Kapitel 1

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Susan saß gelangweilt im Philosophieunterricht von Miss Ester und starrte zum gefühlt 500sten Mal auf die Uhr. Nur noch drei Minuten, dann würde es klingeln und die lang ersehnten Ferien würden beginnen. Doch dank Miss Esters grauenhaft langweiligen und vermeintlich bedeutungsschwangeren Reden würden diese drei Minuten zu einer Ewigkeit werden. Sie stützte ihren Ellenbogen auf den Tisch und legte den Kopf auf die Handfläche. Susan schloss ihre Augen und versuchte das theatralische Gequassel ihrer Lehrerin für einen Moment auszublenden - natürlich ohne Erfolg. Sie seufzte schicksalsergebend und ließ den Blick durch den Klassenraum schweifen. So ziemlich jeder hing verzweifelt auf seinem Stuhl, nur zwei heuchelten Aufmerksamkeit.  Susans Blick blieb an Emma hängen, die gedankenverloren in ihrem Heft malte, das hellbraune kinnlange Haar hinters Ohr geklemmt und unwillkürlich musste sie lächeln. Emma war ihre beste Freundin seit sie in die Grundschule gekommen waren und eigentlich viel zu gut für diese Welt.
"Miss Abbott?" Miss Ester hatte ihre Ausführungen wohl beendet und blickte ihre unaufmerksame Schülerin mit hochgezogener Augenbraue an. Susans Kopf schnellte in Richtung Lehrerpult, sodass ihre hellroten Haare flogen und starrte die Lehrerin an. "Ähh, wie bitte?"
Die Klasse lachte und Susan merkte wie sich ihre Wangen röteten.
"Ich wollte wissen, wie Sie darüber denken. Nun?" Susan wusste überhaupt nicht worum es ging und wollte gerade nachfragen, da ertönte das erlösende Signal, das Leuten der Stundenklingel. Sofort sprangen alle auf, einige hatten schon zusammengepackt, und liefen Richtung Tür. Glück gehabt, dachte Susan und machte sich nun auch daran ihre Sachen in den Rucksack zupacken. Nur schnell weg hier. Miss Ester guckte entgeistert, machte dann jedoch eine wegwerfende Handbewegung und fing an die Bücher einzusammeln.

"Na da hast du aber ganz schön Schwein gehabt." Emma knuffte ihrer Freundin in die Seite und grinste sie keck an. Gemeinsam liefen sie über den überfüllten Flur und Richtung Schließfächer als sie plötzlich eine bekannte Stimme hinter sich hörten: "Ich hasse diese Menschenmengen."
Emma kicherte. "Hallo Marilyn."
Der mürrische Ausdruck auf deren Gesicht hellte sich ein wenig auf und sie schloss sich den beiden an. "Los, lasst uns verschwinden."
"Ja Moment, wir holen nur noch unsere Sachen aus dem Spint."
Kurze Zeit später nestelte Emma an ihrem Zahlenschloss. Marilyn verschränkte daraufhin die Arme und schaute dem Ganzen mit einer Mischung aus Skepsis und Belustigung zu.
"Ich sehe schon, das wird heute nichts mehr."
Susan hatte mittlerweile ihr Schließfach gelehrt und lehnte nun lächelnd dagegen. Sie wusste was jetzt kommen würde. Obwohl sie sich schon viele Jahre kannten, kam es immer wieder zu kleinen Streitigkeiten zwischen den beiden. Sie waren einfach sehr unterschiedlich.
Marilyn wirkte oft kühl und distanziert und sprach generell wenig über sich und ihre Gefühle. Susan wusste, dass das nur ein Schutzmechanismus war, aber sie respektierte das.
Emma war das komplette Gegenteil, offen und herzlich und grundsätzlich freundlich zu jedermann.
"Ja, aber ich krieg das hier einfach nich auf, das klemmt irgendwie das blöde Teil!" Frustriert ließ Emma vom Schloss ab.
"Wenn man die falsche Zahlenkombination eingibt, wird sich das Schloss auch nicht öffnen, egal wie fest man daran rüttelt. Wie kann man nur so schusselig sein, langsam solltest du dir die Kombination echt mal merken." Sie machte eine kurze Pause und als sie Emmas Blick bemerkte, sagte sie schließlich seufzend: "58039."
Emma wurde erst rot und funkelte die Dunkelhaarige dann an. "Das hättest du auch eher sagen können."
"Dann wär es aber nicht so lustig gewesen", erwiderte Marilyn und begann zu lächeln. Emma verzog den Mund, nahm dann ihre Bücher aus dem Spint und musste dann doch lächeln. Jaja, so kannte Susan die beiden.
Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich und blickte in die grauen Augen ihrer vierten besten Freundin. "Leah du kommst genau richtig, wir wollten gerade los", meinte Marilyn, "Was hat dich so lange aufgehalten? Du bist doch sonst immer die erste, die sich aus dem Unterricht verdrückt."
Leah ignorierte die Spitze und lächelte verschmitzt: "Ratet mal, wer gerade mit Taylor Brandon Schluss gemacht hat." Die drei Mädchen starrten sie nur mit offenem Mund an. Taylor war einer der gutaussehendsten Jungen in ihrem Jahrgang, ach was, der ganzen Schule. "Alle Mädchen reißen sich um ihn und du machst mit ihm Schluss?? Das verstehe ich nicht", meinte Emma perplex.
Leah schüttelte nur den Kopf: "Was nützt mir der heißeste Kerl der Schule, wenn er 'ne totale Niete im Bett is'? Was soll ich mit so einem?"
So kannte man die blonde Cheerleaderin, nur war Emma da ganz anders gestrickt. Sofort wurde sie rot und drehte sich hastig weg. "Ähh, das wollten wir garnicht wissen Leah", griff Susan ein, woraufhin die laut loslachte: "Ihr seid einfach alle viel zu prüde!"
Inzwischen waren die vier losgelaufen und erreichten nun die Eingangstüren. Leah stieß sie energisch auf und strahlte in den blauen Himmel.
"Endlich raus aus diesem stickigen Bunker und rein ins Freie. Lasst uns unsere Ferien ordentlich genießen, mal richtig Party machen, endlich wieder lange schlafen und..." Da fiel ihr Susan ins Wort: "Du vergisst, dass wir nur zwei Wochen Herbstferien haben, danach hat uns dieser 'Bunker' wieder. Und da das unser letztes Jahr hier ist, wird es garantiert kein Spaziergang."
"Man, jetz' hör doch mal auf Alles so negativ zu sehen, entspann' dich mal!" "Aber Sue hat vollkommen recht, Leah. An deiner Stelle würde ich mich hinsetzen und lernen. Wir wissen wie deine Noten aussehen, das könnte dir nicht schaden", meinte nun auch Marilyn.
"Ihr habt es echt drauf einem die gute Laune zu verderben, vielen Dank auch." Damit beschleunigte sie ihren Schritt und schmollte.
Die drei anderen schauten sich kurz an, dann schlossen sie zu ihrer Freundin auf und Susan sagte: "Lasst uns doch morgen alle bei mir treffen, dann gehen wir Stochastik noch mal durch und Marilyn hilft dir mit der Drameninterpretation, die wir schreiben sollen."
Leah guckte sie nur entsetzt an: "Auf keinen Fall machen wir das, du spinnst wohl, ich hab Ferien. Da fass' ich mein Mathebuch noch nich' mal an!" "Gut, morgen um 10 bei mir", meinte Susan und lächelte nur.
"Leah, ich komme auch und ich bin auch keine Leuchte in Mathe. Freu dich doch über das nette Angebot."
"Nich du auch noch Emma."
Mit einem Laut der Resignation ergab sich Leah ihrem Schicksal, doch dann hellte sich ihre Miene wieder auf. "Na gut, aber dafür kommt ihr heut' Abend alle mit ins Passion und wir feiern unsere zweiwöchige Schulabstinenz."
"Tut mir leid Leah, aber ich kann heut' nicht. Mum und Dad gehen ins Theater und einer muss auf Benjamin und Lucy aufpassen." Entschuldigend hob Emma die Schultern.
"Na toll, und was ist mit euch beiden?" Hoffnungsvoll wandte sich Leah zu Susan und Marilyn.
"Ich kann leider auch nicht", sagte Susan, "Ich bin nachher noch mit Matthew verabredet."
"Und ich hab keine Lust mich mit viel zu vielen tanzwütigen Menschen zu umgeben. Nicht mein Ding."
"Na ganz klasse, also lasst ihr mich alle im Stich?? Gut Susan, dir verzeih' ichs, wurde ja auch langsam Zeit mit euch beiden."
Mit gespielter Entrüstung zeigte sie auf Emma und Marilyn. "Aber ihr beiden braucht nich' nochmal ankommen und irgenwas wollen!"
Sie gab sich wirklich mühe ernst zu gucken, aber sie konnte ihren Freundinnen nicht wirklich böse sein und musste schließlich doch lächeln. Daraufhin brachen sie alle in Gelächter aus und bald verabschiedete sich einer nach dem anderen, bis Susan ganz allein war.
Auch wenn sie überzeugt davon war, dass die Schule momentan Priorität besaß, musste sie Leah doch recht geben. Es war klasse, endlich Ferien zu haben.

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