Ir Neret war in den Konferenzraum gegangen, hatte den großen Bildschirm aktiviert und sich erwartungsvoll davor gesetzt.
Er wusste immer noch nicht, warum es unbedingt Menschen sein mussten und war nicht sicher, ob sie es wirklich schaffen würden, doch seine Aufgabe verpflichtete ihn an seine vier Schülerinnen zu glauben und so tat er es auch.
Er beobachtete über den viergeteilten Bildschirm wie sie alle die Räume betraten. Dann hörte er das elektrische Surren der aufgehenden Tür und Luras und Rikal kamen herein. Wie üblich kabbelten sich die beiden.
Der Mann rollte mit den Augen und rieb sich über die Schläfen. Normalerweise hätte er jetzt gelächelt, aber dieser Moment war außerordentlich wichtig und so machte er eine Handbewegung und die beiden schwiegen.
"Meister-", wollte Luras ansetzen, doch Rikal rammte ihm ihren Ellenbogen in die Seite und deutete anklagend auf den Bildschirm um dann einen Finger auf die Lippen zu legen. Der jüngere Mann verkniff es sich nur mit Mühe vor Schmerz aufzuschreien.
Dann winkte ihr Meister sie doch heran und die beiden Schüler traten zu ihm.
"Das sind sie also", meinte Rikal ein wenig skeptisch und schob sich das dichte bordeuxrote Haar auf die andere Seite. Sie war Baranerin, was bedeutete, dass ein Teil ihrer Haut dunkler war als der Rest. So kam es, dass jeder Baraner ein individuelles Muster aus hellen und dunklen Stellen auf seinem Körper trug.
Der äußerste Teil ihrer linken Gesichtshälfte war schwarz mit zwei länglichen Flecken daneben. Dieses Muster zog sich über ihren Hals bis zu ihren Schultern und weiter über ihren ganzen Körper.
Auch Luras sah die vier neuen Guardians gerade das erste Mal und wusste genau, wie entscheidend dieser Moment war.
Die drei guckten gebannt zu, wie jedes der Mädchen dem Ziel näher und näher kam und schließlich die Kraft ihres Elements das erste Mal in sich weckte.
"Unglaublich!", Luras stand der Mund offen und auch Rikal war beeindruckt.
"Meister habt ihr- Sie-", er wusste nicht so recht, wie er ansetzten sollte.
"Ja Luras, ich habe es auch gesehen und du hast recht, es ist beeindruckend." Er betätigte einen Knopf, sodass die Aufnahme anhielt und spulte dann zur entscheidenden Stelle zurück. "Ich kann nicht glauben, dass es so reibungslos und vorallem schnell geschehen ist."
Er schüttelte den Kopf und spulte nochmals zurück, um dann auf Marilyn zu zeigen. "Seht ihr, wie schnell sie das Wasser unter Kontrolle hat und sich die Handhabung erschließt. Das ist sagenhaft!" Seine komplett dunklen Augen leuchteten.
"Aber Meister, ist es nicht viel erstaunlicher was die Rothaarige vollbracht hat?" Die Baranerin deutete auf Susan.
"Was meinst du Rikal?"
"Na seht ihr es denn nicht? Alle anderen haben das Element lediglich isoliert, sie hat es komplett neu erschaffen."
Damit hatte sie tatsächlich etwas bemerkt, was Ir Neret entgangen war.
Er starrte ungläubig auf Susans Aufnahme.
"Dass eine von ihnen so weit fortgeschritten ist... Wie kann das sein?" Es war als wollte er noch etwas sagen, beließ es aber dabei und stand stattdessen schwungvoll von seinem Stuhl auf.
"Ich gehe zu ihnen. Ihr beide bleibt hier und ruft mich über das ARNET sollte irgendetwas passieren."
Seine Schüler nickten folgsam.Alle vier waren sie vertieft in ihr Element.
Emma lag auf der Wiese, um sie herum ein Meer von weißen Margeriten, und summte verträumt eine Melodie, die nur sie kannte.
Marilyn saß auf dem kalten, glitschigen Stein, ließ ihre Beine ins Wasser baumeln und malte mit der Hand Muster aus flüssigem Nass in die Luft.
Leah stand einfach nur da und beobachtete wie ein Windhauch wieder und wieder den hellblauen Rock ihres Gewands flattern ließ.
Susan starrte gebannt auf die kleine Flamme, die auf ihrer Handfläche immer noch lebendig war.
Bis ein elektrisches Surren die neuerliche Verbundenheit unterbrach und sich die holografischen Umgebungen abrupt auflösten, sodass sie sich wieder in diesen kahlen, grauen, kleinen Räumen wiederfanden.
Die Türen öffneten sich und es war als würde jede von ihnen aus einem Traum erwachen.
Susan erschrak und die Flamme löste sich auf, Marilyn und Leah ging es ähnlich und Wassermuster und Luftwirbel verschwanden.
Als sie die Räume verließen war für alle klar, dass sich hiermit unweigerlich alles verändert hatte. Etwas komplett neues würde jetzt beginnen und eine ungewisse Zukunft lag vor ihnen. Sie alle wussten das und sahen sich für kurze Zeit einfach nur schweigend an, weil jeder die Worte fehlten, irgendetwas zu sagen.
Plötzlich tauchte Meister Neret auf und kam klatschend auf sie zu.
"Das habt ihr großartig gemacht! Wirklich großartig!"
Leah löste sich aus ihrer Starre und sprach voller Begeisterung. "Es war auch großartig. Ich hab' mich noch nie so, so unglaublich gefühlt. Aufeinmal bewegte sich die Luft einfach zwischen meinen Fingern. Das war soo verrückt!" Ihre Augen leuchteten und sie drehte sich zu den anderen.
Marilyn schüttelte lächelnd den Kopf.
"Erst bist du total dagegen, das hier zu machen und jetzt bist du Feuer und Flamme? Ganz schön flotter Meinungswechsel, selbst für dich Leah."
"Ja du hast recht, aber jetzt, jetzt ist alles anders. Das eben hat alles verändert!"
Daraufhin meldete sich Emma zu Wort: "Es war irgendwie magisch, oder? Ich mein', ich habe eine Blume wachsen lassen, wie cool ist das denn?" Sie nahm Susans Hände und sprang quitschend auf und ab. "Eine Blume, Susan, eine Blume! Kannst du dir das vorstellen? Und es war so einfach und dann noch eine und noch eine und immer mehr, bis überall weiße Margeriten waren!"
Ir Neret hatte sich gegen eine Wand gelehnt und schaute Emmas Freudentanz belustigt zu.
Sie sind wahrhaftig faszinierend.
Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, fragte sie: "Wo wart ihr eigentlich?"
"An dem schönsten Ort der Welt." Merilyns Blick schweifte in die Ferne.
"Ich war ganz allein, umgeben von stürmischer See. Es war traumhaft."
Dann berichteten auch Susan: "Ihr werdet's nicht glauben, aber ich stand in Mitten einer brennendheißen Feuersbrunst."
"Also eine ziemlich heiße Angelegenheit, mh?", meinte Leah dann und zog eine Augenbraue auf diese unverwechselbare Weise nach oben und wie jedes Mal brach Susan in schallendes Gelächter aus, in das nach und nach alle einstimmten.
"Rhmh", Ir Neret räusperte sich hörbar. Erschrocken drehten sich die Mädchen zu ihm, sie hatten schon wieder vergessen, dass er überhaupt da war.
"Es ist schön, dass es euch so schnell und reibungslos gelungen ist, euer Element zu wecken, aber vor euch liegt dennoch, oder gerade deswegen ein weiter und beschwerlicher Weg.
Doch ich will niemanden hetzen, wir werden erst morgen mit dem Training beginnen. Für heute ist es genug, ich schicke euch zur Erde zurück, damit ihr euch ausruhen könnt."
Damit schien alles gesagt. Er drehte sich um und lief in Richtung Transportraum, die vier folgten ihm.
Als sie angekommen waren und sich auf die Transportfläche gestellt hatten, erhob ihr Meister jedoch nochmal das Wort: "Ich hole euch morgen Punkt 9:00 Uhr. Was ihr bis dahin nicht an, beziehungsweise mit euch habt, bleibt auf der Erde. Ich möchte ungern Zeit verschwenden." Er ging zum Schaltpult und fixierte sie. "Das wird ein hartes Stück Arbeit."
Dann drückte er einen Knopf und einen Lidschlag später, waren sie verschwunden.

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Guardians
ParanormalDie vier Freundinnen Susan, Emma, Leah und Marilyn haben mit den alltäglichen Problemen typischer Jugendlicher zu kämpfen, als ein Ereignis ihr Leben schlagartig verändert... Sie werden zu Guardians, zu Beschützern der Welten. Ausgestattet mit der K...