Acht

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Freitag

Lilly
Als ich aufwachte war es zwölf Uhr mittags.

Gestern Abend war ich direkt schlafen gegangen. Irgendwann in der Nacht war Matthias nach Hause gekommen. Seine Augen waren rot, sein Kiefer angespannt. Er erzählte knapp, dass Oma unseren Cousin angerufen hatte, der auch in der Clique meines Bruders war. Mehr redeten wir nicht.

Ich ging ins Bad und stellte mich vor den Spiegel. Ich war hässlich. Mein Gesicht komplett aufgequollen, die Lippen trocken und rissig. Dunkle Ringe unter meinen Augen. Ich machte ein Handtuch mit kaltem Wasser nass und ging zurück ins Bett. Das Handtuch legte ich über mein Gesicht.

"Lilly?"
Langsam setzte ich mich auf und etwas Nasses fiel auf meinen Schoß. Normalerweise häte ich mich erschreckt, doch dieses Mal zuckte ich nicht einmal mit der Wimper. Ich fühlte nichts. In mir herrschte unglaubliche Leere.
"Liiilly?"
Davids Kopf kam durch die Tür. Kurz zuckte er zusammen, als er mich sah, aber dann versuchte er seinen Schrecken zu verbergen.
"Sag es ruhig."
Meine Stimme war heiser und leise. Ich legte mich wieder hin und drehte mich von der Tür weg.
"Du siehst schrecklich aus."
Ich schniefte einmal. Dann spürte ich wie er sich auf mein Bett setzte. Er fing an meinen Rücken hoch und runter zu streichen.

David
Bei dieser bescheuerten Wette war eigentlich kein Seelsorgejob mit inbegriffen, oder? Wenn doch, dann hatte es mir niemand gesagt.
Aber war das eigentlich noch die Wette? Jetzt gerade? Der Grund weshalb ich hier saß und ihren Rücken streichelte.
Ja, David! Du tust das wegen der Wette! Und vielleicht noch aus Mitleid.
Aber gestern Abend... Ich hatte nichtmal nachgedacht, was es gerade besseres zu tun gab, als sie mich angerufen hatte. Ohne zu zögern war ich runter gelaufen.
Du bist halt ein guter Mensch! Gute Menschen machen sowas.
Und der Kuss?
Nur ein Kuss auf die Wange. Immerhin hat sie es zugelassen. Das wolltest du doch erreichen.
"Lilly, ich kann nicht verstehen, was du gerade fühlst, einfach weil ich sowas noch nie durchmachen musste. Aber ich kann dir vielleicht helfen."
"Das willst du doch gar nicht. Du bist nur aus Mitleid hier, weil ich keine Freunde hab. Aber weißt du was?! Ich brauche kein Mitleid. Ich hab 16 Jahre allein überlebt, dann kann ich das auch noch weiterhin! In deinem Angebot war kein Seelsorgejob mit drin."
Wow! Meine Worte!
"Ich bin hier, weil ich das so für mich entschieden habe. Und jetzt habe ich mich entschieden, dich auf andere Gedanken zu bringen! Heute Abend ist die Party bei Mike und da gehen wir zwei hin."
"Nein!"
"Doch! Ich habe hier das sagen bei unserem Plan und andere Gedanken würden dir nicht schaden. Also.. Keine Widerworte!"
Sie schniefte erneut.
Ich legte mich hinter sie und zog sie an meine Brust. Meinen Kopf legte ich auf meinen Arm, den andern Arm ließ ich um ihre Taille geschlungen liegen und strich mit meinen Fingern sanft über ihren Bauch.
"Einmal hatte ich doch einen schweren Verlust. Mein Goldfisch ist aus dem Fenster gefallen. Ich wollte das Aquarium sauber machen und hatte ihn auf meine Hand genommen, da hat der mich gebissen und ich hab ihn vor Schreck gegen die Wand geschmissen. Da war er tot.."
Lilly lachte leicht und drehte sich zu mir. Sie sah mir mit einem Lächeln in die Augen.
"Darüber macht man keine Witze."
"Das ist kein Witz! Er ist wirklich gestorben."
Sie kniff mich leicht in den Bauch.
"Blödmann!"
Dann kuschelte sie sich an mich. Ich gab ihr einen Kuss auf ihre Haare.
Und wofür war der jetzt? David, das wird langsam zu ernst für eine Wette. Rumkriegen heißt nicht Kuscheln und trösten. Da kommt zu viel Gefühl mit rein!
Aber es fühlte sich richtig an..

Lilly
Um sechs Uhr stand David auf.
"Ich geh mal hoch. Ich muss mich ja auch noch fertig machen. Das Kleid hab ich dir auf den Tisch gelegt."
Dann verschwand er.
Ich bewegte mich langsam und stand dann auch auf. Sofort ging ich ins Badezimmer und wusch mir gründlich mein Gesicht. Als ich fertig war, sah ich immer noch schrecklich aus mit den Augenringen, aber es gibt ja Concealer.
Ich duschte schnell. Dann begab ich mich wieder in mein Zimmer. Dort begann ich mit dem Schminken, so wie David es mir gezeigt hatte.

Als ich fertig war, betrachtete ich mich einige Zeit im Spiegel. Von den Tränen keine Spur mehr. Ich sah wieder aus wie ein Mensch. Ein gar nicht so hässlicher Mensch. Eigentlich... ja, ich sah wirklich hübsch aus!

Schließlich ging ich zum Tisch, wo David mein Kleid hingelegt hatte. Ich holte es aus der Tüte raus. Wow! Mehr fiel mir erstmal nicht dazu ein. Ich zog es an und es passte perfekt. Das Kleid hörte kurz über den Knien auf. Oben saß es eng und ab der Taille fiel es locker. Es war dunkelblau. Die Farbe passte perfekt zu meinen Augen und zu den Haaren.
Aber da war noch etwas in der Tüte.. Ein Karton mit schwarzen Schuhen. Schwarze Wildlederpumps. Wie stellte David sich das vor? Ich konnte dich gar nicht darauf laufen?! Ok dann musste ich dss eben üben. Ich zog die Schuhe an und ging ein paar Schritte. Gar nicht so unbequem, wie ich gedacht hatte. Ich ließ die Schuhe einfach an, damit ich noch sicherer im gehen wurde.
Aber ich musste noch eine Tasche finden. Ach ja.. Meine Tante hatte mir ja mal eine zum Geburtstag geschenkt. Damals hatte ich mich höflich bedankt und die Tasche weit unten in meinem Kleiderschrank deponiert, aber jetzt war ich froh sie zu haben. Ich packte das nötigste rein und sah auf die Uhr. Halb acht. Gutes Timing. Da klingelte es auch schon an der Tür. Ich warf noch einen letzten Blick in den Spiegel und ging zur Tür. Einmal tief durchatmen. Dann öffnete ich sie.
"Hey David.", begrüßte ich meinen Nachbarn.
"Hi Lilly." Er betrachtete mich eingehend von oben bis unten.
"Du siehst.. gut aus."
Gut? Enttäuschung breitete sich in mir aus. Nur gut? Ich hatte bestimmt ne Stunde an meinem Aussehen gearbeitet!
"Danke." Ein wenig niedergeschlagen lächelte ich ihn an.
Wieso genau warst du jetzt enttäuscht, Lilly? Ist doch egal, ob er dich hübsch findet, oder nicht?! Oder nicht?? Sag bloß, du hast dich verknallt..
Ach quatsch! Was für ein Schwachsinn..

Es war einmal ein Mauerblümchen...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt