Kaja erwachte in einem runden, nur durch ein Feuer beleuchteten Raum. Über ihr hingen büschelweise getrocknete Kräuter und Wurzeln von der Decke. Die Flammen knisterten. Unauffällig schnüffelte sie. Außer Rauch, dem Fell, auf dem sie lag und Gewürzen, die ihr unbekannt waren, roch sie nichts. War der Magieanwender nicht hier?
Sie versuchte ihren Kopf zur Seite zudrehen, aber sie konnte ihren Hals kaum bewegen, dafür schmerzte er weniger. Vorsichtig ertastete sie stützende Bandagen. Sie war verarztet worden. Von wem? Verstohlen hob sie die Hand zu ihrem Gesicht und aktivierte den Zauber des allwissenden Auges. Grelles Leuchten. Alles pulsierte in tausend Farben und Facetten. Zu viel Magie. Zu stark. Ein Schmerz durchfuhr sie, als steckte eine Stricknadel in ihrem Auge. Kaja schrie auf und deaktivierte den Zauber mit einer hektischen Bewegung. Jetzt, da sie der ganzen Welt angekündigt hatte, dass sie wach war, hatte sie keinen Grund mehr, hier herumzuliegen. Sie setzte sich auf.
Es war, als hätte das Haus einen Schattenmantel angezogen, der dem Feuer nur einen kleinen Ring von Licht gestattete, in dem sie sass. Der Rest verhüllte sich in absoluter Dunkelheit. Neben ihr lag ein Bündel auf dem Boden. Es war Koray. Gefesselt und geknebelt. Seine weitaufgerissenen Augen blickten sie besorgt an.
Gerade, als Kaja seine Fesseln lockerte, tauchte aus dem Schatten des Raumes ein Mann auf. Er trug eine schwarze Tunika, von dessen Gürtel drei kleine Vogelschädel und fünf bunte Steine baumelten. Um seinen Hals war eine Kette aus spitzen Zähnen oder Klauen.
„Davon rate ich ab. Seine Wut soll erst entweichen."
Das Surisch des Fremden klang veraltet, wie das von Nahu, aber die Stimme war älter und rauchiger. Der Unbekannte kam näher. Seine grauen Haare waren zurückgebunden und er trug einen Fächer von dunklen Federn am Hinterkopf. Im knochigen Gesicht reichte ein schwarzer Strich vom Haaransatz zur Nasenspitze. Einzig seine bernsteinfarbenen Augen, die warm und gütig waren, nahmen der einschüchternden Erscheinung die Düsternis.
„Wenn er aber so eng verschnürt bleibt, kann sie nicht entweichen." Kaja würde dem Fremden keinen Vertrauensvorschuss gewähren, obwohl sie noch am Leben waren. Außerdem war ihre Chance erfolgreich zu fliehen mit einem entfesselten Koray deutlich besser. Wie immer brauchte sie seine Hilfe.
„Niemand ist zu Schaden gekommen", erwiderte der Fremde und zog ein Messer mit einer geschwungenen Klinge aus seinem schwarzen Gewand.
Kaja sprang zwischen ihn und Koray. Drachenzorn schoss als Schwert in ihre Hand, das sie gegen ihn erhob. Der Fremde sah sie mit einem breiten Lächeln an.
„Das ist für die Fesseln. Ich werde euch nichts tun."
Er hielt ihr das Messer mit beiden Händen hin. Kaja sah zwischen seinem Gesicht und der Waffe hin und her. Die Wärme in seinen Augen überzeugte. Kaja ließ ihren Schwertarm sinken. Ihr Herzschlag beruhigte sich nur langsam. Drachenzorn verwandelte sich zurück in einen schwarzen Drachen, der ihren Arm hochkroch und nach vielen Windungen dort als Schmuckstück erstarrte. Mit zittrigen Fingern nahm sie das Messer des Mannes an sich. Sie kauerte sich über Koray und schnitt seine Fesseln auf.
„Koray, es... bist du... hat das Gegenmittel geholfen?", stotterte sie nicht in der Lage auszudrücken, wie leid es ihr tat, dass sie in diese Situation geraten waren. Er sah sie finster an. Sie hätte vor Scham zerfließen wollen. Die durchschnittenen Seile fielen zu Boden.
Als Kaja den Knebel losband, kam er ihr zuvor und riss ihn mit so viel Kraft weg, dass er rote Striemen auf seinem Gesicht hinterließ. Koray setzte sich ächzend auf.
„Machst du dir Sorgen um mich? Brauchst du nicht, ich bin zäh wie Unkraut." Seine Stimme klang heiser.
Sie suchte Korays Blick, aber seine Augen fixierten ausschließlich den Fremden, der wie eine Statue bewegungslos dastand. Kaja wandte sich ab und gab ihm die Waffe zurück. Der Unbekannte ließ sie mit einer schnellen Bewegung in den Falten seiner Tunika verschwinden.
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Kein Weg aus der Finsternis - Die Legende von Kaja Band 2
FantasiDie Legende von Kaja Band 2 Wenn sie ihm vertraut, wird er sie verraten, tut sie es nicht, werden sie sterben und wenn sie versagen, wird die Welt bluten. Die Jagd auf den sagen-umwobenen Schüssel geht weiter. Eine Macht, die in den falschen Händen...