Die Zeit verging gleichförmig im Dorf der Aschka. Ein Tag glich dem anderen und nur der Wechsel von Licht und Schatten zeigte Kaja, dass Zeit vergangen war. Noch vor Morgengrauen stand sie auf, um Keopi zu helfen. Ihre Finger hatten sich grün verfärbt, von den Schmerz- und fieberlindernde Tinkturen, die den Menschen das Sterben erleichterten. Viele starben unter ihren Händen weg, bis sie an ihrer Hilflosigkeit zu ersticken glaubte.
In der Nacht lag sie auf ihrer Schlafmatte in Keopis schwarzer Hütte, die er ihr und Koray für die Dauer ihres Aufenthalts überlassen hatte. Ihre Augen wollten nicht zufallen. Kaja fürchtete den Schlaf und die Albträume, fast so sehr, wie nicht einschlafen zu können. Die blicklosen Gesichter der Toten schienen sie aus den dunklen Ecken anzustarren. Vorwurfsvoll, schweigend rückten die Albtraumgestalten näher und näher.
Ihr Blick hielt Koray fest, der auf der anderen Seite der Feuerstelle schlief. Sie wagte es nicht ihre Augen von ihm abzuwenden. Wenn sie nicht in die Finsternis sah, blickte auch niemand zurück. Die Umrisse seiner schlafenden Gestalt waren ihr so vertraut geworden, denn sie vertrieben alle Schatten. Stumm dankte sie ihm von Herzen, dass er bei ihr blieb. Kaja hätte es an seiner Stelle nicht getan. Jeden Tag war sie versucht weit wegzurennen und niemals zurückzuschauen. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass sie gegen eine Seuche machtlos war. Aber sie hatte gehofft. Gehofft, dass sie die Krankheit erkennen würde, dass zumindest etwas aus ihrem alten Leben übrig geblieben war. Nichts. Nur ... Koray.
Koray machte das Beste daraus. Jeden Morgen stand er mit ihr auf und begab sich ins Dorf, um den Gesunden bei der Arbeit zu helfen. Fischen. Netze flicken. Jagen. Bauen. Töpfern. Kochen. Nähen. Er war sich für nichts zu schade,
Schon am zweiten Tag hatte er Freundschaft mit den meisten Aschka geschlossen, als hätte es die anfänglichen Spannungen nie gegeben. Er fertigte neue Instrumente und lernte ihre Geschichten, Bräuche und Tänze. Am Abend sang er auf dem Dorfplatz und lenkte alle von der allumfassenden Trauer ab, die über dem Dorf lag.
Koray das Chamäleon. Er passte überallhin. Kaja hatte ihren Augen kaum geglaubt, als er ihr sein wundersam geheiltes Bein präsentierte. Der Mann hatte mehr Glück als Verstand, auch, wenn er behauptete, dass ihre Heilmittel dafür verantwortlich waren.
Egal, wo Koray war und was er tat, er wich nie lange von ihrer Seite. Es lag kein Vorwurf in seinen Blicken oder Worten, aber auch keine Sorge. Koray war kein Freund. Er spendete keinen Trost, gab keinen Rat, er war nur da und beobachtete sie unbeteiligt. Aber es genügte, um einen weiteren Tag durchzustehen. Und in ihr wuchs Dankbarkeit, aber auch ein dunkles, unruhiges Gefühl, denn er durfte nicht bei ihr bleiben.
Und so lag sie auch am zehnten Abend ihres Aufenthalts mit laut klopfendem Herzen wach. Sie lauschte dem Geräusch von Korays Atem und atmete aus, wenn er ausatmete, atmete ein, wenn er einatmete. Nur so konnte sie einschlafen.
Während die Sonnenstrahlen langsam die Welt erhellten, drangen die Geräusche des erwachenden Dorfes durch die Wände. Phiolen in allen Farben des Regenbogens, Flaschen mit ekligen Präparaten und wunderschön bemalten Dosen glitzerten im Licht, das auf das Regal vor ihr fiel. Das war ihr elfter Tag hier. Kaja blieb reglos liegen, als hätte sie keine Kraft mehr in ihren Gliedern.
Dafür kreisten ihre Gedanken umso schneller. Immer war jemand für sie da gewesen, der sie mitgeschleift hatte. Das wurde ihr jetzt bewusst. Ohne Narils Weisheit, Alinas Führung, einen Freund, wie einst Darien und ohne ihre Magie war sie schwach und hilflos. Ihr fehlte die Erfahrung für diese Seuche und vor allem anderen fehlte ihr die Zeit. Sie hätte vor Tagen nach Dragura aufbrechen sollen. Nur das Licht wusste, was Alina erduldete, während Kaja wertvolle Zeit mit Misserfolgen vergeudete. Zeit abzureisen, aber wozu? Sie konnte hier nichts bewirken und in Dragura noch weniger.
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Kein Weg aus der Finsternis - Die Legende von Kaja Band 2
FantasyDie Legende von Kaja Band 2 Wenn sie ihm vertraut, wird er sie verraten, tut sie es nicht, werden sie sterben und wenn sie versagen, wird die Welt bluten. Die Jagd auf den sagen-umwobenen Schüssel geht weiter. Eine Macht, die in den falschen Händen...