13. Zweifach unverhofft

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Die Morgensonne hing tief am Himmel und spiegelte sich glitzernd im Fluss Nevrata. Kaja schirmte mit der Hand die Augen ab und sah den Männern beim Beladen des Kahns zu. Sie hatte sich geweigert, sofort an Bord zu gehen. Was sie sich davon versprach, wusste sie nicht. Mehr Zeit? Die Möglichkeit, es sich anders zu überlegen? Koray?

Kaja biss sich auf die Unterlippe, während Boot und Fluss vor ihren Augen verschwammen. Der Wind wehte ihr eine lose Haarsträhne ins Gesicht und sie unterdrückte ein Schluchzen.

Eine schwere Hand legte sich auf ihre Schulter. Konnte es sein?

„Wir legen bald ab. Geh an Bord!", befahl der Kapitän des Kahns.

Das Lächeln gefror auf ihren Lippen. Koray war nicht gekommen. Sie hatte es gewusst und doch hatte sie auf ihn gewartet.

Der Kapitän hatte seine harten schmalen Lippen verkniffen, als hielten sie harsche Worte zurück. Kaja nahm es ihm nicht übel, da sie vermutlich alle aufgehalten hatte, und begab sich eilig an Bord.

Ihre Kabine war eine Ecke, die mit alten, staubigen Decken vom Rest abgetrennt worden war. Passagiere waren die Ausnahme auf diesem Frachtkahn. Als Bett diente ihr ein grosser, einfacher Strohsack, der zum Glück frisch gefüllt worden war. Zumindest verbreitete er den angenehmen Duft nach Heuboden. Ein Nachttopf komplettierte die Ausstattung. Die festgezurrten Fässer mit den Waren lagen zwischen ihr und dem Rest der Besatzung am anderen Ende, was ihr entgegenkam. So hatte sie ihre Ruhe.

Letzte Nacht hatte sie kaum ein Auge zugetan und bevor es tagte, hatte sie sich im Gasthof „Zwischen den Ulmen" Reiseproviant und Trinkwasser beschafft. Da sie nichts Besseres zu tun hatte, warf sie sich auf den Strohsack und sehnte den Schlaf herbei. Aber ihre Gedanken kreisten um alles, an was sie nicht denken wollte. Naril, Alina, Keopi, Koray. Tod.

Nein. Nein. Sie musste ihre Gedanken zu beschäftigen. Kaja entschloss, das rätselhaften Artefakt weiter zu untersuchen, das sie in Dariens oder vielmehr Cisneros Wagen gefunden hatte. Sie kramte in ihrem Beutel. Es war weg. Ungeduldig leerte sie den Inhalt auf den Boden. Nichts. Sie inspizierte all ihre Effekten minutiös. Ihr Kleid, die Wäsche, das Hemd von Koray, ihre Decke, jede Falte, die Bandagen, die Münzen. Nichts. Sie fand den faustgroßen Steinteller nicht.

Mit Daumen und Zeigefinger drückte sie auf ihren Nasenrücken. Hatte sie es zurückgelassen? Nein, unwahrscheinlich, im Gasthof war nichts zurückgeblieben. Koray hatte es mitgenommen, da war kein Zweifel in ihr. Absichtlich oder aus Versehen? Sie strich sich mit der Hand über das Gesicht und zog sie nass weg. Sie wollte sich die Antwort auf diese Frage nicht geben.

Kaja legte sich hin und spielte mit ihrer Schiene am Finger. Sie lauschte dem Plätschern des Wassers, den Schritten der Besatzung, dem Knarzen des Holzes, während die Tränen, die sie so lange zurückgehalten hatte, hemmungslos über ihre Wangen rannen.

Sie hatte sich zwei Tage lang kaum von ihrem stickigen Platz bewegt. Die Matrosen schienen das nicht seltsam zu finden, wahrscheinlich glaubten sie, dass Kaja an Seekrankheit litt. Nur die Schiffskatze, ein kleines, graues Knäuel warmen Fells leistete ihr Gesellschaft und ließ sie Schlaf finden. In keiner Hafenstadt ging sie von Bord. Es war nicht die Furcht vor Entdeckung, die sie zurückhielt, sondern die Gewissheit, dass sie aussteigen und nie mehr zurückkommen würde.

Am dritten Tag öffnete der Kapitän selbst den Vorhang zu ihrem Verschlag, um mit einem zufriedenen Ausdruck auf seinem wettergegerbten Gesicht zu verkünden, dass sie in Kürze Dragura erreichen würden. Den Endhafen. Einen halben Tag zu früh.

Kaja wäre selbst die längste Reise der Welt zu kurz gewesen. Als wäre jeder Fuß Zentner schwer schleppte sie sich an Deck. Die Sonne brannte auf ihren Kopf. Es war unerträglich schwül. Kaja lehnte sich an die Reling, als könnte sie ihr Kraft geben, und betrachtete die Aussicht.

Kein Weg aus der Finsternis - Die Legende von Kaja Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt