15. Blauer Schmetterling

0 1 0
                                    

Finsternis. Da war nichts, außer Benommenheit. Langsam flutete der Schmerz zurück in ihr Bewusstsein. Sie hätte nicht definieren können, was sie quälte oder woher er kam, nur, dass er da war. Er wuchs, als nähme er eine eigene Gestalt an, die sie auslöschte. Dann spaltete er sich, floss zurück in ihre Beine, in ihre Arme, in jeden der flachen Schnitte, die Beule am Kopf und die aufgeplatzte Lippe. Scharf, wie Glasscherben.

Vor ihren Augen erschien Licht. Verschwommen und konturlos, dann sah Kaja die helle Decke aus grossen, roh behauenen Steinquadern. Sie wandte ihren Kopf nach rechts, da war eine Wand aus demselben Material. Als sie nach links blickte, sah sie Darien. Er sass neben ihrem Bett, direkt vor der einzigen Türe, über ein Tischchen gebeugt. Seine Hand hielt einen weissen Lappen, den er in eine flache Schale tunkte. Der stechende Geruch von Alkohol verkrampfte ihren Magen und bittere Galle stieg in ihr hoch.

Darien drehte sich in dem Augenblick zu Kaja, als hätte er gespürt, dass sie wach war. Er sah müde aus. Seine Augen waren gerötet. Sanft strich er ihr über die Wange. Reflexartig wich sie aus und wollte ihre Arme schützend vors Gesicht heben, aber sie konnte sich nicht bewegen. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Kaja war ans Bett gefesselt. Wie von Sinnen wand sie sich, obwohl die Schmerzen wie glühend heisse Blitze durch sie zuckten. Er hob beide Hände hoch. Das Stück Stoff, das er hielt, tropfte, als er beschwichtigend sagte:

„Ich tue dir nichts. Ich versorge nur deine Wunden."

Ihr nichts tun? Das wäre neu. Ihre panisch weit aufgerissenen Augen suchten eine Fluchtmöglichkeit, während sie sich hochstemmte. Es hatte keinen Zweck. Die Lederbänder der Fesseln schnitten in ihre Haut. Kaja blieb reglos liegen und konzentrierte sich auf ihre Magie, die leise in ihr summte. Doch wie sie erwartet hatte, konnte sie sie nicht fassen, als wäre sie weit weg. Magie-Hemmer.

„Bitte Fin, lass mich dir helfen."

„Dann hilf mir und bringe mich hier weg", bat sie, ohne ihm Glauben zu schenken. Darien sah sie lange an, und sagte dann:

„Nimm etwas Mohnsaft gegen die Schmerzen."

Kaja schloss die Augen, damit er die Verzweiflung in ihnen nicht sah. Was hatte sie erwartet? Dass er sie hochheben und in die Freiheit hinaustragen würde? Aber sie wehrte sich nicht, als er seinen Arm unter ihren Kopf legte, um ihn anzuheben. Darien flößte ihr aus einem Pokal eine süßlich herbe Flüssigkeit ein. Ihre Schmerzen waren so schlimm, dass sie alles genommen hätte, um sich Linderung zu verschaffen. Mit jedem Schluck musste sie gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfen, aber sie schaffte es, alles auszutrinken.

„Wo sind die Schatten?", fragte sie, als er sie zurück ins Kissen bettete.

Darien hatte den Pokal weggestellt. Seine Stirn unter den Haaren, die ihm wirr ins Gesicht hingen, war gerunzelt, als er erwiderte:

„Schatten? Ach, du meinst den Hohen Rat. Sie ruhen. Es ist Mitten in der Nacht. Ich soll über dich wachen, damit du dir nichts antust."

Kaja biss sich in die Lippe. Dann war der Schlüssel noch in ihr. Etwas war schiefgelaufen, deswegen war sie so zugerichtet. Ihr Kopf weigerte sich die Erinnerungslücken zu füllen.

„Kann ich weitermachen mit der Behandlung deiner Wunden? Die Beine habe ich schon gemacht. Oder möchtest du etwas essen?"

Warum fragte er? Sie konnte ihn nicht aufhalten. Darien hatte den Lappen wieder in die Hand genommen.

„Wozu?", fragte Kaja leise.

Ohne etwas zu entgegnen, tupfte Darien den Schnitt auf ihrer Stirne ab. Sie zuckte zusammen, als die stechende Flüssigkeit in ihre Wunde sickerte, aber sie wehrte sich nicht. Er rollte ihre Ärmel zurück und wickelte die Verbände ab. Behutsam säuberte er die Schnitte auf ihren Armen.

Kein Weg aus der Finsternis - Die Legende von Kaja Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt