte jetzt nicht allein sein.
Aber wieso David?!
Ich hatte sonst keinen. Ich war wirklich komplett allein. Niemand war für mich da.
"Hallo?"
"Hallo, David."
Meine Stimme klang monoton.
"Lilly? Alles in Ordnung?"
Meine Eltern waren tot.
"Kannst du runterkommen?"
Ein Autounfall.
"Wieso? Was ist los, Lilly?"
Meine Eltern waren tot. Wirklich tot. Ich würde niemals mehr mit ihnen reden.
"Meine Eltern sind tot?"
Es klang mehr wie eine Frage.
"Was?"
Tot.
"Meine Eltern. Sie sind tot. Einfach so."
Jetzt fingen die Tränen an zu laufen. Ich schluchzte.
"Ich bin gleich da."
David legte auf.
Langsam bewegte ich mich zum Sofa und setzte mich darauf. Ein paar Tränen liefen meine Wangen runter und zwischendurch schluchzte ich einmal.
Nach zwei Minuten klopfte es an der Tür. Ich ging hin, öffnete sie und schlurfte zurück zum Sofa.

David
Sie sah aus wie ein Wrack. Jedes Leben war aus ihr gewichen. Ihre Augen waren leer. Sie saß auf dem Sofa, starrte vor sich hin und schluchzte zwischendurch mal.
Vorsichtig setzte ich mich neben sie.
"Lilly?"
Sie hörte mich nicht.
Ich legte einen Arm um sie und zog sie an mich. Sobald ihr Kopf an meiner Brust lag, fing sie hemmungslos an zu weinen.
"Shhhhhh.."
Die ganze Zeit fuhr ich mit meiner linken Hand ihren Rücken hoch und runter.
Wir saßen zwei Stunden so da und mittlerweile weinte sie nicht mehr.
"David?"
"Mhh?"
"Danke."
"Das ist doch selbstverständlich."
"Nein. Du bist der einzige der für mich da ist, gerade. Ich hab keine Freunde, keine Eltern.."
Wieder schluchzte sie.
Ich wischte ihr mit dem Daumen über die Wange um die frischen Tränen verschwinden zu lassen. Es war nicht schön, wenn sie weinte. Es war das Gegenteil von ihrem Normalen Verhalten. Lilly würde normalerweise niemals Schwäche zeigen.
"Aber du hast mich."
Ich lächelte ihr aufmunternd zu.
"Danke. Vielleicht solltest du jetzt gehen. Wir haben morgen einen langen Tag vor uns."
Laangsam stand ich auf und ging zur Tür. Lilly folgte mir.
"Danke."
Ich sah ihr in die Augen. Ihr Blick war so ehrlich. Ich konnte alle ihre Gefühle in ihren Augen erkennen. So offen war sie niemandem gegenüber. Sie war stets verschlossen, sorgte dafür, dass niemand an sie heran kam.
Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange. Es überkam mich ein Gefühl, als ob es richtig wäre.
"Gerne."
Dann drehte ich mich um und lief die Treppen hoch zu unserer Wohnung.

Es war einmal ein Mauerblümchen...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt