11. Zwischen den Ulmen

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„Ich gab ihr alle Dukati und die schönsten Pferde
meinen Anteil am Tannenwald und die besten Felder
Großvaters Säbel aus dem Krieg in Kammen
Mutters Brosche aus Tretin hat sie bekommen.
Und ich würde ihr meine Seele geben,
Würde sie mich dann wiederlieben
", sang Koray die uralte Volksweise, während Kaja schweigend in der hintersten Ecke der Taverne sass. Seine Stimme brachte die Gefühle in den Worten zum Leben und egal wie oft Kaja Koray schon hat singen hören, sie bekam jedes Mal eine Gänsehaut.

Die Einrichtung war aus kostspieligem Eichenholz, aber die Tische sahen abgeschabt aus und die schweren Stühle glänzten speckig. Die Wände waren holzgetäfelt und mit Rankenmotiven beschnitzt, wobei man das unter den vielen Schichten Ruß kaum erkennen konnte. Nur auf dem Bogen lag frisches Stroh über den Steinplatten und zeugte davon, dass nicht alles dem Dreck und Verfall überlassen wurde.

Kaja war darauf bedacht mit den Schatten im Hintergrund zu verschmelzen. Der Rauch der Kienspäne brannte in ihren Augen. Das Bier vor ihr war schal. Wahrlich nicht das Beste, was Werst zu bieten hatte. Aber „Zwischen den Ulmen" beherbergte als einziger Gasthof Frauen und ließ Koray für Kost und Logis singen, wobei er sein Trinkgeld behalten durfte. Also schätzte sich Kaja glücklich, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Sie spürte ein Kribbeln, als würde sie beobachtet. Unauffällig drehte sich Kaja um. Weiter vorne bei Koray war die Taverne gut gefüllt mit Gästen, die lauthals mitsangen. Aber es waren nur die üblichen Bauern und Händler aus der Gegend, die ihr keine Beachtung mehr schenkten. Ihr Blick suchte weiter. Am klobigen Schank, der mit einem geschnitzten Lebensbaum verziert war, stand ein schwarz gekleideter Mann. Gross und breit. Der war neu. Kaja strich nachdenklich über ihren Unterarm, wo sie einst Drachenzorn wie einen Armschmuck getragen hatte.

Sein Gesicht wurde von einer Kapuze überschattet und trotzdem beschlich sie das Gefühl, dass sie von ihm gemustert wurde. Kaja senkte ihren Blick auf ihr Glas, bevor er bemerken konnte, dass sie ihn ansah. Den Mann zu ignorieren, schien ihr der beste Schutz gegen unerwünschte Avancen zu sein.

Koray hatte sie gewarnt, dass sie sich als seine Frau würde ausgeben müssen, wenn sie nicht als Hure angesehen werden wollte. Kaja hatte es ihm nicht glauben wollen, dass es hier anders sein würde, als in Schwarzburg mitten unter raubeinigen Kriegern. Zwei Tage in Werst hatten sie eines Besseren belehrt. Die Krieger waren gesitteter, als die angeblich gesitteten Bürger, die in jeder Frau eine Hure sahen, die nicht Zuhause abgeschirmt von fremden Blicken lebte. Deswegen trug sie ihre Haare jetzt im Knoten, wie getraute Frauen, damit ganz Werst glaubte, dass sie mit Koray verheiratet war. Wenigsens musste sie ihren Leib und ihre Tugend nicht mit Gewalt verteidigen. Zumindest dann nicht, wenn sie es vermied alleine zu sein. Ihr schien es, als begäbe sie sich mit jedem Tag tiefer und tiefer in Korays Schuld.

Oder war der Mann mit der Kapuze ein Kopfgeldjäger?

Sie ballte die Fäuste auf ihrem Schoss. Gestern hatte der Wirt die neuen Fahndungsplakate neben dem Ausschank aufgehängt. Auf einem war sie drauf. Das neue Bild war besser als das letzte. Wo sie zuvor noch Reißzähne und eine Warze auf der Nase hatte, zeigte die aktuelle Zeichnung eine Frau mit dunklen Haaren und grossem Mund.

Man brauchte Fantasie, um sie darin zu erkennen, aber Kaja fühlte sich in Werst trotzdem auf jeden Schritt und Tritt beobachtet und verfolgt. Sie nutze ihren falschen Namen Leiina und wagte nicht, die Taverne zu verlassen. Denn 65'000 Dukati waren jetzt auf ihre Ergreifung lebend gesetzt worden. Das war ein Vermögen. Sie hatte von falschen Verhaftungen und Schlägereien auf offener Straße gehört. Gesindel und Glücksritter lungerten der Wirtin zufolge in Werst und anderen Orten entlang der Nevrata herum.

Kaja konnte es kaum erwarten, dieses miese Nest zu verlassen. Sofort. Aber über Land dauerte die Reise nach Dragura fast zwei Wochen und über Wasser drei Tage. Der nächste Kahn fuhr schon morgen in alle Frühe. Nur noch eine Nacht. Und dann ...

Kein Weg aus der Finsternis - Die Legende von Kaja Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt