Wiedersehen

71 7 0
                                    

Das Deck schwankt, als eine weitere Welle gegen das Schiff prallt und es zur Seite wirft. Ich halte mich an einem Seil fest und suche meine Crew ab. Flavio kommt auf mich zu, kämpft sich von Seil zu Seil, während Wind und Regen an seinem Gewand zerren. Ich drehe mich um und schaue zu der Tür, die unter Deck führt. Ein kleines, flackerndes Licht brennt darin. Ich gehe laufe darauf zu und reiße die Tür auf. Darin steht ein Schreibtisch und ein kleines Bett, auf dem sich verzweifelt zwei kleine Gestalten aneinanderkauern. Tränen rinnen ihre Wangen hinunter, aber sie schreien nicht. Ich laufe zu ihnen, nehme sie in den Arm. Das Mädchen mit den rabenschwarzen Haaren und den hellgrauen Augen klammert sich sofort an mich. Ich umarme sie, will sie um alles in der Welt beschützen. Der Junge hat braunes Haar und dunkelbraune Augen. Er ist älter als das Mädchen und versucht tapfer zu bleiben, um sie zu beruhigen. Flavio kommt herein. "Flavio. Sie sind hier nicht sicher. Wir müssen sie hier wegschaffen. Sofort." Flavio nickt, nimmt das Mädchen, das immer noch weint, auf den Arm, den Jungen an der Hand und bringt sie hinaus in den Sturm. Im selben Moment wird mir klar, dass das ein Fehler ist, aber ich kann es nicht mehr ändern. Flavio verschwindet durch die Türe. Ich laufe ihm nach, doch als ich die Tür erreiche ist es schon zu spät. Eine riesige Welle schwappt über das Deck und nimmt die drei mit. Ich höre die Schreie des Jungen, das Weinen des Mädchens und sehe zu, wie sie ertrinken.
Schweißgebadet wache ich auf. Ich keuche, versuche wieder Atem zu bekommen. Flavio neben mir schläft seelig. Ich versuche ihn nicht aufzuwecken und lege mich wieder hin, zitternd. Der Traum hat mir den Rest gegeben, ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr. Das ist alles, wovor ich Angst habe, alles, was je schiefgehen könnte. Ich zittere, als ein Windstoß durch die Hütte fährt und kauere mich zusammen. Plötzlich spüre ich Flavios Arme um meine Taille. Er zieht mich an sich. "Schlaf weiter.", flüstert er in meine Haare. Ich versuche mich zu entspannen, schaffe es aber nicht. "Was ist los?" Ich erzähle ihn von dem Traum. "Das Mädchen hat also so wie du ausgesehen?" Das ist das einzige, was ihn daran interressiert? Ich nicke verwirrt. "Und der Junge wie ich?" Wieder ein Nicken. Ich spüre, dass er lächelt. "Gefällt mir. Auch wenn ich lieber zuerst ein Mädchen hätte." Er redet sanft, und strahlt eine solche Geborgenheit aus, dass ich mich nie wieder auch nur einen Zentimeter von ihm entfernen will. Und auf einmal kann ich ihn mir als Vater vorstellen. Wie er dem Kind Knoten machen beibringt, wie er mit ihnen übers Deck tollt, mit ihnen das erste mal am Ausguck sitzt. Mit diesen Bildern im Kopf schlafe ich ein.

Am nächsten Morgen werde ich von einer Umarmung und Gekreische geweckt. "Aaaaaaaaah! Nataila!", quietscht Sara. Ich setze mich vollkommen weggetreten auf. Das Übergeben morgens hat dem Himmel sei Dank aufgehört, deswegen liege ich einfach nur da und starre sie verwirrt an. "Hallo?", frage ich leicht verwirrt und setze mich auf. Sie sieht mich freudenstrahlend an. Die blonden Haare wie immer offen, ein Haarband hält sie vom Gesicht weg. Sie trägt ein Kleid, schmutzig von der Reise und ihre blauen Augen strahlen mich an. "Was zur Hölle hast du da an?", frage ich entgeistert und setze mich auf. Irgendwo höre ich Flavio lachen. "Sind die anderen auch schon da?" Sara nickt. Sofort stehe ich auf und stürze nach draußen. Und da stehen sie, wohlbehalten und am Leben: Cloe, Aurora und Beatrice. Ich falle ihnen nach der Reihe um den Hals. Beatrice ist wie immer etwas distanziert, ist aba offenbar ziemlich froh mich zu sehen. Aurora ist total ausgeflippt, weil Flavio klugerweiße beiläufig das Baby erwähnt hat und Cloe ist vollkommen weggetreten. Sie starrt die ganze Zeit in der Gegend herum und registriert nicht einmal, dass wir ihr Essen hinhalten. "Sie hat Zoe nicht mehr gesehen, seit sie im Sturm verschwunden ist. Wir haben keine Ahnung, wo sie ist, aba Cloe ist extrem fertig deswegen.", flüstert mir Sara zu. "Wann hat sie das letzte Mal etwas gegessen?" "Vor zwei, drei Tagen, glaube ich." Alle Versuche von Aurora sie zum Essen zu bringen scheitern und auch am Nächsten Tag weigert sie sich.
Ich finde Cloe auf einem Stein sitzend, mitten in der Nach, sie starrt hinaus aufs Meer. Tränen rinnen ihre Wangen hinunter. Ich setze mich neben sie und beobachte den Horizont. Ich kenne Cloe schon so lange, dass ich weiß, dass sie nicht reden will. Da zu sein alleine genügt schon. So sitzen wir eine Weile da, bis sie plötzlich beginnt zu reden. "Kannst du dich noch an Sizilien erinnern? Die Nacht, als wir aufgespalten wurden und ich dachte, Zoe sei tot?" Ich nicke. "Ich war am Ende. Hatte keinen Grund, weiterzuleben. Ich hatte..." Sie holt tief Luft. Die Tränen rinnen unaufhaltsam ihre Wangen hinunter. "Als wir sie wiederfanden, versprach sie mir, dass uns nie wieder etwas trennen würde. Sie versprach mir, wir würden uns immer wieder finden, egal wie weit wir voneinander entfernt wären, wir würden immer wieder zusammenfinden." Ich schlucke. "Und jetzt sind es einenhalb Monate. Einenhalb Monate, Natalia. Wie kann ich..." Sie stoppte und holte tief Luft. Als sie weitersprach zitterte ihre Stimme leicht. "Wie kann ich mir sicher sein, dass sie noch lebt. Woher weiß ich es? Dass es nicht vollkommen sinnlos ist, nach ihr zu suchen. Wo finde ich sie wieder?" "Wir finden sie wieder." "Wie kannst du dir da so sicher sein. Sie könnte mittlerweile mausetot sein, zerfressen von Fischen und Haien und Kanibalen. Es kann sonst was mit ihr passiert sein." Ich drehe meinen Kopf zu ihr. Die Tränen glitzern auf ihren Wangen, die dunkelbraunen Haare schimmern im Mondlich."Cloe. Wir werden deine Schwester finden. Ich verspreche es."

Fluch der Liebe - Die Geschichte eines PiratenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt